Team IATF 4 

Mission Hoffnung Leseprobe

1.

Syrell stand vor dem großen Fenster des Zimmers und starrte in die Nacht. Regentropfen prasselten an die Scheibe und lieferten sich ein Wettrennen am kalten Glas. Immer wieder zuckten Blitze am Horizont und gaben den Blick auf das aufgewühlte, mit Schaumkronen übersäte, Meer frei. Seufzend strich er sich durch die langen Haare.

Hinter sich hörte er die Bettwäsche rascheln und immer wieder das gequälte Aufstöhnen von Yvonne, die sich im Schlaf von der einen auf die andere Seite warf und von ihren Erinnerungen gequält wurde. Die Geräusche, die sie von sich gab und die Bilder, die er nachts sah, zerrissen ihn. 

Am Tage trug sie eine eiserne Maske vor sich her, die selbst er nicht durchschauen konnte. Nur nachts war sie nicht in der Lage die Fassade aufrechtzuerhalten, die sie errichtet hatte, damit niemand ihren inneren Dämon sah. 

Syrell drehte sich um, holte tief Luft und ging auf das Bett zu. Die kleine Lampe, die Karen Yvonne kurz nach ihrem Einzug geschenkt hatte, spendete ein warmes Licht, in dem die Schweißperlen glitzerten, die sich auf Yvonnes Stirn gebildet hatten. Schwer atmend wandte sie sich von links nach rechts. Ihre Bettdecke war schon vor Minuten aus dem Bett gerutscht und Syrell hielt die Tränen zurück, die aufstiegen, als er Yvonne betrachtete. 

Als er sie kennengelernt hatte, waren ebenfalls Tränen geflossen, aber damals waren es ihre, die sie vergoss, als ihre Vergangenheit sie erdrücken wollte. Sie war sicher nicht so stark, wie sie immer tat, aber sie nun so zu sehen, zu wissen was passiert war, brannte wie Feuer auf seiner Seele. Nacht für Nacht wieder die Bilder zu sehen, die sie in den Wahnsinn trieben, brachte ihn an den Rand dessen, was ein Mann ertragen konnte. 

Tag für Tag hoffte er, dass sie endlich über das sprach, was passiert war. Aber nichts geschah. Nach außen gab sie sich eiskalt und noch verbissener in dem, was sie tat, als sie es ohnehin schon war. Und ihren Psychologen spielte sie das vor, was sie selbst zumindest am Tage für wirklich hielt.

Er schüttelte den Kopf. Der Gedanken, aus ihrem Mund zu hören, was er Nacht für Nacht sah, war zu viel. Mit dem Handrücken strich er sich eine Träne aus dem Auge, die nicht dort bleiben wollte, wo sie bei einem SEAL zu sein hatte. 

Vor ihrem gemeinsamen Bett blieb er stehen und holte tief Luft. Seit Tagen hatte jede Nacht den gleichen Ablauf für sie. Abends fand Yvonne den Weg in den Schlaf mit starken Schlafmitteln, die sie immer wieder Tom abrang, der sich täglich mehr weigerte, ihr welche zu geben. 

Wenige Stunden herrschte dann eine beinahe unheimliche Stille. Bis ihre Träume sie erreichten. Dann begann für sie beide der allnächtliche Horror von neuem. Syrell wusste sich schon seit geraumer Zeit nicht mehr zu helfen. Er war bereits an einem Punkt angelangt, an dem er seine Mutter um Rat fragen wollte, was er noch nie zuvor in seinem Leben getan hatte.

Wieder stöhnte Yvonne auf und stammelte seinen Namen. Er schluckte schwer und ließ sich am Bettrand nieder. Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren Arm, der vor Schweiß nass war und sich unnatürlich kalt anfühlte.

»Ich bin hier, Ivy, ich bin hier.« Seine Stimme wurde heiser »Es ist alles okay.« Beinah tonlos brachte er die letzten Worte hervor. 

