First Source Security 1

Versprechen zwischen Ruinen Leseprobe

1.

Durchatmend stand Cayden Harrison im Flur seines Hauses und lauschte in die herrschende Stille. Es war absolut nichts zu hören. Kein Fernseher, kein CD Player, keine Teenagerstimme, die mit irgendwem telefonierte und dabei immer wieder auflachte. Einfach nur Stille. Selbst vor dem Einfamilienhaus in der ruhigen Seitenstraße schienen in diesem Moment die Autos stillzustehen. Wie ein Hohn, mit dem das Schicksal ihm deutlich vor Augen führen wollte, dass er hier alleine war. Er musste sich zwingen, den Schlüssel seines Mustangs auf den Schrank an der Garderobe neben dem Eingang zu legen und nicht einfach wieder zu gehen. Heute Nacht wäre er wirklich alleine. Aber es war nicht das erste Mal, dass er alleine in seinem Haus war. Samira hatte schon mehrfach die Nächte bei ihrer Freundin verbracht und sie war auch schon ein paar Tage auf Klassenfahrt gewesen. Aber da hatte er sie schließlich gesehen, weil es zu einem fatalen Zwischenfall gekommen war. Ein Teil der Klasse hatte sich während eines Schneesturms im Yosemite National Park verlaufen und er war aufgebrochen, um bei der Suche zu helfen. 

Zwei Schritte machend stellte er fest, dass sie noch nie länger als vier Tage getrennt gewesen waren. Aber genau das würde sich sicher bald ändern. Samira würde bald vierzehn werden und irgendwann würde sie das Haus sicher auch verlassen, um zu studieren. Wehmütig lächelnd ging er in die Küche, wo er das Licht einschaltete. Das Mädchen, das kein Wort Englisch gesprochen, nur selten die Schule besucht, und in ihrer Heimat Nigeria keine Familie mehr hatte, wurde erwachsen. Es ging so rasend schnell. Er hatte ihr gemeinsam mit Jordan ein Zuhause gegeben und alles dafür getan, dass das Mädchen mit den dunkelbraunen Augen und dem Wuschelkopf eine Vorzeige-schülerin geworden war. Und das alles in nur knappen zwei Jahren, wo andere ihre Kinder von Geburt an begleiteten. Cayden war unfassbar stolz auf sie und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass auch Jordan weiter erleben konnte, wie das kleine, unterernährte Mädchen, dem sie im Alter von geschätzten zwölf Jahren ein Zuhause gegeben hatten, zu einer wunderschönen Frau wurde. Aber das würde nicht passieren. Dieser Wunsch würde unerfüllt bleiben. Eine schwere Last legte sich auf seine Brust. 

Jordan.

Die Frau, die sein Leben erst auf den Kopf gestellt und dann völlig neu ausgerichtet hatte, war nicht mehr am Leben. Gestorben durch eine Kugel, die ihm gegolten hatte. Auf dem Trainingsgelände der Navy in Coronado, dem Ort, an dem er sich immer sicher gefühlt hatte. Immer noch litt Cayden unter Albträumen und immer noch hoffte er jeden Tag aufs Neue, dass sie einfach wieder da wäre, wenn er heimkam. Dass all das nur ein schlechter Traum war, der endlich endete. Aber es war kein Traum. Er war nun alleine mit Samira, die Jordans Tod so viel besser verarbeitet hatte als er.

