Dark Jealousy (Anti-Terror-Force 4)

   
»Weiß Sean, dass du hier bist?« Rabea Thornton musterte ihren Freund prüfend.
»Was würdest du sagen, wenn ich ja sage?« Dennis Falk stieß die Bürotür, durch die er gerade getreten war, mit dem Fuß ins Schloss und kam langsam auf sie zu.
»Dass er bestimmt nicht begeistert war, dass du herkommen wolltest?« Sie zwinkerte ihm zu. Obwohl ihr Büro, wie alle anderen hier, eine Glasfront hatte, hatte sie erst in dem Moment, als er angeklopft hatte, bemerkt, dass er vor ihrer Tür stand. Sie war wie so oft so in ihre Arbeit vertieft gewesen, dass sie nichts um sich herum mitbekommen hatte. Ihr Arbeitsplatz waren im wahrsten Sinne des Wortes gläsern. Die Scheiben waren bis auf die Höhe von einem Meter dreißig milchig, so dass ihr zumindest der Blick auf den grauen Boden der anderen Seite erspart blieb. Dann folgten noch drei trübe Streifen, die von klarem Glas unterbrochen wurden, ehe auf Höhe von einem Meter sechzig der komplette Einblick möglich war. So konnte man als Besucher schon vor dem Anklopfen erkennen, ob jemand da war oder nicht. Ebenso konnte sie sehen, wer auf sie zukam und sich auch auf einen unbeliebten Gast einstellen. Einzig die Wände, die sie von den anderen Büros trennten, waren nicht aus Glas. Schwarze Regale boten Raum für Unmengen an Akten.
»Und wenn ich sage, er weiß es nicht?« Dennis blieb mit einem freudigen Funkeln in den Augen vor ihrem Schreibtisch stehen.
»Dann würde ich dich bitten, die Tür abzuschließen und alles sturmfest zu machen, damit der Orkan, der losbricht, wenn Sean es herausfindet, nicht alles zerlegt.« Sie erhob sich frech grinsend und umrundete den Tisch, wo ihr Freund sie mit einer Umarmung und einem innigen Kuss begrüßte. Da er noch seine sandfarbene Uniform und seine Combatboots trug, war er wahrscheinlich direkt nach dem Training aufgebrochen und hoffentlich nicht ohne Meldung verschwunden, denn in diesem Fall würden sie sich beide auf einen Orkan einstellen müssen.
»Sean ist also der Einzige, vor dem du Angst hast, sollte er uns jetzt hier erwischen?« Forsch wanderte seine Hand auf ihren Hintern, wo er fest zugriff. Es schien ihn nicht zu stören, dass jeder, der in diesem Moment über den Flur an ihrem Büro vorbeiging, sehen konnte, was sie taten. Und sie musste zugeben, dass ihr diese Blicke egal waren. Lediglich von Sean Harrison wollte sie nicht in dieser Situation erwischt werden. Die Angst vor einem Ausbruch und davor, dass er Dennis verbal niedermachen würde, war zu groß. Sie war sich sicher, dass sie mit den Reaktionen und Sprüchen ihrer Kollegen umgehen konnte. Bei Sean lag die Sache anders.
»Er ist der Einzige, von dem ich befürchte, er könnte uns beide innerhalb von Sekunden umbringen, wenn er uns so sieht.« Sie zwinkerte ihm zu. »Schon Feierabend?« Neugierig sah sie ihm in seine graublauen Augen und wollte möglichst schnell thematisch von dem Captain des Alpha-Teams der I.A.T.F weg. Er mochte sie nicht und sie konnte nicht leugnen, dass sie nie sein Fan werden würde. Sie und Sean Harrison waren einfach nicht dafür geschaffen, länger als eine Stunde im gleichen Raum zu sein, auch wenn sie sich beide noch so sehr bemühten. Früher oder später lief ihnen immer das Thema Arbeit über den Weg und legte Flächenbrände aufgrund ihrer unterschiedlichen Meinungen.
»Ja.« Er nickte so bestätigend, dass sie davon ausging, dass er die Wahrheit sagte, und sie nicht damit rechnen mussten, gleich von einem Teammitglied der I.A.T.F gestört zu werden. »Seit Milazim im Knast sitzt, ist es sehr ruhig geworden«, legte er erklärend nach und in Rabea regte sich Protest. Sie widersprach jedoch nicht. Es war nicht stiller geworden, zumindest nicht wirklich. Sie und viele andere waren auf der Suche nach demjenigen, der nun die Nachfolge des Terroristen antreten sollte, oder schon angetreten hatte. Dazu kamen Planungen, die niemanden hier mit Freude erfüllten. Der Abzug aus Afghanistan war auf der einen Seite mehr als überfällig und sie konnte alle verstehen, die sich darüber freuten, aber sie sah bereits die Folgen. Frauen und Mädchen würden ins Mittelalter katapultiert werden. Keine Arbeit, keine Schulbildung, dazu würden Hunger und Armut wieder ein großes Problem werden.
»Alles okay?« Dennis entließ sie aus seiner Umarmung und musterte sie nun prüfend. Es war nicht ihre Absicht gewesen, dass er bemerkte, dass etwas sie beschäftigte, ihr sogar große Sorgen machte. Sie hatte immer gehofft, gerade den Frauen in Afghanistan helfen zu können. Rabea war sich sicher, dass sie bald wieder die Bilder sehen würden, von denen sie gedacht hatte, man hätte sie vertrieben. Bettelnde Frauen und Kinder inmitten der Hauptverkehrsstraßen der großen Städte. Diese Bilder ließen ihr schon beim Gedanken daran kalte Schauer über den Rücken laufen. So sollte kein Kind, keine Frau, kein Mensch leben. Dabei war der ursprüngliche Grund der Belagerung nicht einmal die humanitäre Hilfe gewesen. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte hatte sich der Grund immer wieder geändert.
