Team IATF 6

Operation zweite Chance Leseprobe

1.

»Hast du eine Idee, wie lange wir hier noch durch den Dschungel schleichen sollen? Ich dachte, dass der Typ weiß, wo wir hin müssen.« Völlig durchnässt schob Madison einen Ast zur Seite und ließ ihn los, ehe ihre Mentorin, die wenige Meter hinter ihr war, ihn fassen konnte. Die blonde Frau mit den grünen Augen fluchte, als ihr der Ast mit voller Wucht vor die Brust schlug.

»Maddi, ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird. Ich weiß nur, wie weit es als Luftlinie ist, mehr nicht. Wenn du wissen willst, wie lange wir noch unterwegs sind, frag unseren Guide oder den Professor«, stieß die Frau hinter ihr genervt aus.

Madison beschleunigte ihre Schritte, um ihren Professor zu erreichen, der vor ihr auf einem kaum erkennbaren Pfad lief. Sie wollte endlich wissen, wie lange sie noch den Regen, die Insekten und die Blutegel ertragen musste, die sich von überall auf sie stürzten. Seit einer Woche sah sie nichts außer Büschen, Bäumen, Farn und Regenwald und das bei Temperaturen, die denen einer Sauna glichen. 

So hatte sie sich die Expedition nach Guatemala nicht vorgestellt. Dass es anstrengend werden würde, war ihr klar gewesen, aber erst jetzt wurde ihr vollends bewusst, auf was sie sich eingelassen hatte. Diese ständige Nässe, kein Kontakt zur Außenwelt und dazu ihre Mentorin, die tat, als hätte sie eine solche Reise schon mehrere hundert Mal unternommen. 

Als ihre Freundin Lyndsay ihr geraten hatte, den Professor zu begleiten, hatte sie gehofft, dass sie die meiste Zeit damit verbringen würde, die Schriftzeichen zu entschlüsseln, die sie am Inkatempel vorfinden würde. Lyndsay hatte ihr aber nicht gesagt, dass sie und ihre Mentorin sehr gute Freundinnen waren, und auch nicht, dass sie mehr Zeit bei der Suche nach dem Tempel verbringen würden, als mit der Arbeit. Sie sah über die Schulter zurück und meinte kurz, etwas im Augenwinkel gesehen zu haben, bis ihre Mentorin sie anlächelte. Die grünen Augen der Frau strahlten doch allen Ernstes Freude aus. Sollte es wirklich Menschen geben, denen es Spaß machte, von Blutegeln und Insekten ausgesaugt zu werden? Und die es nicht störte, wenn der Regen sogar die Stiefel mit Wasser füllte? Sie hatte keine Lust der Frau in die Augen zu sehen. Sie konzentrierte sich wieder darauf, ihren Professor einzuholen, der mit großen Schritten vor ihr her eilte, als wäre er auf der Flucht. 

»Entschuldigen Sie?« 

»Bitte?« Der Mann Anfang sechzig sah sie an.

»Wie lange sind wir noch unterwegs?« Im nächsten Augenblick war sie sich nicht mehr sicher, ob es sinnvoll gewesen war, ihren Professor anzusprechen, da dieser die Augen skeptisch zusammenkniff und stehen blieb.

»Sie sind doch keine fünf mehr oder? Es dauert so lange, wie es eben dauert, bis wir da sind«, zischte er ihr zu und ging weiter, ohne sie nochmals anzusehen. 

»Du hast ihn nicht ernsthaft gefragt?« Hinter Madison tauchte ihre Mentorin auf. 

»Ähm, doch.« Madison stand mitten in einer riesigen, schlammigen Pfütze.

»Oh man.« Kopfschüttelnd eilte die blonde Frau an ihr vorbei, während sie versuchte, ihre Füße samt Stiefeln aus dem Schlamm zu ziehen. Aber der schwarze Matsch war unnachgiebig und wollte ihre Fußbekleidung nicht wieder freigeben. 

»Wartet«, rief sie, als der Guide, der sonst immer hinter ihr gewesen war, an ihr vorbei ging. Leichte Panik machte sich in ihr breit, als der Mann sich nicht einmal zu ihr umsah. Wenn sie ihn nun aus den Augen verlor, wäre sie verloren. Sekunden, die sich unendlich lang anfühlten, verstrichen. Sie hatte das Gefühl immer weiter im Schlamm zu versinken. 