Es war noch nicht mal acht Wochen her und Samira verhielt sich wie immer, während er selbst erst abgestürzt war und sich nun seit fast vier Wochen in die Arbeit stürzte, um die Gedanken an Jordan nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Er tat alles, um sich abzulenken, und nun stand er viel früher als geplant im Haus und hatte bereits nach knapp zehn Minuten das Gefühl, ihm würde die Decke auf den Kopf fallen. Die Kühlschranktür aufziehend und einen Blick auf das Angebot, welches er vor zwei Tagen gekauft hatte, werfend, schloss er sie nur wenige Sekunden später wieder. Er hatte keinen Hunger. Er drehte sich um, verließ die kleine Küche wieder und betrat das Wohnzimmer. Auf der Couch lag eine Wolldecke, darunter lugten Zeitschriften hervor. Auf dem niedrigen Wohnzimmer-tisch standen einige Gläser und zwei Pizzakartons. Auf dem Boden entdeckte er Popcornreste und ärgerte sich darüber, dass er noch nicht aufgeräumt hatte. All das waren die Reste von einem Filmabend, den er vor drei Tagen mit Samira nach Feierabend verbracht hatte. Er hatte ihr versprochen aufzu-räumen, da sie viel zu müde gewesen war und nun sah es schon drei Tage so aus. Samira hatte ihn in den letzten Tagen nicht einmal darauf angesprochen, aber auch keine Anstalten gemacht aufzuräumen. Sie war ansonsten erstaunlich ordentlich im Vergleich zu ihm in ihrem Alter. Bei ihr benötigte man keinen Suchhund, um das Bett zu finden. Auch die Luft im Zimmer war zum Atmen geeignet. So hatte es bei ihm erst später ausgesehen und dann auch nur, wenn er mal eine Freundin mit heimgebracht hatte, und das war äußerst selten passiert, da die Stimmung in seinem Elternhaus nicht immer die beste gewesen war. Meistens war er mit zu den Mädchen gegangen, auch wenn das bedeutet hatte, dass er vor allem von den Vätern argwöhnisch beäugt worden war. All diese Männer hatten Angst gehabt, dass ihren Töchtern etwas angetan wurde. Damals hatte er diese Blicke nicht verstanden. Heute war er sich sicher, dass auch er sie haben würde, wenn Samira einen Jungen mit heimbringen würde.

Caydens Aufmerksamkeit wanderte zur kleinen Bar. Nein, kopfschüttelnd wandte er sich ab. Zum einen war kein Tropfen Alkohol mehr dort, zum anderen hatte er sich vorgenommen, nicht zu trinken. Schließlich war Alkohol keine Lösung und er musste am nächsten Tag früh in einer riesigen Villa am Coronado Beach auftauchen und dort Collin ablösen. Sein Kollege und Freund würde dort den heutigen Abend und die Nacht als Aufpasser für eine Einundzwanzigjährige verbringen. Die junge Candis, die sich selbst als It-Girl und Influencerin bezeichnete, war die Tochter eines Multimillionärs, der sich Sorgen um ihre Sicherheit machte, solange sie in Kalifornien war. Auch wenn sie mit einundzwanzig erwachsen war, stand sie unter der ständigen Kontrolle ihres Vaters, der in Dubai mit Erdöl Millionen verdiente. Die Villa hier in Coronado war für ihn nichts weiter als ein billiges Feriendomizil. Dieser finanzielle Überfluss war etwas, was Cayden nicht leiden konnte, auch wenn er es für sich selbst auch gerne in Anspruch nehmen würde. Er hatte jedoch schon feststellen müssen, dass Klienten wie die junge Frau alles andere als einfach waren. Sie waren weit anstrengender als die Politiker, die er bereits betreut hatte. 

Müde ließ er sich auf die Couch sinken und starrte auf die schwarze Mattscheibe seines Fernsehers. Es war seltsam, hier zu sitzen und zu wissen, dass niemand da war. Den Fernseher einschaltend stöhnte er bereits bei den ersten Bildern auf. In den Nachrichten wurde wie jeden Tag der letzten Wochen von den Unruhen in Syrien berichtet, die in Caydens Augen einem Krieg gleichkamen und davon, dass die CIA angeblich Informationen zum Aufenthaltsort von Milazim hatte. Alleine diese Nachricht sorgte bei Cayden für einen kalten Schauer. Wenn es wirklich Informationen gab, würde man sie der Presse sicher nicht mitteilen, es sei denn, Agent Ballot hatte wieder einmal seine Finger im Spiel. Cayden überkam jedes Mal Übelkeit, wenn er an den Mann der CIA dachte, der den Tod von Jordan zu verschulden hatte. Jedoch war es nicht möglich, ihm die Tat einwandfrei zuzuordnen. Allerdings wurde die Luft für den Agenten dünner, was Cayden mit wachsender Begeisterung beobachtete. Caydens ehemaligem Kollegen Rafael Bishop war es gelungen, dass Ermittlungen gegen den Agenten in die Wege geleitet worden waren. Es war eine Genugtuung für ihn zu wissen, dass gegen Ballot wegen Mordes ermittelt wurde.