»Ja, irgendwie schon. Der übliche Irrsinn halt.« Sie nickte. »Was machen wir heute?« Sie würde ihren Feierabend um eine Stunde vorziehen und dafür am kommenden Tag länger arbeiten, auch wenn sie mehr als ausreichend Überstunden gesammelt hatte, seit sie hier in San Diego war. Da die Aktenberge jedoch nicht kleiner wurden, würde sie die Stunden nicht abfeiern. Sie konnte es nicht leiden, wenn Arbeit liegen blieb. Aber es war selten, dass Dennis sie hier abholte. Meist war sie es, die nach einem langen Tag vor der Base der Einheit darauf wartete, dass ihr Freund, völlig k.o., in ihren Accord stieg. Dann war sofort klar, dass sie lediglich etwas essen und dann schlafen gehen würden. Heute wirkte er noch sehr frisch. Beinahe, als hätte das Team keine Trainingseinheiten vollzogen.
»Ich dachte, wir gehen essen.« Nun wanderte sein Blick an ihr vorbei auf ihren Schreibtisch, dann zum Fenster. Sie ahnte bereits, auf was er sie gleich ansprechen würde. »Du könntest ein Floristikfachgeschäft aufmachen. Ist der neu?« Er deutete auf einen Strauß weißer Lilien, der in einer Glasvase auf der Fensterbank stand.
»Ja, heute angekommen.« Sie nickte mit einem Seufzen und sah von dem weißen Strauß zu den Rosen, den Margeriten und dem Magnolienstrauß, mit dem alles vor knapp zwei Wochen angefangen hatte und der noch nicht so verblüht war, dass sie ihn entsorgen wollte. Ein Blumenstrauß von einem unbe-kannten Absender. mit einer Karte, von der sie Dennis nie etwas erzählt hatte. Auch der Strauß heute und die anderen hatten jeweils eine Grußkarte beinhaltet, von der sie ebenfalls nie einen Ton gesagt hatte. “Dein heimlicher Verehrer, in ewiger Liebe, für die schönste Frau der Welt”, waren die schmeichelnden Worte, die der Florist auf die Karten hatte notieren müssen. Beim Ersten war ihr Verdacht auf Dennis gefallen. Sie hatte die Blumen für einen Liebesbeweis gehalten und sich am Abend bedankt, was zu sehr großen Augen und noch mehr Verwirrung geführt hatte. Schon als sie den Strauß erwähnte, konnte sie in seiner Mimik erkennen, dass er keine Ahnung gehabt hatte, wovon sie sprach. Deswegen verschwieg sie die Karte. Bis zu dem Tag, an dem der zweite Strauß angekommen war, hatte sie die Vermutung gehegt, dass sich einfach jemand in der Adresse oder dem Büro vertan hatte. Aus diesem Grund hatte sie den Soldaten, der im Auftrag des Floristen die Sträuße an ihren Arbeitsplatz brachte, bei seinem zweiten Besuch gefragt, ob er sich sicher sei, der richtigen Frau eine Freude zu machen. Aber es schien, als wäre es keine Verwechslung. Sie besaß einen heimlichen Verehrer. Was sie mit diesem Menschen anfangen sollte, wusste sie nicht. Da er weder Namen noch eine Kontaktmöglichkeit auf den Karten hinterließ, hatte Rabea keine Chance, ihm zu sagen, dass sie kein Interesse an ihm oder seinen Blumen hatte. Allerdings hatte sie es bisher nicht übers Herz gebracht, die Blumensträuße zu entsorgen. Zum einen waren die Sträuße wunderschön gearbeitet und zum anderen brachten sie Farbe und Duft in ihr sonst so tristes Büro.
»Hm.« Dennis strich sich über sein bärtiges Kinn, sah dann zu ihr. »Und du weißt nicht, von wem die sind?«
Rabea schüttelte den Kopf. Sie hatte sich schon einige Stunden den Kopf darüber zermartert, wer der geheimnisvolle Mensch war, der ihr mit den hochwertigen Sträußen den Hof machte. Zumal es nicht leicht war, sie in ihr Büro bringen zu lassen. Der Florist gab sie an einem der Wachposten ab, die dann einen Boten schicken mussten. Jedoch waren solche Boten eigentlich dazu da, Dokumente oder Ähnliches auf dem Gelände zu verteilen. Sie ließen sich zwar mit Pizza bestechen, wenn welche bestellt wurde, bestellte man immer eine für den Boten mit, aber private Dinge zu verteilen, gehörte nicht  in ihren Aufgabenbereich. Der Gedanke, dass es sich um einen alten Kollegen aus Langley handeln könnte, hatte sie zeitnah verworfen – dort war niemand, der ihr Blumen schicken würde. Dort waren sicher alle froh darüber, dass sie weg war. Und die, die es nicht freute, waren nicht die Sorte Mensch, die Blumengrüße senden würden. Sie würden Kaffee oder Alkohol schicken, da sie wussten, wie stressig ihr Job sein konnte und wie dringend man beides an einigen Tagen vor, während und nach dem Dienst benötigte. Daraufhin hatte sie begonnen, auf das Verhalten ihrer Kollegen hier zu achten. Gerade bei denen, die sie für schüchtern und introvertiert hielt. Hatte sich einer von ihnen in sie verliebt und traute sich nicht, sie anzusprechen? Aber auch in dem Kreis war ihr bisher niemand aufgefallen. Hatte sie womöglich einen Stalker? Und mehr Zeit hatte sie nicht gehabt, um zu recherchieren. Es gab weitaus wichtigere Dinge, die sie zu erledigen hatte, als herauszufinden, wer sein Geld einem sehr guten Floristen in den Rachen warf.