Nichts war Okay. Er log sie Nacht für Nacht an und sie log ihn an, wenn sie am Tage sagte, dass alles bestens sei. Diese verdammte Fassade, die sie aufbaute, zog sich wie eine größer werdende Mauer in ihre Beziehung und die Angst, sie dahinter zu verlieren, wuchs jeden Tag weiter.

Um sich schlagend riss sie ihren Arm unter seiner Hand weg und schrie auf. Syrell schloss erschrocken die Augen, als er den schrillen Schrei vernahm. Schnell suchte seine Hand wieder ihre Nähe und er strich über ihre feuchte Stirn. Wie lange sollte er das noch ertragen? Wie lange sollte er Paul noch anlügen, wenn der ihn fragte, ob Yvonne sich im Griff hatte? 

»Hey, alles Okay.« Er holte tief Luft, verdrängte die Bilder von seinem ehemaligen Kollegen, der mit einem eiskalten Grinsen vor seinen Augen auftauchte. Syrell schob das Gefühl, das von Yvonne ausging, welches er nur mit den Worten Ekel und Scham beschreiben konnte, zur Seite. Er zog seine Beine auf das Bett und behielt Yvonnes Hände genau im Auge. Schon zu oft hatte sie ihn im Schlaf derart hart getroffen, dass er der Meinung war, der Schlag wäre von einem seiner männlichen Kollegen gekommen. 

Langsam rutschte er dichter an sie heran. Das indianische Kinderlied murmelnd, welches sie noch verband, legte er ein Bein über ihre, um zu verhindern, dass sie ihn trat. Es schmerzte ihn, dass er sie mit Gewalt daran hindern musste, um sich zu schlagen. Seinen Arm legte er bewusst nur über ihren Bauch, da er die Erfahrung gemacht hatte, dass sie bei Berührungen an ihrer Brust zu einer Furie wurde, die er dann nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte. Sie atmete schwer aus, als er seinen Kopf an ihre Schulter legte.

»Es ist okay. Ich bin hier.« Er vermied es sie Kleine zu nennen, da auch das bei ihr Panik auslöste. So vieles, was vertraut zwischen ihnen gewesen war, sorgte nun dafür, dass sie sich abwandte, in Tränen ausbrach, oder vor ihm flüchtete. 

Er spürte ihren rasenden Herzschlag, die panische Atmung und ihre Arm- und Beinmuskeln, die versuchten vor etwas zu flüchten, das sie Nacht für Nacht einholen wollte. Er schluckte und eine Träne rann von seinem Gesicht über ihre Schulter. Das Gefühl, dass er sie verlieren würde, wenn nicht bald etwas geschah, wuchs Nacht für Nacht. Er wiederholte das Kinderlied wieder und wieder und nach unendlich langen Minuten spürte er, wie sie sich beruhigte und ihr im Schlaf ein Schluchzen entwich.

In einigen Nächten war er kurz davor, das Zimmer zu verlassen, doch er brachte es nicht übers Herz. Er konnte und wollte sie nicht alleine lassen, aus Angst, dass er bei seiner Rückkehr etwas vorfinden würde, das nichts mehr mit der Frau gemeinsam hatte, die er liebte. In solchen Momenten fielen ihm wieder die Worte seiner Mutter ein, die gesagt hatte, dass er und Yvonne zusammengehörten, dass sie nie mit einem anderen Partner glücklich werden würden. Dass sie ihre Seelen vervollständigten. Nur wie sollten sie wieder glücklich werden, wenn ihre Seele gebrochen war? 

Wenn er sie vielleicht nie wieder berühren konnte? 

Was, wenn er nie wieder ihre Nähe und Wärme spüren würde?

Erst in der Morgendämmerung griff der Schlaf auch nach ihm.

2.

