Nathan – Schatten der Vergangenheit

Leseprobe

Prolog

Nathan sog die kühle Nachtluft ein. Er beobachtete, wie Syrell seine Hände auf Yvonnes Schultern legte, die vor ihnen auf der Bank saß. Nochmals tief einatmend spürte er, wie sich irgendwo tief in seinem Inneren ein Knoten löste, der ihn viel zu lange blockiert hatte.

»Wisst ihr, ich weiß, dass ich vieles getan habe, was ich vielleicht nicht hätte tun sollen. Da ist so vieles, was ich rückgängig machen möchte, kann es aber nicht. Ständig höre ich Shanes Stimme und immer wieder sehe ich ihn vor mir.« 

Er hörte, wie Syrell zischend den angehaltenen Atem ausstieß.

»Nein Indy, ich werde mir keinen Seelenklempner suchen, vergiss es.« Nathan wusste, was Syrell sagen wollte, dafür musste er kein Hellseher sein.

»Nathan?« Yvonne drehte sich zu ihm um und Nathan beobachtete, wie Syrell ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich.

»Ja?« 

»Wer ist sie?« Die grünbraunen Augen der Deutschen strahlten ihn neugierig an und er bemerkte das verdutzte Gesicht von Syrell.

»Wer?« Nathan schluckte und versuchte die Erinnerungen zu verdrängen, die plötzlich wieder aus dem Dunkel hervorkrochen und sich, wie eine Schlinge, um ihn legten.

Yvonne lächelte ihn an.

»Zu wem gehören diese grünen Augen, Nathan?« 

Er hasste es, wenn sie das tat. Aber noch mehr verfluchte er es, wenn Syrell es war, der in seinen Gedanken herumstocherte und Dinge hervorholte, die er nie wieder hatte sehen wollen. 

Nathan zögerte, sah Yvonne in die Augen und schluckte. »Harper, ich habe sie während der Ausbildung kennengelernt.« Er konnte das Lächeln nicht unterdrücken, das sich auf sein Gesicht legte, als er an die blonde Schönheit dachte, die er durch sein Verhalten verjagt hatte, bevor sie sich überhaupt richtig kennenlernen konnten.

»Ich glaube, du hast ganz viel zu erzählen, Nath. Ich wusste nicht, dass es in deinem Leben ein weibliches Wesen gibt.« Die tiefe, ruhige Stimme von Syrell bewirkte, wie so oft, dass Nathans Puls sich verlangsamte. 

»Da ist noch viel mehr Sy, viel mehr.« Nathan seufzte. Plötzlich wollte das, was er seit Jahren hinter großen Toren eingeschlossen hatte, hinaus.

Er begann zu erzählen. Wie er, Cayden und Sean von seinem Vater ständig zu schulischen Höchstleistungen angetrieben wurden. Wie sehr ihn der ständige Druck belastet hatte und wie froh er gewesen war, dass Shanes Familie ihn gelegentlich aufgenommen hatte. Shanes Namen auszusprechen, verlangte ihm eine unglaubliche Kraft ab. Mit geschlossenen Augen holte er tief Luft, und war froh, dass ihn niemand drängte weiter zusprechen. Erst als er sicher war, dass er seine Gefühle im Griff hatte, fuhr er fort. 

Erzählte davon, wie er kurzfristig seinen besten Freund aus den Augen verloren und sich bei der Navy gemeldet hatte, um dort wieder auf Shanes zu stoßen.

Syrell und Ivy waren einfach nur da und hörten ihm zu. Keine Vorwürfe. Keine Fragen. Sie überließen ihm das Tempo und das Thema. Es tat gut einen Teil des Ballastes abzuwerfen, der sich auf ihn gelegt hatte.

»Bewegt euch verdammt noch mal!« Paul Redmans Stimme hallte durch die Nacht und Nathan verkniff sich das genervte Aufstöhnen, als er die Stimme ihres Captains hörte.

»Ja!«, schrie Syrell über seine Schulter, auf die Haustür der Gaststätte zu. Yvonne erhob sich und sah Nathan an. 