»Du bist bei der CIA, du müsstest doch sogar raus-bekommen können, von welchem Quadratmeter Boden die Blumen kommen. Dann kann es doch nicht so schwer sein herauszubekommen, wer sie geschickt hat.« Dennis schmunzelte bei seinen Worten. Theoretisch war solch eine Analyse zwar möglich, aber ohne einen konkreten Anlass würde sie keine Genehmigung für die Nutzung betrieblicher Ressourcen bekommen.
»Ich kann auch nur den Floristen fragen und der wird mir sicher sagen, dass er es aus Datenschutzgründen nicht preisgeben darf.«
»Stimmt, er muss erst explodierende Blumensträuße schicken«, murmelte Dennis mit Blick auf den Magnolienstrauß, der als Erstes angekommen war. Direkt bei Lieferung wegwerfen wollte sie die Sträuße nicht, dafür waren sie einfach zu schön.
»Übertreib es nicht. Hier kommt kein Sprengstoff aufs Gelände.« Sprechend umrundete sie ihren Schreibtisch und schaltete den PC aus. Es war nahezu unmöglich, Sprengstoff oder Waffen in die Base zu schmuggeln. Seit den letzten Anschlägen hatte sich die Sicherheitslage derart verschärft, dass selbst Brotdosen kontrolliert wurden, was hin und wieder für große Augen bei den zu Kontrollierenden sorgte. Schließlich ließ sich niemand gerne von Fremden ins Essen schauen.
»Ich weiß.« Dennis war zu ihr gekommen und gab ihr einen sanften Kuss. »Essen?« Fragend musterte er sie aus seinen graublauen Augen, in denen Rabea ein leichtes Funkeln entdeckte. Essen war nicht das Einzige, was ihrem Freund gerade vorschwebte.
»So?« Sie deutete auf seine Uniform. Die sandfarbene Camouflageuniform war unübersehbar voller feinem Sand. Sollten sie wider Erwarten doch ein Restaurant finden, in das man ihn so lassen würde, würde ihm der Sand am Platz aus den Taschen und Falten des Stoffes rieseln. Bei dem Gedanken an ein Restaurant, in dem an einem Sitzplatz kleine Sandhaufen unter einem der Stühle lagen, musste sie grinsen.
»Nein, natürlich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Nächstes Mal gehe ich erst duschen und komme dann her, ich konnte es nur nicht abwarten, dich zu sehen.« Er zwinkerte ihr zu.
Zwei Stunden später schenkte ein adrett gekleideter Kellner ihr und Dennis einen Rotwein ein. Das Fleming’s Prime Steakhouse war ein gehobenes Restaurant und zwischen ihr und Dennis gab es die Abmachung, dass sie in der Zeit, in der sie hier waren, nicht über die Arbeit sprachen. Sie nutzten die Zeit, um sich besser kennenzulernen und hin und wieder auch, um über aktuelle Nachrichten zu sprechen. Allerdings liefen sie dann schnell Gefahr, dass sie doch bei ihren Jobs landeten. Das Restaurant bot eine fantastische Aussicht auf den Sonnen-untergang und das Essen war an Exklusivität nicht zu überbieten. Rabea hatte einmal behauptet, dass er sicher wie ein ausgehungertes Tier über das Essen herfallen würde. Aber Dennis hatte ihr gezeigt, dass er sehr gute Tischmanieren besaß und nicht nur ein gutes Steak zu schätzen wusste, sondern auch den Wein. Er war bei weitem nicht der erste Mann, mit dem sie ausging, aber der erste, der genau wusste, welches Teil des Bestecks genutzt werden musste und der das Gläsersortiment auf dem Tisch überblickte. Als Grund dafür nannte er seine eigene Kindheit und Jugendzeit. Seine Eltern hatten darauf bestanden, dass er nach Knigge am Tisch saß und sich dementsprechend verhielt. Dieser Umstand war nun ein eindeutiger Pluspunkt, auch wenn er es nach eigener Aussage in Kinder- und Jugendtagen verflucht und gehasst hatte. Heute war es, zumindest in ihren Augen, ein großer Vorteil.
»Auf uns.« Dennis prostete ihr zu und löste sie so aus ihren Gedanken.
»Auf uns«, erwiderte sie und nahm einen Schluck. Bis vor einigen Wochen hatte sie befürchtet, dass seine Kollegen ihn über kurz oder lang davon überzeugen würden, dass sie die falsche Frau für ihn war. Aber es hatte sich anders entwickelt. Vor allem Sean Harrison, mit dem sie schon Sekunden nach ihrer ersten Begegnung auf Kriegsfuß gestanden hatte, hatte seine Einstellung ihr gegenüber zumindest im Privaten geändert. Er hatte ihr beim Möbelaufbau geholfen und sie hatte eine lockere Freundschaft zu seiner Lebensgefährtin aufgebaut. Emelie umgab sich beruflich mit schweren Charakteren, vielleicht war es ihr deswegen gelungen, Sean zu bändigen. Das, was Rabea zu Beginn über den SEAL gewusst hatte, hatte sie daran zweifeln lassen, dass je ein normaler Umgangston zwischen ihr und ihm möglich wäre. Beruflich blieb es jedoch schwer zwischen ihnen.