Sie war sich nicht sicher, was sie geweckt hatte, ob es ein Geräusch gewesen war oder der warme Atem, der über ihren Hals strich. Aber die Panik, die sich in ihr ausbreitete, die ihr Herz bis zum Hals schlagen ließ und die dafür sorgte, dass ihr Blut in den Ohren rauschte, trieb ihr Tränen in die Augen. Eine Hand lag auf ihrem Bauch und ein schweres Bein war über ihre gelegt. Ihr Herz raste, als sie langsam die Augen öffnete. Plötzlich bewegte sich die Hand und ein Finger strich kreisend durch ihr Shirt über ihren Bauch.

›Nein, nicht schon wieder, nein.‹ 

Er sollte sie endlich in Ruhe lassen, warum tat er das.

Ein Gefühl von Ekel überkam sie. Ihr Mageninhalt wollte sich einen Weg hinaus bahnen. Nur mühsam konnte sie ihren Würgereiz unterdrücken. 

Er sollte sie loslassen, einfach loslassen, damit sie gehen konnte. Warum hielt er sie fest? 

Bilder tauchten vor ihren Augen auf, wie er mit der Zunge über ihr Gesicht fuhr, wie sie hilflos zusah, während er ihre Oberschenkel ableckte.

Nach Luft ringend unterdrückte sie ein Schluchzen.

»Hey, alles Okay.« 

Die Worte klangen seltsam. Es war eine andere Sprache, aber sie verstand ihren Inhalt und sie kannte die Stimme. Langsam tauchte sie aus der Welt zwischen Traum und Realität auf.

»Alles Okay.« 

Sie schluckte ihre Tränen hinunter und holte tief Luft. Es war Syrells vom Schlaf heisere Stimme, die an ihr Ohr drang und seine Hand, die sich von ihrem Bauch entfernte. Er zog seinen muskulösen Oberschenkel von ihrem und drehte sich auf den Rücken. Mit geschlossen Augen zwang sie sich, sich zu beruhigen und lauschte auf ihre Umgebung. Sie hörte Syrells Atmen und das Klappern von Geschirr in der Küche.

»Geht es?« 

Erschrocken zuckte sie zusammen, als seine Finger ihren Arm berührten und darüber streichen wollten. 

»Fass mich nicht an, nicht jetzt«, brachte sie, noch heiser von ihren Gefühlen, hervor und zwang sich nicht in Tränen auszubrechen, als sie aus dem Bett stieg und aus dem Zimmer stürmte. 

Sie konnte seine Berührungen nicht ertragen. Sie konnte das Mitleid nicht ertragen, das ihr alle entgegen brachten. Sie war schuld daran, dass Miguel sie zu einem Wrack gemacht hatte, sie alleine und sie hatte kein Mitleid verdient. Sie hörte, wie Syrell ihren Namen rief, als sie die Treppe hinunterstürzte und unten direkt in die Arme eines riesigen Mannes stolperte.

»Guten Morgen, Ivy«, brummte der Mann. 

Murrend gab sie ihm einen Stoß und bekam als Antwort einen russischen Fluch an den Kopf geworfen, als sie auf das Bad zueilte. An der Tür stieß sie Tom zur Seite, der gerade aus dem Bad kam und warf die Tür hinter sich zu. Einen Augenblick blieb sie mit dem Rücken an das weißlackierte Holz gelehnt stehen und versuchte, ihren Herzschlag in den Griff zu bekommen. Ihr Puls beruhigte sich nur lähmend langsam und sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Den Blick in den Spiegel mied sie absichtlich. Sie wollte die armselige Kreatur nicht sehen, die Miguel zurückgelassen hatte. Sie warf ihr weites T-Shirt zur Seite und legte ihre Hose auf das kleine weiße Regal, in dem sich die Handtücher befanden. 

Unter der Dusche vermischte sich schließlich das heiße Wasser mit Tränen, die sie wieder einmal ohne Vorwarnung übermannten. Frustriert legte sie den Kopf an die kalten Fliesen, während das heiße Wasser über ihren Rücken rann. Gedämpft vernahm sie die Stimme von Darrel.