»Vergiss nicht, was du sagen wolltest, ja?« 

Er schüttelte den Kopf und sah zum sternenklaren Himmel hinauf.

»Und nun holen wir uns diese kleinen Arschlöcher und treten ihnen mit Hingabe in den Allerwertesten.« Syrell legte einen Arm über Nathans Schultern und zog ihn mit sich zur Tür der Gaststätte, in der sie sich einquartiert hatten.

»Aye«, antwortete er und spürte einen stechenden Schmerz, irgendwo in seinem Inneren. 

Die Worte von Syrell waren so vertraut.

Die folgenden Tage vertiefte er sich in seine Arbeit, bangte beim Absturz des Helikopters um das Leben seiner Freunde und bemühte sich nicht daran zu denken, was auf ihn zukommen würde, wenn seinen Brüdern etwas passierte. Immer wieder beobachtete er Yvonne, die eine unglaubliche Ruhe ausstrahlte, und fragte sich, warum er nicht auch in der Lage war, eine solche Gelassenheit an den Tag zu legen.

Nach einer Woche sinnlosem Hin und Her in Deutschland, in der Miguel sie auf die Probe gestellt hatte, brachen sie ihre Mission ab und kehrten nach San Diego zurück, ohne den Italiener gefasst zu haben. Was ihr ehemaliger Teamkollege jedoch vorhatte, lag in einer Grauzone. Harry versuchte selbst nach der Rückkehr noch einen Sinn in dem zu finden, was der Gebirgsjäger getan hatte.

»Kommst du?« Syrells Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er stellte die Tasse, die er bereits vor einer Ewigkeit geleert hatte, auf den Küchentisch der Villa.

»Ja.«

Es war früher Morgen und seit vier Tagen traf er sich mit Ivy und Syrell am Strand. Bis jetzt hatte er allerdings den Faden noch nicht wieder gefunden, mit welchem er an das anknüpfen konnte, was er ihnen in Deutschland erzählt hatte. Wie sollte er von Harper zu dem kommen, was in Afghanistan passiert war? Langsam verließ er die Villa und genoss die Sonnenstrahlen, die sein Gesicht wärmten. Erstaunt darüber, dass er das erste Mal seit seinem Einzug den salzigen Geruch des Meeres bewusst wahrnahm, ließ er sich neben Syrell und Yvonne nieder. 

Es schmerzte ihn in seiner Seele zu sehen, wie vertraut Yvonne ihren Kopf an Syrell legte, der sich hinter sie gesetzt hatte und seinen Blick fragend auf Nathan richtete.

»Hast du viel mit ihr geredet?« Yvonne sah ihn an.

»Wir hatten nicht wirklich die Möglichkeit zu reden, Poison. Als ich sie kennengelernt habe, war Sean schuld, dass ich schnell wieder weg musste.«

»Ach die aus der Bar«, murmelte Syrell.

»Ja die.« gab Nathan leise zurück. Er schloss die Augen und dachte an die Zeit, bevor er Harper kennengelernt hatte. Langsam holte seine Vergangenheit ihn ein und riss ihn mit sich.

1.

Er hasste dieses Gesicht, das sich nur Zentimeter von seinem entfernt befand. Er hasste diese grünen Augen, die ihn anfunkelten. Er hasste die Stimme, die in sein Ohr drang.

»Harrison, was glauben Sie, was Sie hier machen? Bewegen Sie sich, verdammt noch mal!«

Er hasste die Lautstärke, in der der Mann vor ihm ihn anbrüllte. 

Er rief sich wieder in Erinnerung, warum er eigentlich hier stand. Warum er sich von einem kleineren Mann anbrüllen ließ. 

Hinter ihm standen andere Männer und nur gemeinsam konnten sie ihre Aufgabe so erfüllen, dass der Senior Chief vor ihnen vielleicht zufrieden war.

Seine Arme brannten vor Anstrengung und er hievte den Baumstamm wieder über den Kopf. So ging das schon seit Stunden. 