»Du wirkst heute abwesend. Ist wirklich alles okay?« Dennis löste sie aus ihren Überlegungen.
»Ja, alles okay, ehrlich. Ich habe nur gerade an die Arbeit gedacht.« Sie schalt sich für ihre Gedanken und dafür, dass sie sie ausgesprochen hatte. Sie wollten doch nicht über dieses Thema sprechen. Die Stunden hier waren ihre Zeit und nicht die der CIA oder Special Forces. Es war privat, romantisch, harmlos und nicht beruflich, gefährlich und explosiv.
»An was Bestimmtes?«
»Wir wollten hier doch nicht über den Job sprechen!« Tadelnd sah sie ihn an. Sie kamen einmal in der Woche her und hatten es bisher geschafft, die Arbeit außerhalb des Restaurants zu lassen.
»Na ja, du weißt von mir, dass ich als Kind die selbstgebackenen Sandkuchen gegessen habe, dass ein Hund mein jahrelanger Begleiter war, und dass ich es absolut nicht ausstehen kann, wenn ich angelogen werde, und vieles mehr. Vielleicht dürfen wir nun ein klein wenig Arbeit in unsere Dates einstreuen, vor allem, wenn sie dafür sorgt, dass du so abwesend bist.« Er schmunzelte, als er ihr Essen als Date bezeichnete. Eine Bezeichnung, mit der sie nicht vollständig einverstanden war. Dates hatten in ihren Augen nur Menschen, die noch kein Pärchen waren. Sie und Dennis hatten eine Beziehung. Da lief das, was sie hier gerade taten, für sie unter einem einfachen »essengehen und Zeit zusammen verbringen.«
»Okay.« Rabea atmete durch. Womöglich hatte er Recht und sie konnten sich so die ein oder andere berufliche Sorge in einer schönen Atmosphäre von der Seele reden. Das könnten sie in ihrer Wohnung zwar auch, aber …
»Also?« Er beugte sich vor und sah sie interessiert an. »Was liegt dir auf der Seele?«
»Ich habe gerade an Sean gedacht.«
Dennis ließ sich auflachend zurück in den Stuhl fallen und vergaß ganz offensichtlich kurzzeitig alle Manieren, denn sein Lachen zog einige Blicke auf sich. »An den denke ich nach Feierabend nur ungern, wobei es wirklich ruhiger ist, wenn er nicht da ist. Aber erzähl, warum du an ihn gedacht hast.« Ihr Freund war nun wieder um einen ernsten Ausdruck bemüht.
»Er hat doch in einer Woche die Verhandlung, wo dann entschieden wird, ob er zurückkommen kann oder ob er sich wegen Mordes verantworten muss.«
Dennis nickte. Sean Harrison hatte in seinen Jahren als Ausbilder der SEALs unter Umständen einen großen Fehler gemacht und vielleicht hatte er jahrelang jemanden an der Hand gehabt, der dafür gesorgt hatte, dass es bisher nie zu einer Anklage gekommen war. Der ihm Deckung gegeben hatte. Der Captain könnte seinen Job verlieren und vieles mehr. Dann könnte es durchaus sein, dass aus dem, im privaten freundlichen Mann, wieder das wurde, was sie als Erstes von ihm gehört hatte. Ein cholerischer Typ, der in der Lage war, mit seiner reinen Anwesenheit alle zu vergraulen.
»Weißt du schon irgendwas?«
»Nein.« Sie schüttelte bei Dennis Frage den Kopf. »Ich bin bei der CIA und nicht für irgendwelche Urteile verantwortlich. Ich hoffe für euch und ihn, dass die Klage abgewiesen wird. Auch wenn er auf der Arbeit ein Ekel ist, schätze ich ihn und seine Art. In der Freizeit ist er ein netter Typ.«
»Er ist eine Sorte Mensch für sich, das stimmt.« Dennis nickte, sagte aber nichts mehr. Sie wusste, dass für Dennis gerade die Zeit nach seiner Ankunft aus Deutschland in San Diego nicht immer leicht gewesen war. Sean verlangte allen alles und noch mehr ab. Jedoch nie aus Böswilligkeit, sondern weil er wusste, wie hart der Job, den das Team hatte, werden konnte. Wenn man in Extremsituationen aufgab, hatte man in der Einheit der I.A.T.F nichts zu suchen.
»Also gibst du keinen Tipp ab, wie das Verfahren ausgeht?« Die Art wie Dennis sie nun ansah, sollte sie wohl dazu auffordern, dass sie etwas zu dem möglichen Ausgang des Prozesses sagte.
»Nein, zum einen kann ich es nicht, zum anderen wäre es unprofessionell« Rabea schüttelte den Kopf. Sie wünschte sich zwar tatsächlich, dass man den Captain des Alpha-Teams freisprechen würde, aber sie konnte nicht sagen, ob es so kommen würde. Sie wollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Außerdem fand sie es nicht in Ordnung, wenn man Tipps oder gar Wetten auf solche Dinge abschloss. Es waren menschliche Schicksale und keine Pferderennen, auf die man sein Gehalt setzte.