»Och, Karen, bitte. Es sind noch zwei Wochen bis Weihnachten, muss das jetzt schon sein?« 

»Was kann ich dafür, wenn ihr solche Weihnachtsmuffel seid. Ich finde es so schön, wie es ist.« 

Yvonne fragte sich, was passiert war, dass der Australier sich so über ihre Haushaltsfee aufregte. Schließlich würde es nicht das erste gemeinsame Weihnachtsfest werden und Darrel sollte wissen, auf was Karen Wert legte.

Kurz wanderte ihr Gedanke wieder zu Syrell, der immer noch an ihrer Seite war, obwohl sie seine Nähe kaum noch zuließ. 

Was wollte er noch von ihr? 

Jede noch so kleine Berührung widerte sie an und sein Blick trieb sie zeitweise in den Wahnsinn. 

Sie war sich klar darüber, dass er genau wusste, was passiert war und dass er nichts sagte, stimmte sie traurig. Yvonne selbst war nicht in der Lage über das zu sprechen, was passiert war, nicht mit ihm oder sonst wem im Team. Ihren bärtigen alten Psychologen hinters Licht zu führen, war eine Leichtigkeit, das hatte sie recht schnell festgestellt, als Paul ihr vor einigen Tagen mitgeteilt hatte, dass sie wieder diensttauglich wäre. 

Aber wie lange konnte sie Syrell noch auf Abstand halten? Alleine der Gedanke, dass er sie auf das ansprechen würde, was Miguel getan hatte, machte ihr Angst. 

Sie hatte Syrell die Treue geschworen. Sie war mit ihm zusammen und sie würde nie einen anderen anfassen. Und nun wusste er zu neunundneunzig Prozent, was Miguel getan hatte. Wie er in sie eingedrungen war und sie es einfach über sich ergehen und zugelassen hatte, ohne sich zu wehren. 

Sie hätte sich wehren müssen. Schon von Beginn an hätte sie dem Italiener klar machen müssen, dass sie nicht wollte, was er tat. Seit Tagen wartete sie darauf, dass Syrell ihr Vorwürfe machte, aber er tat es nicht. 

Kopfschüttelnd trocknete sie sich ab. Die letzten Spuren dessen, was passiert war, waren endlich verblasst und man konnte ihr nicht mehr ansehen, was sie durchgemacht hatte. 

Yvonne holte tief Luft, als sie in ein Handtuch gehüllt den Flur betrat. Seit Wochen überkam sie ein seltsames Gefühl, das sie nicht in Worte fassen konnte, wenn sie so bekleidet nach dem Duschen durch die Villa Richtung Zimmer eilte. Vor Miguels Übergriff war es für sie völlig normal gewesen, knapp bekleidet durch die Villa zu eilen. Nun fühlte sie sich beobachtet und verletzlich, wenn sie die wenigen Meter vom Bad in ihr Zimmer zurücklegte. Aber sie wollte sich nicht die Blöße geben und ihre Kleidung mit ins Bad nehmen. Die anderen sollten nicht merken, dass sie sich unwohl fühlte.

»Guten Morgen, Yvonne«, flötete Karen ihr entgegen, als sie einen kurzen Blick in die Küche warf. Mit einem erzwungenen Lächeln antwortete sie ihr. 

»Morgen, Karen, ärgern sie dich wieder?«, fragte sie, bemüht locker zu klingen. 

Sie hasste dieses Versteckspiel. 

»War das je anderes?«, lachend verschwand die dunkelhaarige Frau um eine Ecke. Yvonne stieg langsam die Treppe hinauf und blieb zögernd in der Zimmertür stehen, als sie Syrell mit nacktem Oberkörper vor dem Fenster stehen sah. Tief in ihr kam der Wunsch auf, zu ihm zu gehen, ihre Arme um ihn zu legen und ihr Gesicht an seinem Körper zu vergraben. Seine Wärme und seinen Herzschlag zu spüren. Einen kurzen Moment so tun als wäre nichts passiert. 

Energisch schüttelte sie den Kopf. 