Plötzlich sprangen vermummte Gestalten aus dem Dickicht und rissen ihre Gruppe zu Boden. Einer der Guides rief etwas, das sie nicht verstand. Dann hallte ein Schuss durch den Dschungel, der die Vögel aufschreckte. Madisons Herz setzte aus, als sie verzweifelt versuchte zu fliehen. Doch der schlammige Boden hielt sie gefangen. Davon hatte Lyndsay nicht ein Wort verloren. Madison stieß einen grellen Schrei aus, als sie das Kreischen ihrer Mentorin vernahm. 

Ein Mann tauchte neben ihr auf, packte sie am Arm und riss sie erbarmungslos aus dem Schlammloch. Sie starrte ihre Stiefel an, die alleine im Wasserloch zurückblieben. 

»Lassen Sie mich los.« Kreischend schlug sie um sich, erntete aber nur ein höhnisches Lachen von dem Mann, der sie wie ein Stück Vieh hinter sich herzog. 

2.

»Du kleines Biest, bleib stehen.« Bear hastete hinter einem kleinen dunkelhäutigen Mädchen her, das ein Handtuch hinter sich herschleifend, durch die Villa rannte. 

»Lauf, Samira, lauf!« Cayden stand lachend in der Terrassentür, als das Mädchen vor Freude kreischend an ihm vorbei flitzte und der bullige SEAL hinter ihr her rannte.

»Was macht er, wenn ich jetzt unter die Dusche gehe?« Lachend tauchte Yvonne neben ihm auf und deutete auf Bear, den man nur noch von hinten sehen konnte. Cayden sah grinsend in die grünbraunen Augen seiner Kollegin. 

»Dann wirst du wieder zur Hexe.« Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Sandweg und konnte beobachten, wie Bear Samira wenige Meter vor dem Meer erwischte und sie sich wie einen nassen Sack über die Schulter warf. Das Mädchen schrie und hämmerte mit den Fäusten auf den Rücken seines Kollegen.

»Was macht er wieder?« 

Cayden sah zur Seite, als auch Karen neben ihm auftauchte und einen Blick auf das Spektakel warf, welches sich vor ihren Augen abspielte. Ein Mann von fast zwei Metern kam mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck auf sie zu, während Samira auf seiner Schulter lag und wild quietschend auf ihn einschlug. 

»Lass mich runter. Bear. Lass mich runter!«, kreischte das zierliche Mädchen, das Caydens Leben in den letzten Monaten komplett auf den Kopf gestellt hatte. 

»Was bitte ist hier los? Ich dachte, wir wollen den Grill anwerfen und nicht mit der Kurzen fangen spielen.« Karen warf Bear einen gespielt wütenden Blick zu. 

»Ich mach den Grill gleich an und dann lege ich dieses kleine Biest als Erstes drauf.« Bear ließ Samira einen Meter von Cayden entfernt auf den Boden gleiten. Schreiend rannte Samira an ihm, Karen und Yvonne vorbei und klammerte sich an Jordan, die mitten im Flur stand und das Schauspiel gespannt beobachtete hatte.

»Er wollte mir mein Handtuch klauen«, brachte Samira im gebrochenen Englisch hervor, als die Frau mit den langen blonden Haaren ihr über den Kopf strich. 

»Ich, dir, dein Handtuch klauen? Du kleines Luder.« Wieder wollte Bear, der nun vor der Badezimmertür stand, nach Samira greifen, die geschickt seinen riesigen Händen auswich und sich hinter Jordan versteckte. Jordan, die ihre Freizeit nur noch gemeinsam mit Cayden in der Villa verbrachte, stemmte mutig die Hände in die Hüften und baute sich vor dem Russen auf.

»Lass die Finger von der Kleinen.« 

Cayden konnte sehen, wie viel Mühe es die Ärztin kostete, ernst zu bleiben und nicht loszulachen.

»Sie hat angefangen.« Bear zog einen Schmollmund und Cayden konnte ein lautes Lachen nicht mehr unterdrücken, als Yvonne in aller Seelenruhe im Bad verschwand und die Tür schloss. 

»Ich fasse es nicht.« Lachend drehte der riesige SEAL sich zu Cayden, der nur hilflos mit der Schulter zucken konnte. 

»Da ist noch eine Dusche.« Karen wandte sich Richtung Küche ab und schob Bear in das zweite Bad.