»Schade.« Dennis ließ seinen Blick durch das Restaurant schweifen und sah dann auf seine Uhr. Für sie war dieser kaum zu bemerkende Blick immer das Zeichen dafür, dass sie ihr Stammrestaurant bald verlassen würden. Wahrscheinlich musste Dennis am kommenden Tag wieder früh an der Base sein und er wusste, dass der Tag anstrengend werden würde. Sie nahm einen letzten Schluck aus ihrem Glas.
»Wollen wir gehen?« Es gelang ihr, Dennis Aufmerksamkeit zu bekommen, der seit einigen Minuten abwesend wirkte. Auch sein Nicken auf ihre Frage erschien ihr halbherzig. Er hob die Hand, als einer der Kellner seinen prüfenden Blick über die Gäste schweifen ließ.
Der Mann war innerhalb weniger Sekunden bei ihnen. »Sie wünschen?« Der junge Mann, den Rabea für einen Studenten hielt, sah erst sie und dann Dennis an.
»Wir würden gerne zahlen.«
»Natürlich. War alles zu Ihrer Zufriedenheit?« Der Mann nickte ihnen, die Frage stellend, zu und schien glücklich darüber zu sein, dass sie seine Frage bejahten. Er eilte zur Kasse und kam wenig später mit einem leicht irritierten Blick zurück.
»Der Betrag der Dame ist bereits beglichen worden.« Er hatte sie nur kurz angesehen und musterte nun Dennis, dem er einen Bon auf den Tisch legte.
»Wie, der wurde schon bezahlt?« Dennis sprach erst den Kellner an und sah dann zu ihr. »Hast du? Es ist kein Problem für mich, wenn ich zahle.« In seiner Stimme konnte sie Unmut hören. Sie hatten es immer so gehandhabt, dass sie abwechselnd gezahlt hatten. Wenn er nun annahm, dass sie ihren Teil der Rechnung bereits beglichen hatte, würde der Abend sicherlich sehr angespannt und womöglich mit einem Streit enden.
»Ich habe einen Vermerk im Reservierungsbuch, dass die Mahlzeit der Dame bereits mit Trinkgeld beglichen wurde.« Dem Kellner war die Situation nun sichtlich unangenehm.
»Wer hat das bezahlt?« Dennis musterte den Mann mit einem unnötig scharfen Blick.
»Das weiß ich leider nicht. Es muss gezahlt worden sein, ehe ich meinen Dienst hier angetreten habe, also heute in der Mittagszeit.« Rabea konnte sich nicht vorstellen, wer ihre Rechnung übernommen haben könnte. Nur wenige ihrer Kollegen wussten von Dennis und noch weniger davon, dass sie sich hier einmal in der Woche zum Essen trafen. Erst recht wollte ihr niemand einfallen, der für sie zahlen würde.
»Können Sie herausbekommen, wer bezahlt hat?« Rabea zog ihren Dienstausweis aus ihrer Gesäßtasche und legte ihn so unauffällig wie möglich auf den Tisch. Nun war es keine Unsicherheit mehr, die im Gesicht des Kellners zu sehen war, sondern ein Funken Entsetzen.
»Ich könnte meinen Kollegen fragen.«
»Dann machen Sie das.« Dennis ranzte den Mann an, ehe sie etwas sagen konnte.
»Komm runter.« Sie richtete ihre Aufmerksamkeit strafend auf Dennis. »Er ist der Letzte, der etwas dafür kann. Er arbeitet hier nur und ist am Ende des Tages froh, wenn seine Kasse stimmt und er den einen oder anderen Dollar Trinkgeld bekommen hat.«
»Erst die ständigen Blumen, nun das Essen. Und du willst mir erzählen, dass du nicht weißt, wer dir da den Hof macht?« Ungehalten deutete Dennis an, aufstehen zu wollen.
»Ja, das will ich, weil ich es wirklich nicht weiß. Lass uns warten, bis er wiederkommt, vielleicht wissen seine Kollegen ja etwas.«
Dennis Lippen zogen sich unter seinem Bart zu dünnen Linien zusammen. Er war sauer und ungehalten, was sie verstehen könnte, wenn es einen Grund dafür gäbe. Aber der existierte nicht.  

2.

Dennis bemühte sich ruhig zu bleiben. Die Sträuße, die er in den letzten Wochen immer wieder im Büro von Rabea gesehen hatte waren das eine. Mit einem heimlichen Blumenschicker hätte er sich unter Umständen arrangieren können. Vor allem, da er davon ausgegangen war, dass der Unbekannte seine Bemühungen irgendwann einstellen würde. Dass diese Person ihm nun aber auch noch beim gemeinsamen Essen ins Handwerk pfuschte, ließ seinen Blutdruck steigen. Und warum reagierte Rabea so gelassen? Wieso tat sie so, als wäre es das Normalste der Welt, wenn man beim Essen im Restaurant erfuhr, dass die Rechnung bereits beglichen war. So etwas war ihm noch nie passiert.
»Ich weiß wirklich nicht, wie das sein kann, aber vielleicht finden wir das ja raus. Und bis dahin, freu dich doch drüber.« Sie zwinkerte ihm zu und wollte so wohl erreichen, dass er das tat, was am sinnvollsten war. Sich über das Geschenk freuen. Seine Mutter würde ihm nun raten, etwas anderes mit dem Geld zu kaufen, das er so gespart hatte. Das riet sie ihm in Fällen, in denen er spontan an Geld gelangt war oder eingespart hatte, immer. Zumindest war das in Kindertagen so gewesen. Aber hier ging es nicht um einen Lolli oder eine Coke. Es ging um seine Freundin und darum, dass sich jemand bei ihr ein-schmeicheln wollte.