Sollten sich die Beweise verdichten, würde Cayden bald mit Sicherheit wissen, dass Jeff Ballot Jordan umgebracht hatte. Bisher waren all das nur Vermutungen, die nicht auf Indizien gestützt werden konnten, da Beweismaterial aus der Asservatenkammer verschwunden war. Die Kugel, die man bereits untersucht hatte und die nicht zum Gewehr von Riccardo Liccardi gehört hatte, war spurlos verschwunden. Liccardi hatte Cayden über Wochen verfolgt und Rachegelüste gehegt, da Cayden seinen Bruder in einem Einsatz getötet hatte. Man hatte bisher außerdem nicht beweisen können, dass die Kugel aus dem Gewehr stammte, an dem man einen verwaschenen Fingerabdruck gefunden hatte, der zu fünfundsiebzig Prozent Jeff Ballot gehörte. Cayden war noch nie ein gläubiger Mensch gewesen, aber seit Jordans Tod betete er. Er bat Gott darum, dass Samira den Tod ihrer Adoptivmutter gut verkraftete, darum, dass es ihm weiterhin gelang, die Raten für das Haus zu zahlen und darum, dass man Jeff Ballot als Täter überführen konnte. Er wollte endlich Gewissheit. Er wollte kein Motiv wissen, er wollte nur den Schuldigen. Mehr nicht. 

Das Klingeln seines Handys löste nicht nur seinen Blick vom Fernseher, sondern auch seine Gedanken von der Vergangen-heit. Er griff in die Brusttasche seines schwarzen Hemdes, zog sein Handy hervor und lächelte, als er Samiras Nummer entdeckte. Wenn sie in den Nächten nicht da war, rief sie ihn an den Abenden an. 

»Hi Prinzessin, wie geht es dir?« Das Gespräch annehmend lehnte er sich zurück, darauf vorbereitet, dass er Neuigkeiten aus der Schule erfuhr. 

»Hey Cay, mir geht es gut. Die Schule war total öde. Bist du schon zu Hause?« Ihre Stimme war belegt, was ihn aufhorchen ließ. 

»Ja. Was ist los Prinzessin?« 

»Nichts, ich würde nur gerne bei dir schlafen heute Nacht.« Ihre Stimme war immer noch seltsam, aber er konnte ihre Hoffnung hören, dass sie die Nacht in ihrem Bett verbringen könnte. 

»Natürlich. Hast du schon mit Ellen gesprochen?« Auch wenn ihm klar war, dass der Morgen für ihn stressig werden würde, da er Samira eine Stunde vor Schulbeginn an der Schule abliefern müsste, wollte er ihr nicht verbieten, die Nacht zu Hause zu verbringen und nicht bei der Familie ihrer Freundin, wo sie immer dann übernachtete, wenn er einen Auftrag hatte.

»Sie sagt, es ist okay. Kannst du mich abholen?« 

»Ja, ich mache mich gleich auf den Weg.« 

»Okay, bis gleich.« 

Cayden beendete das Gespräch. War etwas im Hause der Delaneys vorgefallen, dass Samira die Nacht nicht dort verbringen wollte? Hatte es Streit oder Probleme gegeben? Aber dann hätte Ellen Delaney, die Mutter von Samiras bester Freundin Jackie, doch Bescheid gegeben, oder? Jackies Mutter hatte ihm angeboten, sich um Samira zu kümmern, wenn er arbeiten war oder auch mal einen freien Abend benötigte, was bisher noch nie vorgekommen war. Außerdem unterstützte sie ihn bei der Buchführung. Da die Mädchen sich gut verstanden, hatte Ellen kein Problem damit und sagte immer, dass es auf ein Kind mehr, das sie beaufsichtigen musste, nicht ankam. Dazu waren alle keine Kleinkinder mehr, Ellen musste also nicht befürchten, dass die Kinder etwas taten, was sie in Gefahr brachte. Die Delaneys bezeichnete er zwar noch nicht als gute Freunde, wohl aber waren sie Ansprechpartner für ihn, wenn es um die Schule oder Samira ging. Bei drei Kindern, die sich zu dem alle in der Pubertät befanden, hatten sie einen weit größeren Erfahrungsschatz als er, auf den er gerne zurückgriff.