»Stellt euch nicht so an! Was seit ihr für Mädchen?« Nun lief er an ihnen vorbei und brüllte jeden Einzelnen hasserfüllt an. Sie stemmten den Baumstamm wieder auf die Schulter, was den Schmerz von den Armen in die Schulter verlagerte. 

»Das hab ich schon mal schöner gesehen!« 

Wieder und wieder stemmten sie den 160 Kilo Stamm nach oben, und das Gebrüll des Chiefs ließ nicht nach. Nathans Realität begann langsam vor Erschöpfung zu verschwimmen, er wusste, dass der Tag noch lange nicht vorbei war. 

Er musste bis zum Essen durchhalten, das hatte Cayden gesagt und Sean war lachend aus dem Zimmer gegangen. Seine Brüder hatten es auch geschafft und er würde so lange weiter machen, bis auch er das Trident der SEALs an seiner Brust trug. Sein Stolz ließ nicht zu, dass sie besser sein sollten als er. Sein Vater hatte es zwar nie bis zum SEAL gebracht, aber immerhin war auch er ein angesehener Soldat, der allerdings im Gegensatz zu ihnen, früh in den Innendienst gegangen war. Seans Wahn war es wohl gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass Cayden ihm in die Navy gefolgt war und das sein Vater immer wieder voller Stolz gesagt hatte:

»Schau dir die Jungs an, Nath. Die bringen es mal zu etwas.«

Nathan schnaubte bei dem Gedanken an die Worte seines Vaters. Ja, Sean hatte es zu etwas gebracht, er war ein SEAL. Auch Cayden hatte es geschafft und war nun ständig auf Lehrgängen, um ein noch besserer Schütze zu werden, als er es ohnehin schon war. 

»Ablegen! Liegestütze! Alle!« 

Wieder diese gottverdammte Stimme, in einer Lautstärke die selbst Tote wecken könnte.

So vorsichtig sie konnten, legten sie den Stamm auf den Sand des Strandes, für dessen Schönheit sie kein Auge hatten. 

»Schneller!« 

Nathan verdrehte die Augen, als er die Stimme des Chiefs vernahm. Entweder sie waren zu langsam oder nicht ordentlich genug. Irgendetwas hatte der Mann, mit den dunklen kurzen Haaren, immer an ihrer Arbeit auszusetzen. Er ließ sich, wie die anderen auch, auf den Boden fallen, und begann seine Liegestütze zu zählen.

»Harrison, glauben Sie bloß nicht, dass ich blind bin!« Der Chief stand neben ihm und drückte ihn, mithilfe seines Fußes, den er auf Nathans Rücken gestellt hatte, in den Sand. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte sich Nathan wieder und wieder hoch, bis es dem Chief scheinbar zu langweilig wurde und er sich einen Anderen aussuchte, den er terrorisieren konnte. 

»Ich werde dafür sorgen, dass Sie die nächsten vier Monate nicht mal mehr im Ansatz an das denken, was Sie in dieser Position sonst noch machen könnten. Haben Sie das verstanden?« Wieder dröhnte die Stimme von O’Neil über sie hinweg.

»Hooyah, Senior Chief O’Neil!«, grölten sie als Antwort.

Nathan lief der Schweiß in die Augen und blinzelnd versuchte er, sich auf seine Aufgaben zu konzentrieren. Aber er kam aus dem Takt und sofort war der kleine Mann wieder neben ihm. Erst sah Nathan nur die Füße von O’Neil, dann ließ sich der Chief neben ihn auf den Boden fallen und sah ihm in die Augen.

»Was machen Sie hier Harrison?«, schrie er ihn an, während Nathan sich wieder hochstemmte. 

»Ich lasse mir von Ihnen den Arsch aufreißen, Senior Chief O’Neil!«, schrie er ebenso laut zurück.