»Was ist, wenn dich irgendein Irrer stalkt, der dir was antun will oder so?« Dennis atmete durch, ehe er eine Frage stellte, die ihm bleischwer im Magen lag. »Ein Exfreund vielleicht? Oder hast du irgendwem einen Grund gegeben, etwas falsch zu interpretieren?« Er konnte sich bei Rabea nur schwer vorstellen, dass sie falsche Signale sendete. Rabea wusste immer genau, was sie wollte und was nicht. Und das zeigte sie oft mehr als deutlich. Nicht umsonst hatten seine Kollegen Monate benötigt, um zu erkennen, dass Rabea in den meisten Fällen nur ihren Job tat und dass sie in ihrer Freizeit ein völlig anderer Mensch war. Dennis fiel es schwer sich vorzustellen, dass sie womöglich auf der Arbeit ihre Fassade hatte fallen lassen und dass deswegen jemand der Ansicht war, ihr schöne Augen machen zu müssen. Vielleicht hatte ein Kollege ihren Blick missverstanden und es als Flirt aufgefasst. Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Nicht bei Rabea.
»Du tust so, als könnte ich mich nicht wehren.« Sie hatte ihre Augenbrauen zusammengezogen und funkelte ihn an. Sie waren nur Sekunden von einem Streit entfernt, der völlig unnötig war.
»Doch kannst du, aber …« Dennis war bewusst, dass er nun schnell die passenden Worte finden musste, um dem aufkommenden Streit aus dem Weg zu gehen. »Ich darf mir doch noch Sorgen machen, wenn schon nicht um dich, dann um den, den du dann verprügelst.« Er zwang sich zu einem Grinsen. Gegen einen dahergelaufenen Taschendieb konnte sie sich wehren. Er war sich aber nicht sicher, ob es ihr auch bei einem Menschen gelingen würde, der sie ganz offensichtlich schon eine Weile beobachtete und der unter Umständen sehr gefährlich war. Dennis wusste, dass sie nicht gerne daran erinnert wurde, dass sie schon einmal von Fremden so überfallen worden war, dass ihr die Flucht nicht gelungen war. Damals war viel Glück im Spiel gewesen, dass sie nun mit ihm hier saß. Ohne diesen Vorfall wäre es aber auch nie dazugekommen, dass sie nun ein Paar waren.
»Du musst dir aber keine Sorgen machen. Ich finde raus, wer das ist, ergreife entsprechende Maßnahmen, dann ist Ruhe und alles wieder wie vorher.« Ihr Lächeln wirkte in diesem Moment nicht so ehrlich, wie sie es wohl wollte. Es war, als fiel es ihr selbst schwer, ihren Worten zu glauben. Womöglich hatte sie Angst vor dem, was sie entdecken würde, wenn sie den ominösen Fremden fand.
Sie wollte ihre Mimik sicherlich so wirken lassen, als würde es so einfach werden wie sie es gerade ausgesprochen hatte, ihm entging allerdings nicht, dass sie nachdenklich wirkte. Tief durchatmend nickte er nach einem kurzen Zögern. »Okay, aber wenn …« Sollte er ihr anbieten, dass sie ihn anrufen konnte, wenn sie Hilfe benötigte? Aber er musste mit solchen Angeboten vorsichtig sein. Er war nicht immer zu erreichen und sollte ein Einsatz dazwischen kommen, war er für eine längere Zeit nicht in der Lage ihr zu helfen.
»Ich melde mich, wenn es sich um einen Zombie oder so handelt, mit dem ich nicht fertig werde, weil die nicht zur CIA-Ausbildung gehören, versprochen. Lass uns gehen.« Sie erhob sich vor ihm.
Schweigend verließen sie, nachdem er seine offene Rechnung beglichen hatte und sie nichts über den anonymen Spender in Erfahrung hatten bringen können, das Restaurant. Draußen bildete Dennis sich kurz ein, eine Person gesehen zu haben, die sich eine Kapuze über den Kopf gezogen hatte, als sie aus dem Restaurant gekommen waren. Allerdings hatte er sie innerhalb weniger Sekunden aus den Augen verloren, da sie sich durch eine große Gruppe Menschen gedrängt hatte, die laut redend den Bürgersteig entlang kamen.
»Alles okay?«
Er verspürte einen leichten Druck an seiner Hand und bemerkte Rabeas fragenden Blick. Sollte er sagen, dass er gerade jemanden gesehen hatte und dachte, sie würden verfolgt werden, oder sollte er es verschweigen? Rabea war bei weitem nicht wehrlos und er wollte das Thema an diesem Abend nicht erneut anschneiden. Außerdem, wenn sie verfolgt wurden, wäre die Person wohl nicht geflüchtet. Vielleicht bildete er sich das alles nur ein und der Gönner war ein liebestoller Kollege, der irgendeinen Blick falsch gedeutet hatte.
»Ja.« Nickend trat er wieder neben sie und zwang sich, die Person zu vergessen.
Der Parkplatz gegenüber des Restaurants war immer noch gut gefüllt, als Dennis den Wagen auf die Straße lenkte. Erneut brachte ein dunkler Schatten ihn aus dem Konzept, so dass er einige Sekunden zu lange benötigte, ehe er sich in den Verkehr eingliedern konnte.