Nein, sie konnte nicht, sie wollte nicht. Er wusste genauso gut wie sie, dass etwas passiert war, etwas, das für immer zwischen ihnen stehen würde.

»Die Sonne ist wieder ohne uns aufgegangen.« Die leise ruhige Stimme von Syrell drang an ihr Ohr und versetzte ihr einen Stich. Schon seit einiger Zeit verzichtete sie auf das morgendliche Ritual des Teams, den Sonnenaufgang zu beobachten. Früher hatte sie die Zeit der Ruhe genossen. Es waren die wenigen Momente gewesen, in denen Sean sie nicht brüllend über den Strand getrieben hatte. 

»Ja, scheint so.« Mit einer Träne im Auge öffnete sie ihren Kleiderschrank und starrte auf die ordentlich gefaltete Kleidung im Inneren, bemüht sich nicht umzudrehen. Nicht in Syrells Augen zu sehen, auch wenn sie wusste, dass er sie ansah.

Plötzlich strich ein warmer Atem über ihren Hals. Ihr Herz setzte einen Moment aus und ihr Blut sorgte für ein Pulsieren in ihren Ohren, als sie verzweifelt ihre Hände in eine Cargo Hose grub, die sie aus dem Schrank gezogen hatte. Sie holte tief Luft und drehte sich mit geschlossenen Augen, vor denen Sterne tanzten, um. Nach einigen Sekunden wusste sie, dass es Syrell war, der hinter ihr stand. Langsam öffnete sie die Augen und blickte in seine tief braunen Augen.

»Mach das nicht«, brachte sie heiser hervor.

»Was, Yvonne? Mich bewegen? Dass ich in deiner Nähe sein will? Dass ich dir helfen will? Dass ich es nicht ertragen kann, dich leiden zu sehen? Was soll ich nicht? Dir sagen, dass du dir verdammt noch mal keine Schuld geben sollst? Weil du verdammt noch mal nicht Schuld bist?« 

Die Sätze hagelten auf sie ein und sie spürte, wie sehr ihr Verhalten ihn verletzte. Zitternd blieb sie vor dem, immer noch geöffneten, Schrank stehen als Syrell das Zimmer verließ. 

»Hör auf dich einzumauern, Poison.« Vor der Tür blieb er stehen, drehte sich um und sah sie an. Yvonne schluckte, als sie seinen Zorn spürte. 

»Nein, ich bin verdammt noch mal nicht sauer auf dich. Ich bin sauer auf mich. Darauf, dass ich dich nicht hier halten kann.« stieß er heiser hervor, als er seine Hand auf seine Brust legte. »Da wo du immer warst.« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und sie hörte, wie er mit seinen nackten Füßen die Treppe hinunter ging. Ihr Blick war tränenverschleiert, als sie die Terrassentür zufallen hörte und wenige Minuten später beim Blick aus dem Fenster, die wehenden Haare von Syrell sah, der auf den Strand zuging.

3.

Karen und Bear starrten sich an. Darrel verharrte seit einigen Sekunden in seiner Bewegung und Sean hielt Nathan fest, der die Küche verlassen wollte. 

Karen schluckte und zwang ihre Tränen zurück.

»Es wurde Zeit, dass er ihr das sagt, Tinkerbell.« 

Die muskulösen Arme des Russen legten sich um sie und seine riesigen Hände strichen über ihren Rücken. 

»Sie werden sich wieder finden, ganz sicher«, flüsterte er ihr ins Ohr. 

Karen erschauderte bei dem Gedanken, dass Syrell und Yvonne sich trennen könnten. Sie hatten alle nur Bruchstücke von dem mitbekommen, was Syrell Yvonne an den Kopf geworfen hatte. Aber am liebsten hätte sie sich den Indianer geschnappt und ihm die Meinung gesagt. Wie konnte er Yvonne nur so anfahren? 

Warum tat er das? 

Die warmen Hände von Bear legten sich in ihren Nacken und einen Moment lang lauschte sie dem Herzschlag des riesigen Muskelberges, der sie einfach an sich gezogen hatte und mit seinem Daumen ihren Haaransatz massierte. 