»Okay.« Mit einer eleganten Bewegung war der Mann wieder auf den Beinen. »Dann hat Miss Harrison sicher nichts dagegen, noch mal 40 Liegestütze extra zu machen.«

Am liebsten hätte Nathan nun geschnaubt und sich geweigert aber er wusste, dass er sich so nur noch mehr Ärger eingeheimst hätte.

»Nein, Senior Chief O’Neil!« 

»Wunderbar!«

Zwei dunkle Stiefel tauchten vor seinen Augen auf und er sah, wie der Mann vor ihm die Arme hinter dem Rücken verschränkte. Seine Muskeln brannten und er verfluchte es, dass der Chief in der Lage war, jede noch so kleine Bewegung, von ihnen zu deuten. O’Neil hatte recht. Die nächsten Wochen würde er jeden Abend ins Bett fallen und sich wünschen, nicht am frühen Morgen wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. Selbst wenn er den Stützpunkt verließ, kam er nicht einmal im Ansatz auf die Idee, sich abends mit seinen Brüdern in einer Bar volllaufen zu lassen. An diesen Wochenenden wollte er einfach nur seine Ruhe und es genießen nichts zu machen, was dafür sorgen könnte, dass er Ärger bekam. Zu oft hatte er Sean gesehen, der morgens bei ihm und seinen Eltern aufschlug und wie ein geprügelter Hund aussah. Zwar sagte sein Bruder immer wieder, dass er die Schlägereien nicht angefangen hätte, aber ob Nathan einem Mann von 1,95m die plumpen Ausreden abkaufen sollte, die er ihm und seinen Eltern auftischte, wusste er nicht.

»Vierzig, nass und sandig!« 

Nathan sprang auf und rannte hinter den Anderen seiner Gruppe her, als diese sich in die Wellen warfen, um Sekunden später wieder aus dem Wasser zukommen und sich wie Hunde im Sand zu wälzen. 

»Bewegt euch!« 

Nathan war sich sicher, dass er O’Neil eines Tages heimzahlen würde, was er ihm in den letzten Wochen angetan hatte. Er sprang auf und hoffte, dass der Großteil des Sandes wieder aus seinen Sachen fallen würde, wusste aber, dass sich dieses Wunschdenken nicht erfüllen würde. Der dunkelhaarige Mann setzte sich eine Sonnenbrille auf und trieb sie am Strand entlang. Kilometer für Kilometer wurden Nathans Glieder schwerer und der Sand setzte sich in jede Hautfalte. Schwer atmend stellte er nach einer gefühlten Ewigkeit fest, dass sie wieder am Stützpunkt angekommen waren. 

›Pause, endlich ein paar Minuten ohne den Chief. Zeit zum durchatmen und essen.‹ 

Seine Gedanken kannten nur dieses eine Ziel. Eine Sekunde zögerte er, als er die kalte Dusche mitsamt seinen Sachen betrat. Normalerweise waren die Duschen dazu gedacht, ihre Ausrüstung in kürzester Zeit vom Sand zu befreien, aber ihre Ausbilder nutzen die Dusche auch, um ihre Schüler vom Sand zu säubern. Sein Glück war es, dass sie nach dem Essen noch stundenlang Theorie pauken würden. Somit würde er am Abend nicht nur körperlich erschöpft ins Bett fallen, wahrscheinlich würde sein Kopf so schmerzen, dass er schon schlafend die Stube betreten und die schmerzenden Muskeln nicht mehr bemerken würde.

2.