Caydens Herzschlag beschleunigte sich, als Jordan auf ihn zukam und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen hauchte. Nie hätte er gedacht, dass er je so entspannt sein und dazu noch eine solche tiefe Zufriedenheit empfinden könnte. Samira und Jordan hatten sein Leben komplett verändert. Auch wenn der Tod von Logan sie alle sehr mitgenommen hatte, so war es Samira gelungen, zumindest ihm zu zeigen, dass der Tod des jungen SEALs nicht sinnlos gewesen war.

Die letzten Tage waren mehr als ruhig gewesen. Jeder nutzte seine Zeit auf seine Weise und versuchte so, das Geschehene zu verarbeiten. Nur die Abende endeten meist am Grill und in der Villa. Selbst Paul tauchte von Zeit zu Zeit auf, um ihnen Gesellschaft zu leisten. Einzig Darrels andauernde Abwesenheit trübte die Laune im Team. Der Australier hatte sich Urlaub genommen, um nach Melbourne zu fliegen und einige Dinge zu klären, die bereits viel zu lange auf seiner Liste standen. Das waren zumindest die Worte gewesen, mit denen er Cayden abends in einer Bar gesagt hatte, dass er drei Wochen fortbleiben würde. Allerdings waren diese drei Wochen seit vier Wochen vorbei und niemand von ihnen wusste, wo Darrel war. 

Paul ging immer noch davon aus, dass Darrel sich bald melden würde. Cayden war sich, was das anging, nicht sicher, wollte ihrem Chef aber auch nicht vor den Kopf stoßen. 

»Wann gibt´s Essen?« Nathan bog völlig verschwitzt um die Ecke und Cayden löste seinen Blick von Jordans tiefblauen Augen, in denen er für einige Minuten versunken war.

»Wenn der Große mit dem Duschen fertig ist, denke ich.« Er ließ seine Hände über Jordans Rücken wandern und kämpfte das Verlangen zurück, das ihn dazu treiben wollte, mit ihr in seinem Zimmer zu verschwinden. Es nervte ihn, dass Jordan jeden Abend mit Samira zu ihrer Wohnung fuhr und er in der Villa zurückblieb. Hin und wieder rang er sich dazu durch, mit ihr zu fahren, und sie verbrachten einige Stunden zusammen. Allerdings endeten die Nächte immer wieder damit, dass er frühmorgens verschwand, um am Training teilzunehmen oder um einem Briefing beizuwohnen, die Paul am liebsten noch vor Sonnenaufgang abhielt. 

Cayden beobachtete, wie Nathan Samira durch die Haare strich und sie an ihm und Jordan vorbei, zur Tür hinausschob. Das kleine Mädchen hatte alle Herzen im Sturm erobert und war Schuld daran, dass er immer öfter darüber nachdachte, aus dem aktiven Dienst auszuscheiden. Immer wieder kam in ihm der Gedanke auf, wie es für sie wäre, wenn sie ihre neu gefundene Familie wieder durch den Krieg verlor, in dem sie sehr wahrscheinlich auch ihre richtigen Eltern verloren hatte. Allein der Gedanke, dass eines Tages jemand kommen und behaupten könnte, dass Samira ihre Tochter wäre, versetzte ihm einen Stich. Sicher, er würde sich freuen, wenn der kleine Wirbelwind seine Eltern wiederfinden würde, allerdings würde dann nicht nur ihm etwas fehlen. 

»Du träumst.« Die warmen, weichen Hände von Jordan legten sich an seine Wangen, dann berührten ihre Lippen die seinen. Sie hatte Recht. Er war so in Gedanken versunken, dass er kaum etwas von dem mitbekam, was gerade um sie herum geschah. Ihre Zunge strich elektrisierend über seine Lippen und forderte Einlass. Seine Hände wanderten unter ihr samtweiches, weißes Top bis hinauf zu ihrem Nacken, wo er mit den Fingerspitzen dafür sorgte, dass sich ihre Nackenhaare aufrichteten und sie ein leises, lüsternes Stöhnen ausstieß. Dass sie sich noch dichter an ihn drängte und ihre Zunge sich wie eine Schlange um seine wand, trug nicht dazu bei, dass seine Lust verschwand. Ihre Hände wanderten über seinen Rücken hinunter in die Gesäßtaschen seiner eng anliegenden Jeans. Er war der Meinung, dass die Hose noch enger wurde und die Nähte des Reißverschlusses dem Druck nicht mehr lange standhalten konnten. Ihr heißer Atem strich wie Feuer über seinen Hals. Er war versucht, sie zu schnappen und mit ihr in einem Zimmer zu verschwinden. 