»Nathan, lass ihn.« 

Karen sah auf und versuchte an der breiten Brust von Bear vorbeizuschauen. Seans Hand lag immer noch auf der Schulter von Nathan. Der dunkelblonde Mann sah seinen Bruder genervt an. 

»Dann geh ich halt zu ihr.« 

»Nein, lass sie«, zischte Sean seinen Bruder an.

»Ich geh.« Karen löste sich aus der Umarmung von Bear und verhinderte so, dass es zu einem Streit zwischen den Brüdern kam. Sie holte tief Luft und trat in den Flur. Als sie einen Fuß auf die Treppe setzte, zögerte sie einen Moment. Sie wusste nicht, was sie Yvonne sagen sollte. 

Die junge Frau hatte sich in den letzten Wochen verändert. Sie wirkte kalt und gefühllos, aber Karen hatte sie oft erwischt, wie sie gedankenverloren im Garten oder in der Küche gestanden und gegen Tränen gekämpft hatte. 

Vor einigen Tagen hatte Paul ihr im Vertrauen von einem Vorfall auf dem Parcours erzählt, bei dem Yvonne um ein Haar Sean umgebracht hätte. Karen wusste nichts von den Trainingsmethoden des Ausbilders, aber sie konnte sich vorstellen, dass er Yvonne so lange gereizt hatte, bis sie die Nerven verloren hatte. 

Paul hatte das Schauspiel beobachtet und ihr davon berichtet. Yvonne hatte Sean mit einem harten Schlag am Kopf so zu Boden geschickt, dass er bewusstlos liegen geblieben war. Alleine die Vorstellung, dass sich die Männer während der Trainingseinheiten bewusstlos prügelten, hatte sie sprachlos gemacht. Sie hatte nur einen belustigten Blick von Paul geerntet, der ihr erklärte, dass das völlig normal sei. Was nicht mehr normal gewesen war, war Yvonnes weiteres Verhalten. Paul hatte es Karen mit den Worten Wie von Sinnen beschrieben. Die im Gegensatz zu dem knapp zwei Meter großen SEAL zierliche Frau, hatte brutal und ohne Rücksicht, immer wieder auf ihren Kollegen eingeschlagen. Als Tom sie zurückgerissen hatte, weil er die Situation als zu gefährlich für Sean einschätzte, begann sie wie eine Wilde gegen den Körper zu treten, der am Boden lag. Erst mit Hilfe von Harry war es Tom dann gelungen, Yvonne von Sean zu trennen. Der einige Minuten später wieder zu sich gekommen war. Der Gedanke, dass Yvonne in diesem einen Moment scheinbar nicht davor zurückgeschreckt wäre, Sean zu töten, weil sie einen Flashback hatte, ließ Karen erschaudern.

Ein kaum hörbares Schluchzen ließ Karen aus ihren Gedanken auftauchen. Sie hatte die obere Etage erreicht und sah sich um, als sie hinter sich Schritte hörte. Erschrocken blickte sie in die blaugrünen Augen von Bear, der auf den letzten Stufen der Treppe stehen geblieben war und seinen Zeigefinger auf die Lippen gelegt hatte. Fragend sah sie ihn an und er formte die Worte: nur zur Sicherheit mit den Lippen. 

Schockiert schüttelte sie den Kopf. Was dachten die Männer, würde Yvonne mit ihr machen? Nachdem sie Bear einen bösen Blick zugeworfen hatte, ging sie auf die offenstehende Zimmertür von Yvonne zu. Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Yvonne, die am Fenster stand und die Stirn an das kalte Glas gelehnt hatte. 

»Komm rein und sag Bear, er soll draußen bleiben. Ich fresse dich nicht«, murmelte die Deutsche.