Die nächsten Tage reihten sich an die vorhergegangenen und er war froh, als er am späten Freitagabend in seinem alten oliv farbenen Landrover saß und dieser ihm sogar den Gefallen tat und ansprang. Bis Lamont wären es mindestens vier Stunden Fahrt, in denen es angebracht wäre, nicht am Steuer einzuschlafen. Nathan seufzte und spielte kurz mit dem Gedanken auf dem Stützpunkt zu bleiben, oder bei Sean und Cayden vorbei zuschauen, die sich eine, in seinen Augen, völlig überteuerte Wohnung in Santa Monica genommen hatten. Er war sich nicht mal sicher, warum gerade Sean meinte, er bräuchte noch eine andere Unterkunft neben der Naval Base. Sean war ein Arbeitstier. Er hatte ohne mit der Wimper zu zucken BUD’s hinter sich gebracht, die Höllenwoche mit gebrochenem Fuß überstanden, und war nach dem anschließenden Tauchtraining und dem SQT schnell einem Platoon zugeteilt worden. Im Augenblick wartete er wieder einmal auf einen Einsatz. Sein großer Bruder hatte ihm die Illusion genommen, dass nach BUD’s alles besser werden würde. Die alten Hasen hatten Sean und auch Cayden den Einstieg ins Team schwer gemacht und selbst ein Typ, wie Sean musste sich am Anfang mit geringeren Aufgaben abgeben. 

Ein Klopfen ließ Nathan aus seinen trüben Gedanken auftauchen und er stellte fest, dass er immer noch auf dem Parkplatz in seinem Auto saß. Er sah nach links und blickte in das glatt rasierte, grinsende Gesicht von Shane Baker, der neben seinem Wagen stand. Nathan kurbelte die Scheibe hinunter.

»Hey Harrison, schläfst du schon?«

»Nicht wirklich.« Er kannte den 1,85m großen, dunkelhaarigen Mann, mit dem ovalen Gesicht und den beinah golden wirkenden Augen, seit der Highschool. Nathan hatte keine Ahnung, dass Shane sich ebenfalls für den Weg zum SEAL entschieden hatte, bis sie sich beim Indoc wieder begegnet waren. Er hatte sich geschworen ihre Freundschaft solange zurückzustellen, bis sie entweder an die Glocke getreten waren, oder die Höllenwochen hinter sich gebracht hatten. Scheinbar sah Shane die Sache etwas anders. 

»Was hast du vor Harrison?« 

»Ich wollte nach Lamont, zu meinen Eltern.« 

»Hm, da bist du ja bis in die Nacht unterwegs. Hast du nicht Lust, mit mir und ein paar Jungs, um die Häuser zu ziehen?« Shane hatte seinen Hände auf die heruntergelassene Scheibe gelegt und sah ihn fragend an.

»Eigentlich wollte ich eine ruhige Kugel schieben, Baker.«

»Ach komm, Nathan, wird Zeit mal wieder ein paar Mädels aufzureißen. Sag nicht, dass du dazu zu müde bist.« 

Nathan wollte nicht durchblicken lassen, dass ihn das Training mehr als nur schlauchte und er eigentlich selbst zum fahren, schon viel zu müde war. Außerdem war es vielleicht eine Abwechslung, mal ein paar Stunden raus zu kommen. Ein paar Drinks würden sicher nicht schaden. 

»Komm, Harrison, gib dir einen Ruck.« Shane grinste ihn frech an. 

»Hey, ja okay.« Er stellte den Motor ab, zog den Schlüssel ab und schob Shane, beim Öffnen der Autotür, zur Seite.

»Geht doch, hab schon gedacht O’Neil hätte den Draufgänger zum Schweigen gebracht.« Lachend ging der dunkelhaarige Mann einige Meter zurück. »In einer Stunde vorne, dann sind wir auch da.«

»Wer ist Wir Baker?« Interessiert sah er den Mann vor sich an.

»Siehst du dann Harrison.« 

Mit diesen Worten rannte Shane auf das riesige, graue Gebäude zu, in dem sie untergebracht waren. Nathan schüttelte den Kopf, als er sah, wie Shane in dem Gebäude verschwand. Seinem Freund schien die Quälerei der letzten Tage nicht im Geringsten zu stören. Er bewegte sich wie immer, geschmeidig und schnell wie eine Raubkatze. 

Nathan zog seinen Rucksack wieder von der Rückbank, warf die Autotür zu und schloss den Wagen ab. Langsam ging er auf das Gebäude zu, aus dem er vor dreißig Minuten herausgekommen war und sich auf eine Badewanne mit viel warmem Wasser gefreut hatte. Nun würde er sich wieder mit der kalten Dusche begnügen müssen. 