Eine halbe Stunde später stand er in der Abenddämmerung am Einfamilienhaus der Delaneys und wollte gerade das Auto verlassen, als sich die Haustür öffnete und Samira heraustrat. Mit großen Schritten und einem ernsten Gesichtsausdruck kam sie auf ihn zu. 

»Wir können sofort fahren«, erklärte sie ihm, zog die hintere Tür auf, warf ihre Tasche auf den Rücksitz, knallte die Tür zu, umrundete den Wagen und saß nur zehn Sekunden später auf der Beifahrerseite, wo sie die Tür ebenfalls geräuschvoll zuwarf. Cayden murmelte ein leises und erstauntes »Okay.« Er sah zur Tür, wo Ellen aufgetaucht war. »Wir fahren gleich. Ich will wenigstens Ellen begrüßen.« Er stieg aus und ging auf die dunkelhaarige Frau zu, die schnaubend durchatmete. In diesem Moment war ihm klar, dass irgendetwas passiert sein musste. Inständig hoffte er, dass Samira keine großen Probleme verursacht hatte. 

»Es tut mir leid, Cayden. Ich konnte sie nicht zum Bleiben überreden.« Ihr Blick wanderte an ihm vorbei, als sie ihm zur Begrüßung die Hand reichte. 

»Die blöde Kuh soll bleiben, wo der Pfeffer wächst«, erklärte Jackie, die Cayden nicht sehen konnte, von irgendwoher und wurde sogleich von ihrem Vater zurechtgewiesen.

»Was ist passiert?« Cayden richtete seine Frage an Ellen, die hilflos mit den Schultern zuckte. 

»Genau weiß ich das auch nicht, aber es geht wohl um einen Jungen, den sie beide gut finden, der aber heute wohl nur Augen für Samira hatte«, erklärte Ellen mit einem gequälten Lächeln. 

»Weil sie ihm die ganze Zeit schöne Augen macht, dabei hat sie zu mir gesagt, sie findet ihn hässlich und arrogant.« Eine Tür flog krachend ins Schloss und Mr. Delaney schickte seiner Tochter eine Beschimpfung hinterher.

»Okay«, Cayden hatte keine Ahnung, was er auf diese Erklärung erwidern sollte. Ihm schoss lediglich sofort der Gedanke durch den Kopf, dass er sich nun schnell einen Ort suchen musste, an dem Samira die Nachmittage oder auch mal Nächte verbringen konnte, sollte dieser Streit länger anhalten. Einen Streit unter den Mädchen hatte er nicht eingeplant.

»Das legt sich sicher bald wieder. In ein paar Tagen ist der nächste Junge interessant oder der Typ von heute war so blöde, dass die Mädels darüber lachen können. Ich hab ihnen schon gesagt, dass so ein Streit um Jungs völlig bescheuert ist, aber das ist so ein Punkt, den sie am besten selbst bemerken müssen. Da redet man sich sonst den Mund fusselig.« Erneut zuckte Ellen entschuldigend mit den Schultern. 

»Hm, okay.« Unsicher sah er nochmals an Ellen vorbei. Was genau er hinter der Fünfundvierzigjährigen zu sehen erwartete, wusste er selbst nicht. Vielleicht erhoffte er sich, dass Jackie um die Ecke kam und sich mit Samira aussprechen wollte, aber es passierte nichts. 

»Wenn du willst, kann sie morgen trotzdem herkommen. Das Haus ist ja groß genug, da können die beiden sich auch aus dem Weg gehen. Und du kannst, ohne dir Sorgen machen zu müssen, arbeiten.« 

»Auf keinen Fall kommt die hier nochmal rein.« Schreiend machte Jackie klar, dass sie zum einen jedes Wort verstanden hatte und zum anderen Samira auf keinen Fall sehen wollte. 

»Ich glaube, morgen bringe ich sie woanders unter, bis sich die Wogen hier geglättet haben.« Auch wenn er nicht genau wusste, wo Samira den nächsten Nachmittag verbringen könnte, wollte er nicht riskieren, dass die Situation zwischen den beiden Mädchen eskalierte. 