»Sicher, dass alles okay ist? Du hast eben schon ausgesehen, als hättest du einen Geist gesehen. War der eine Wein zu viel?« Sie legte ihre linke Hand auf seine rechte, die er auf dem Schaltknüppel abgelegt hatte.
»Ja.« Auch dieses Mal nickte er, konnte sich aber nicht daran hindern, mehr auf die Fußgänger als auf die Straße zu achten, was nach nur wenigen Sekunden von anderen Verkehrs-teilnehmern mit einem Hupkonzert bedacht wurde.
»Soll ich fahren?« Rabeas Frage war von einem festen Griff an seiner Hand untermalt.
»Nein, alles okay.« Erneut zwang er sich, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Allerdings ging ihm die dunkel-gekleidete Person einfach nicht aus dem Sinn. Rabeas Wohnung war eine halbe Stunde Autofahrt von dem Restaurant entfernt. Sie lag in der Nähe der Coronado-Base, damit ihr Weg zur Arbeit möglichst kurz war, sollte sie bei einem Notfall gebraucht werden. Hier liefen so viele Uniformierte und gut ausgebildete Soldaten herum, dass Dennis sich einredete, dass ihr hier nichts passieren würde.
»Wie kommst du morgen zur Arbeit?« Dennis sah seine Freundin an. »Ich kann dich um halb fünf mitnehmen.« Der Gedanke daran, dass er um fünf in der Base sein musste, ließ ihn innerlich mit den Augen rollen. Ihre Tage bestanden aus langen Trainingseinheiten, die dafür sorgten, dass sie oft an den Abenden mehr tot als lebendig in die Betten fielen. Obwohl Sean nicht da war, war das Training außerhalb der Base brutal.
Rabea schüttelte protestierend den Kopf. Sie hatte ihren Wagen am Büro stehen lassen, somit würde sie mit einem Taxi fahren müssen, oder sie nahm einen der Busse, die hier an vielen Orten hielten und nur Militärangehörigen zugedacht waren und gerne genutzt wurden, da die Parkplatzsituation auf dem Gelände der Base zeitweise mehr als chaotisch sein konnte.
»Wenn du aufstehst, drehe ich mich noch zwei Mal um und genieße es, dass ich eine höhere Gehaltsklasse habe.« Sie lächelte ihn an.
»Daran erinnere ich dich, wenn du mal vor mir aufstehen musst, oder gar keine Zeit zum Schlafen hast.« Dennis löste bei seiner Antwort den Blick nicht von der Straße. Sie beide kannten diese Tage, an denen es so spät wurde, dass es schon wieder früh am Tag und kein Schlaf in Sicht war. Mit dem von Rabea angesprochenen Unterschied, dass sie mehr Geld dafür bekam, dass sie nicht schlief.

3.

Rabea vernahm das Klingeln von Dennis Handy und zog ihre Hand von seiner nackten Brust. Murrend drehte er sich auf die Seite. Im nächsten Augenblick landete etwas klirrend auf dem Boden ihres Schlafzimmers, weswegen sie blinzend zu Dennis sah, der sich leise seufzend im Bett aufrichtete und anschließend etwas aufhob. Dass es sein Schlüssel war merkte sie, als er damit herumklimperte, um sie zu ärgern.
Sie gab ein Murren von sich. »Wenn du nicht willst, dass ich dich mit deinem Schlüssel ersteche, solltest du das lassen.«
»Wie willst du das denn dann erklären?« Dennis streckte sich neben ihr und sah sie schlaftrunken an.
»Du bist unglücklich während des Liebesspiels aus dem Bett gefallen. Und einer der Schlüssel muss wohl ebenso unglücklich hochgestanden haben, dass er dich so verletzt hat, dass du verstorben bist.« Rabea begann über ihre eigenen Worte zu grinsen und konnte sich nicht schnell genug wehren, als Dennis plötzlich über ihr lag. In seinen Augen funkelte ihr der Schalk entgegen.
»Wenn ich nicht sowieso schon spät dran wäre, würde ich das aus dem Bett fallen jetzt mit dir üben.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und war so flink wieder von ihr verschwunden, wie er über ihr gelegen hatte.
»Du könntest ja einfach zu spät kommen«, erklärte sie mit einem Gähnen und betrachtete das Muskelspiel seines nackten Rückens, als er sich streckte.
»Und heute Abend gar nicht?« Dennis sah kurz über seine Schulter, ehe er sich nach seiner Kleidung bückte.
»Kommen oder erscheinen?« Sie legte den Kopf auf die Seite. »Oder muss ich dich dann irgendwo am Strand suchen, weil du es nicht bis zur Base geschafft hast?« Sie zog ihn damit auf, dass das Team mehr Zeit am Strand und im Wasser verbrachte als viele andere. »Weißt du, was ich nicht verstehe?«
»Hm?« Er wandte sich, sein Shirt anziehend, zu ihr um.
»Warum trainiert ihr wie Wilde im Wasser, wenn es in Afghanistan, Kenia und Mali so gut wie keins gibt?« Sie war gespannt auf seine Antwort. Dass das Training in der Form, in der das Team es absolvierte, einzig zum Aufbau der Kondition gedacht war, war ihr bewusst und doch wollte sie wissen, was er sagen würde.
»Warum muss man sich in Flugzeugen den Mist mit den Schwimmwesten anhören, wenn man Inland fliegt?« Dennis schloss seine Hose und musterte sie mit hochgezogenen Brauen.