»Ey, wirklich, muss das hier sein? Snipes, nimm die Zunge aus der Frau.« Rod drängte rücksichtslos an Jordan vorbei auf die Terrasse. Durch den leichten Rempler des SEALs trat Jordan Cayden auf den Fuß, so dass er sich schwer atmend von ihr löste. 

»Ey, steck deine Scheißlaune sonst wohin. Du wirst doch ein Jahr mit weniger Geld auskommen. So schlimm ist es doch auch nicht«, knurrte Cayden.

»Nicht schlimm? Soll ich dir mal jeden Monat vierhundert Dollar abziehen?« Roderick machte auf dem Hacken kehrt und kam mit wutverzerrtem Gesicht auf ihn und Jordan zu. Die grüngrauen Augen seines Kollegen funkelten ihn zornig an und nur dem Umstand, dass Jordan vor ihm stand, verdankte er es, dass Rod ihn nicht am Kragen packte, sondern nach draußen verschwand.

»Vierhundert?«, flüsterte Jordan ihm zu, als Rod außer Hörweite war.

»Okay, das ist mehr, als ich gedacht habe. Aber er ist ja auch selber Schuld«, gab er ebenfalls kaum hörbar als Antwort. 

»Lass ihn das nicht hören.« Jordans Lippen legten sich zart auf seine, doch ehe er den Kuss erwidern konnte, schob Syrell sich grinsend an ihnen vorbei.

»Ihr solltet euch wirklich einen anderen Ort suchen«, flüsterte der Indianer. 

»Vielleicht sollten wir das.« Jordans Finger strichen über seinen Nacken und jagten einen angenehmen Schauer über seinen Rücken. Sollte sie so weiter machen, würde er sie innerhalb der nächsten Sekunden in den nächsten freien Raum schieben und vernaschen. 

3.

»Meinst du nicht, dass Samira uns sucht?« Jordans Finger malten kleine Kreise auf seinen Bauch, während er über ihren Rücken streichelte. Er war sich sicher, dass Samira sie nicht suchte, da das Mädchen wahrscheinlich mit einem seiner Kollegen über den Strand tobte oder von Karen bemuttert wurde. Also hatte er noch Zeit, um Jordans Nähe zu genießen. Ihre gemeinsame Zeit war einfach zu knapp bemessen, vor allem die, in der sie nackt nebeneinander auf einem Bett liegen konnten. Der Gedanke, diese Zeit dadurch zu verlängern, dass er bei Jordan einzog, war in letzter Zeit dauerhaft präsent. Allerdings wäre Samira dann immer in ihrer Nähe und die Intimitäten würden vielleicht auf der Strecke bleiben.

»Woran denkst du?« 

Ein wohliger Schauer durchlief seinen Körper, als Jordans weiche Zunge über seine Bauchmuskeln strich. Musste diese Frau immer Fragen stellen und im nächsten Augenblick dafür sorgen, dass er sie sicher nicht beantworten konnte, weil er so abgelenkt war, dass er die Frage bereits wieder vergessen hatte? 

Der schrille Ton der Haustürklingel ließ ihn die Augen öffnen. Angespannt lauschte er, ob Karen die Tür öffnete. Oder stand sie vielleicht schon mit seinen Kollegen am Grill? Die Jungs würden sicher einen solchen Lärm machen, dass Karen unmöglich die Klingel gehört haben konnte. Minuten verstrichen, doch er vernahm weder Schritte noch das Geräusch der sich öffnenden Tür. Gerade als er sich wieder Jordan zuwenden wollte, die ihn von seiner Brust aus interessiert beobachtete, schellte es wieder. Sollte er vielleicht hinuntergehen? Seine Hand lag auf dem nackten Rücken von Jordan und seine Finger strichen verträumt über ihre Wirbelsäule. Nur Sekunden später wurde die Klingel wieder betätigt. Jordan hob ihren Kopf.

»Vielleicht solltest du gehen«, hauchte sie ihm zu. 

»Vielleicht sollten wir es ignorieren. Vielleicht will uns jemand Staubsauger verkaufen. Vielleicht sind es die Zeugen Jehovas. Vielleicht ist es der komische Nachbar, der sich über den Rauch vom Grill beschwert, vielleicht …« Er ließ seine Fingerspitzen durch ihr langes Haar gleiten und genoss das samtweiche Gefühl. Die Art und Weise, wie die gebürtige Texanerin ihn ansah, deutete auf Widerspruch hin. Das linke Auge zukneifend, blinzelte Jordan ihn an. Cayden wollte gerade etwas zu ihrem leicht vorwurfsvollen Blick sagen, als es erneut schellte und Jordan ihm ins nicht gesprochene Wort fiel.