Karen betrat wortlos das Zimmer. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass Yvonne und Syrell immer wussten, wo wer war und sich ab und an einen Spaß daraus machten, sie damit zu ärgern. Leise zog sie die Tür hinter sich zu. Sie nahm all ihren Mut zusammen und ging auf Yvonne zu, die eine weite Cargohose und einen Rollkragenpulli trug. Da sie wusste, dass die junge Frau Berührungen zurzeit nicht ertrug, blieb sie neben ihr stehen und sah aus dem Fenster, versuchte zu entdecken, was Ihre Aufmerksamkeit gebannt hatte. Nach einigen Sekunden entdeckte sie Syrell, der am Strand stand.

»Was soll ich machen, Karen? Ich will ihn nicht verlieren.« Heiser, beinahe tonlos brachte Yvonne die Wörter hervor, die Karen fast das Herz zerrissen. 

»Das wirst du nicht«, erwiderte sie, hoffend, dass es keine Lüge war. Karens Augen lagen immer noch auf dem Mann, der mit nacktem Oberkörper am Strand stand. 

»Ich kann nicht, ich kann nicht mit ihm reden«, hauchte Yvonne.

»Ihr braucht beide Zeit.« Karen fehlten die Worte. Zu gerne hätte sie die junge Frau in den Arm genommen und ihr Trost gespendet. Ihre Angst, sie damit zu verängstigen, war allerdings zu groß.

»Ihr behandelt mich, als wäre ich eine Aussätzige«, schrie die ehemalige MEK-Beamtin ihr ins Gesicht, wandte sich zur Tür und lief aus dem Zimmer.

»Yvonne …« Karen blieben die Worte im Hals stecken, als die Tür hinter Yvonne wieder ins Schloss schlug. Seufzend sah sie wieder aus dem Fenster und bemerkte, dass Syrell sich umgedreht hatte und zu ihr sah. Hatte er wieder einmal gespürt, was vorging? 

»Poison, du kleine Furie.« Unten brüllte Sean Yvonne an, die etwas völlig Unverständliches zurückschrie.

»Alles Okay bei dir?« Die Tür öffnete sich und Bear sah in das Zimmer. 

Karen nickte ihm zu. »So schlimm war es noch nie oder?« Karens Stimme zitterte. 

Dass Yvonne angespannt war, war keine Neuigkeit. Aber dass sie derart aggressiv reagierte, fühlte sich für Karen fremd an.

»Tja, du weißt ja, sie ist wieder diensttauglich, also ist alles Okay.« Bear zuckte mit den Schultern und sie hörte die Ironie in seinen Worten. 

Unten gab es einen lautstarken Streit zwischen Yvonne, Sean und Nathan. Noch bevor Karen und Bear die Treppe hinunter geeilt waren, war Syrell im Flur angelangt und schrie ebenso laut auf Sean und Nathan ein. Karen warf auf halber Strecke einen Blick in Richtung Küche und konnte sehen, wie sich der Indianer vor Yvonne gestellt hatte und sie zurückhielt. 

Kopfschüttelnd ging sie vor Bear die letzten Stufen hinunter und blieb am Treppenansatz stehen.

»Ruhe verdammt, alle vier! Wo sind wir hier?« Bears tiefe Stimme hallte durch das Haus und ließ die vier Kontrahenten aufsehen.

»Misch dich nicht ein«, zischte Yvonne ihn an. 

Karen sah, wie Syrell ihr etwas ins Ohr flüsterte und sie sichtbar einige Male tief Luft holte. Dann ging sie wortlos an ihr und Bear vorbei, Richtung Terrassentür. Syrell folgte ihr und auf den Kommentar von Bear, ob der Indianer zurechtkommen würde, flogen weitere wüste Beschimpfungen durch den Flur.

So hatte Karen sich die Vorweihnachtszeit nicht vorgestellt. Frustriert betrat sie die Küche, als Sean und Nathan sich im Wohnbereich auf der Couch niederließen. 

»Na ein wenig Action an einem Samstagmorgen hat doch auch was.« Darrel, der das gesamte Schauspiel scheinbar neutral vom Sofa aus beobachtete hatte, grinste sie frech an.