»Stell dir vor, du stürzt über einem Freibad ab.« Angestrengt hinderte sie sich, zu lachen.
»Agent Thornton, wissen Sie was?« Er stemmte die Hände in die Hüften.
»Nein.« Rabea war um eine ernste Tonlage bemüht und biss sich nun auf die Unterlippe.
»Wenn die Jungs wüssten, wie du sein kannst, wenn du nicht arbeitest, dann würden sie dich wirklich mehr mögen.« Am Bett stehend beugte er sich zu ihr. »Ich liebe dich, bis später.« Schneller als sie ihn daran hindern konnte, da sie die Wärme seiner Nähe noch einen Moment länger hatte genießen wollen, hatte er sich wieder aufgerichtet.
»Ich liebe dich auch.« Auf seine Kollegen würde sie nicht mehr eingehen. Dass es Liebe war, die zwischen ihnen für ein permanentes Knistern in der Luft sorgte, war ihr erst vor wenigen Tagen wirklich bewusst geworden. Im Büro sitzend hatte sie Unterlagen durchgesehen und war auf einige verschollene Afghanistanveteranen gestoßen. Dass zwei der Männer Frauen und Kinder hinterlassen hatten, hatte sie nachdenklich gestimmt. Was würde sie machen, wenn Dennis eines Tages nicht zurückkommen würde? Egal, ob tot oder verschollen, der Gedanke hatte ihr den gesamten Tag Bauchschmerzen verursacht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie ihr Herz derart an ihn verlieren würde. Sie war der Meinung gewesen, dass sie damit klarkommen würde, wenn er sagen würde, dass er kein Interesse mehr an ihr hatte. Aber diese Gedanken hatten ihr schwer zugesetzt, weswegen sie ihm am Abend ihre Liebe gestanden hatte. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen konnte und dass es ihr Wunsch war, ihn das wissen zu lassen. Die zufallende Haustür schreckte sie auf. Sie war wieder eingenickt, während Dennis sich fertig gemacht hatte. Etwas, das ihr ständig passierte, wenn er so früh am Morgen aufbrach. Er verabschiedete sich dann nicht von ihr, damit sie weiterschlafen konnte. Sie musste erst gegen neun im Büro sein. Somit hatte sie noch Zeit zum Schlafen, Duschen und Kaffeetrinken. Einige Male hatte sie sich schon bei dem Gedanken erwischt, dass sie sich wünschte, Dennis müsste auch erst um diese Zeit in der Base sein. Aber sie kannte diese frühen Arbeitszeiten ebenfalls. Tage, an denen auch sie keinen oder nur wenig Schlaf bekam. Die Klingel der Haustür ließ sie verdutzt zur Schlafzimmertür schauen. Es klingelte zwei weitere Male und sie stieg mit einem Grinsen aus dem Bett. Dennis hatte sicher wieder einmal seinen Schlüssel vergessen und konnte nun weder in die Wohnung, noch konnte er mit dem Wagen wegfahren. Rabea wollte den Schlüssel vom Nachttisch mit zur Tür nehmen, als sie sich ein Shirt überzog, aber dort lag er nicht.
»Wenn du dir mal angewöhnen würdest, deine Sachen nicht überall hinzulegen, dann würdest du nun auch nicht vor der Tür stehen.« Mehr mit sich, als mit Dennis redend, der sie nicht hören konnte, ging sie zur Haustür, wo es ein viertes Mal klingelte.
Sie drückte die Klinke hinunter. »Ordnung ist das halbe Leben und im Schlafzimmer …« Rabea brach ab. »Wer sind Sie?« Es gelang ihr nicht mehr, die Tür zuzudrücken, die sie mit einem breiten Grinsen, nur in dem dunkelblauen Shirt und mit einer alten Shorts bekleidet, geöffnet hatte. Der große Mann, der sein Gesicht unter einer Sturmhaube verbarg, hielt die Tür offen und packte sie am Arm, ehe sie zurückweichen konnte. Sie wollte sich mit einem gezielten Tritt von dem muskulösen Mann befreien, wurde aber bereits bei dem Versuch von ihr auf den Boden gebracht. In einer Geschwindigkeit, die ihr die Chance zum Atmen nahm, lag sie auf dem Bauch und der Fremde presste ihr ohne Erbarmen ein Knie in den Rücken. Atmen und Bewegen wurde unmöglich. Er packte ihren rechten Arm, drehte ihn auf ihren Rücken und nahm ihr noch mehr von der kaum vorhandenen Bewegungsfreiheit. Als sie zumindest einen Blick auf ihn erhaschen wollte, tauchte ein weißes Tuch vor ihrem Gesicht auf. Sie kannte den süßlichen Geruch, der ihr schon in die Nase stieg, ehe das Tuch dort war, wo es hinsollte. Sie versuchte, ihm auszuweichen, doch die Pranke mit dem Lappen war schneller und riesengroß. Würde er aufgeben, wenn sie die Luft anhielt? Und wie lange konnte sie das? Würde zufällig jemand sehen, was hier passierte? Er war zu schwer, zu groß und zu kräftig, als dass sie alleine gegen ihn ankam.
»Lass den Scheiß.« Ein harter Schlag in ihre Seite ließ sie schmerzerfüllt nach Luft schnappen. Schneller als sie denken konnte, spürte sie, wie die Kraft sie verließ und die Bewusstlosigkeit nach ihr griff.