»Ein bisschen viel Vielleicht, oder? Es scheint wichtig zu sein.« Ihr warmer Kopf verschwand von seiner Brust, was ihm einen Protestlaut entlockte. Die Bettdecke von der Seite des Bettes hochziehend, setzte sie sich auf und bedeckte ihre Blöße.

»Nun geh, ehe Samira dich so sieht.« Jordans Blick wanderte an seinem nackten Körper hinunter, wo sich allein schon durch den Anblick von Jordans Augen wieder ein Verlangen meldete, das scheinbar nicht zufrieden zu stellen war. Sollte das junge Mädchen ihn nun so sehen, würde sie eventuell kreischend davon rennen oder er müsste sich mit dem Thema Aufklärung befassen. Kopfschüttelnd und Letzteres ausschließend, da er hoffte, dass Jordan ihm diese Aufgabe zum richtigen Zeitpunkt abnehmen würde, stand er auf und zog sich seine Boxershorts an. 

»Ich bin gleich wieder da.« Wenn Jordan ihn nicht mit diesem ›Tu, was ich dir sage oder …‹ Blick angesehen hätte, wäre er wohl nicht aus dem Zimmer gegangen. 

Darüber grübelnd, ob es nicht wirklich an der Zeit war, sich eine Wohnung zu suchen oder zu Jordan in das kleine Appartement zu ziehen, bewegte er sich auf die Haustür zu. 

Als er die Klinke nach unten drückte, konnte er bereits den Umriss einer Frau erkennen. Er zögerte kurz, da er sich nicht sicher war, ob es sinnvoll war, nur mit Shorts bekleidet Damenbesuch zu empfangen, den er nicht kannte. Gerade als er die Tür aufziehen wollte, klingelte es erneut. 

»Ja, verdammt! Nun tu doch nicht so, als würdest du mich nicht sehen«, knurrte er leise und öffnete die Tür. Etwas verblüfft über das, was er nun deutlich sah, starrte er eine junge Frau um die fünfundzwanzig an, die mit rot unterlaufenden Augen vor der Tür stand. Ihre Haare waren schulterlang und dunkelbraun, allerdings wirkten sie genauso mitgenommen wie der Rest der Frau. Ihre Wangen waren rot und er konnte Spuren auf ihren Wangen erkennen, die eindeutig von Tränen stammten. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Sollte ihr oder jemandem etwas passiert sein, so dass sie Hilfe benötigte? 

»Guten Tag«, brachte sie heiser hervor und schien enttäuscht zu sein, ihn zu sehen.

»Hi, kann ich Ihnen helfen?« Er öffnete die Tür weiter und warf einen prüfenden Blick auf die Umgebung vor der Tür.

»Ich weiß nicht, ich suche jemanden.« 

Wer auch immer sie war, sie schien sich gefangen zu haben, denn sie straffte ihre Schultern und sah ihn mit grünbraunen Augen entschlossen an.

»Wen suchen Sie?« Cayden hatte keine Ahnung, wer die Frau war und war daher gespannt auf ihre Antwort. Vielleicht war sie ja eine Freundin von Karen, eine durchaus attraktive Freundin.

»Roderick Rodriguez.« In dem Blick der Frau lag etwas, das erkennen ließ, dass es ihr unangenehm war, nach seinem Kollegen zu fragen. »Ich hab nur diese Adresse und demnach wohnt er hier«, fügte sie zögernd hinzu.

Seine Augen wurden vor Verwunderung riesig. Hatte sie gerade gesagt, sie wolle zu Rod? Seit wann hatte sein Kollege eine Freundin und dazu noch eine, die sehr gut aussehend war. Als Cayden den immer noch fragenden Blick der Frau bemerkte, fiel ihm auf, dass er ihre Frage noch nicht beantwortet hatte. Er schüttelte seine Spekulationen innerlich ab und konzentrierte sich wieder darauf, ihr eine Antwort zu geben. 

»Das tut er. Kommen Sie rein, ich bringe Sie zu ihm.« Cayden trat zur Seite, damit die Frau eintreten konnte. Er konnte nicht anders, er musterte ihren makellosen Körper auf das Genaueste, als sie den Flur betrat. Eine solche Frau hätte sein Kollege ihm doch nicht verschwiegen. Wer um alles in der Welt war sie und was wollte sie?