Fünfundvierzig Minuten später stand Nathan vor dem kleinen, weißen Häuschen, an dem sich Besucher an, und er sich abmelden musste. Suchend sah er sich um und warf einen Blick auf seine Uhr. Er war fünf Minuten zu früh. Vor einigen Monaten noch hatte es ihn nicht gestört zu warten, aber seit einiger Zeit konnte er es nicht mehr leiden, wenn sich jemand auch nur um Sekunden verspätete. Er begann im Geiste die Sekunden zu zählen und starrte seine weißen Adidas-Schuhe an. Genervt sah er sich nach sechs Minuten erneut um. Immer noch war niemand zu sehen.

Er hätte doch zu seinen Eltern fahren sollen. Dort hätte er in Ruhe das Bad belegen können, und wäre anschließend einfach ins Bett gefallen.

Gelächter sorgte dafür, dass er sich umsah und er entdeckte im Schein der Laternen, die die Naval Base erhellten, vier Männer, die auf ihn zukamen. Allein schon an der Stimmlage des einen wusste er, wer es war und Nathan stöhnte genervt auf.

»Na Kleiner, wie geht es dir? Ich dachte, es wird Zeit, dass du mal ein paar Stunden auf andere Gedanken kommst.« Ein Mann mit breiten Schultern, dunkelbraunen Haaren und einem Bartansatz kam als Erstes auf ihn zu.

»Hey Sean, Cayden.« Er rollte mit den Augen, als er sah, wie seine Brüder auf ihn zuliefen. Das war nicht die Art der Abendgestaltung, die er sich gewünscht hatte. Hart schlug sein ältester Bruder ihm auf den Rücken. 

»Baker, ich hab doch gesagt, er freut sich, wenn er uns sieht. Los Rothaut, beweg dich, wir wollen los.« 

Nathan sah an Sean vorbei, der ihm mit seinem Körper die Sicht verstellt hat, und bemerkte einen Mann mit langen, schwarzen Haaren, der auf sie zukam und ihn freundlich anlächelte. Genau diesen Mann hatte er am Morgen noch vor sich im Wasser gesehen, als sie ihre morgendliche Runde im Meer zurück gelegt, und der Chief sie, wie immer, zusammen geschrien hatte. Er hatte keine Ahnung, warum dieser Typ sich nicht an den Kurzhaarschnitt halten musste. 

»Heya.« 

»Hey.« Nathan sah fragend zu Shane, der neben dem Mann, der scheinbar indianischer Abstammung war, stehen geblieben war.

»Syrell, Nathan, die anderen zwei aus der Sippe kennst du ja schon. Nathan verfolgt mich seit der Highschool«, lachend drehte sich Shane zu Cayden, der mit dem wachhabenden Offizier sprach. Nach wenigen Minuten kam er wieder auf sie zu.

»Okay, wir können. Morgen früh müssen wir aber vor vier wieder hier sein, damit die Kleinen aus dem Bett geworfen werden können, für den Fall, dass sie aus dem Bett geworfen werden.« 

»O’Neil hat uns freigegeben, ich wollte vorhin eigentlich nach Hause, bis Baker mich überredet hat zu bleiben.« Nathan sah triumphierend zu Cayden, der ihn mit hochgezogenen Augenbrauen ansah.

»Ui, acht Wochen rum und schon das zweite Mal frei, Donnerwetter.« Cayden kam auf ihn zu und wuschelte durch seine kurzen Haare.

»Ey, Alter.« Er stieß seinen zwei Jahre älteren Bruder von sich.

»Wollt ihr euch jetzt prügeln, oder wollen wir los?« Syrell hatte das Wort ergriffen.

»Die Rothaut hat recht, lasst uns fahren.« Sean zog Cayden von ihm weg und sie gingen auf den neuen Landrover von Sean zu. 

»Holla, da war wohl wieder Kohle über«, murmelte Nathan.

»Wer hat, der hat, Kleiner.« Sean ließ sich mit einem Grinsen in den Fahrersitz fallen.