»Anstatt, dass du da sitzt und Däumchen drehst, könntest du mir helfen, die Deko anzubringen«, antwortete sie dem Australier leicht aggressiv.

»Nee, entschuldige Tinkerbell, aber ich werde das Ding, da …« er deutete auf die Tanne, die sie sich hatte liefern lassen. 

»… nicht dekorieren. Ich will dich nicht angreifen, aber ich finde, es ist noch zu früh.«

Karen entfuhr ein Schnauben und sie verließ die Küche. Wütend über Darrel und darüber, dass es scheinbar niemanden wirklich interessierte, was in der Beziehung von Syrell und Yvonne passierte, ging sie in ihr Zimmer, in dem sich seit Wochen drei Kartons mit Weihnachtsdekoration stapelten.

Sie hörte, wie sich die Haustür öffnete und wie Bears tiefe Stimme verkündete:

»Captain an Bord.«

Sie rollte mit den Augen. Es gab Tage, da fühlte sie sich wirklich wie auf einem Schiff oder, was sie eigentlich noch schlimmer fand, als wäre sie mitten auf der Base. Es waren die Tage, an denen sich die Männer nur mit Nachnamen ansprachen und an denen gerade Sean eine Tonart an den Tag legte, die sie nicht gutheißen konnte.

Sie mochte die Abende, wenn sie gemeinsam draußen am Grill standen. Dann konnte sie wenigstens für einen kurzen Moment vergessen, welchem Job die Männer und Frauen nachgingen. Mit jedem Monat, den sie unter der Anti Terroreinheit verbrachte, wurde ihr bewusster, wie schnell sie einen ihrer Freunde verlieren könnte. 

Erschrocken zuckte sie zusammen, als es an der Tür klopfte.

»Ja?« 

Langsam öffnete sich die Tür und Bears Gesicht tauchte in der Tür auf.

»Alles okay, Tinkerbell?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie an.

»Ja, alles gut. Kannst du mir eben helfen, die Kartons in das Wohnzimmer zu tragen?«

»Sicher.« Leichtfüßig betrat der riesige Mann ihr Zimmer und sie bemerkte, wie sein Blick kurz durch das Zimmer schweifte. Er blieb neben ihr stehen und legte seine Hand auf ihre Schulter. Sie schloss die Augen und legte ihre Hand auf seine und ihr fiel auf, wie groß seine Hand war und wie verloren ihre darauf wirkte.

»Sie werden sich wieder vertragen. Mach dir nicht so viele Gedanken, Karen«, flüsterte er leise.

»Meinst du?« Unsicher drehte sie sich um und blickte in die Augen des Russen, der gute zwanzig Zentimeter größer war als sie. 

»Ich denke schon.« 

Karen sah dem riesigen SEAL an, dass er doch Zweifel an dem hatte, was er ihr weiß machen wollte. Seufzend löste sie sich von ihm und drückte ihm zwei der großen braunen Kartons in die Hand.

»Denken ist nicht wissen, Bear. Sie tut mir einfach leid und dass sie sich nicht helfen lassen will …«

Karen ließ den Satz unvollendet, als sie sich den dritten Karton nahm und ihr Zimmer vor dem Russen verließ.

»Mir ist relativ egal, was du denkst, Sean. Wenn ich sage, Syrell geht mit, geht er mit.« 

Erschrocken zuckte Karen zusammen, als sie die laute aggressive Stimme von Paul vernahm, die aus der Küche kam.

»Erwartest du echt, dass er Poison hier alleine lässt?« Nathan klang nicht weniger aufgebracht und Karen musste schlucken, als sie begriff, was Paul vorhaben könnte. Kopfschüttelnd blieb sie im Flur stehen. Wieder legte sich eine Hand auf ihre Schulter.

»Warte hier«, brummte Bear ihr zu. Nur widerwillig blieb sie stehen und beobachtete, wie Bear mit den Kartons unter einem Arm in der Küche verschwand und die Tür hinter sich zu zog.