»Sie kann aber jederzeit herkommen«, erklärte Ellen ihm fast flüsternd. 

Als Antwort nickte Cayden knapp und wünschte Ellen und ihrer Familie einen schönen Abend. 

Als er sich auf den Fahrersitz seines Fords setzte, richtete er seine Aufmerksamkeit auf Samira, der Tränen über die Wagen flossen. 

»Was ist passiert?« Prüfend musterte Cayden seine Adoptivtochter, die geräuschvoll schnaubte. Jetzt wollte er von ihr wissen, was los war, um die Situation besser einschätzen zu können.

»Jackie ist eine blöde Kuh. Aaron hat mich in der Schule angesprochen. Er ist ein ganz netter, aber mehr auch nicht. Jackie steht voll auf ihn und sie hat gesehen, dass wir in der Pause miteinander gesprochen haben. Sie ist aber nicht  dazu gekommen, sondern hat den Rest des Tages rumgezickt. Hier hat sie mich dann angemacht, dass ich ihr den Freund wegnehmen wollte. Dabei sind die beiden nicht mal zusammen. Ich hatte ihr schon vor Tagen gesagt, dass er nicht mein Typ ist. Nun meint sie, dass ich mit ihm geflirtet habe.« Samira strich sich mit dem Handrücken über die Augen. »Das ist so eine blöde Kuh. Ich will doch gar nichts von dem.« 

»Hast du ihr das gesagt?« Cayden versuchte, sich in das Seelenleben von Teenagern hineinzuversetzen, da er keinen Grund sah, der die Eskalation der Freundinnen rechtfertigte.

»Ja.« Samira begann im Handschuhfach nach Taschentüchern zu suchen. »Wo sind die Taschentücher?« Jetzt fuhr sie ihn an und Cayden musste sich zwingen ruhig zu bleiben. 

»Wahrscheinlich aufgebraucht, wenn da keine mehr sind. Wir fahren nun nach Hause und dann kannst du mir ja erzählen, was sie dazu gesagt hat, dass Alex dich nicht interessiert.« 

»Er heißt Aaron«, spie Samira ihn wütend an. 

Cayden stieß die Luft aus und startete den Motor. 

Eine halbe Stunde später stand er im Flur und sah Samira nach, die wütend mit großen Schritten in ihr Zimmer verschwand und die Tür hinter sich ins Schloss warf.

»Sami, es reicht.« Tief luftholend rief er Samira die Warnung hinterher und bereute es nur eine Sekunde später bereits, er hatte sie nicht anfahren wollen. Was um alles in der Welt sollte er nun machen? 

Das Klingeln seines Handys nahm ihm kurz die Entscheidung ab. Beim Blick auf das Display entdeckte er Duncans Nummer. Es war kurz nach einundzwanzig Uhr und Cayden fragte sich, was sein Kollege von ihm wollen könnte. In Duncans Haus liefen alle Fäden der First Source Security zusammen. Dort hatten sie ihr Büro und dort kamen ihre Aufträge rein. Cayden hatte sich dagegen entscheiden, das Büro in seinem Haus zu haben, um Samira aus seiner Arbeit herauszuhalten, und um zu vermeiden, dass alte Feinde ihn zu schnell finden würden. Auch Collin hatte sich dagegen gewehrt, ein Büro in seiner kleinen Mietwohnung einzurichten. Collin mochte während der Arbeit ein guter und zuverlässiger Kollege sein, in seiner Freizeit lebte er jedoch zurückgezogen und hatte immer wieder Probleme mit Flashbacks. Cayden wusste, dass sein Freund unter Schlafstörungen litt, die ihn hauptsächlich in den Nächten heimsuchten, weswegen Collin am liebsten die Nachtschichten übernahm. Auch wenn sie als gleichberechtigte Partner zusammen arbeiteten, taten Duncan und Collin immer wieder so, als wäre er ihr Vorgesetzter. Wahrscheinlich taten sie das nur, um sich hin und wieder aus der Verantwortung zu stehlen, wenn ihre Klienten unangenehm wurden. Dann wälzten sie die Probleme gerne auf ihn ab. Hoffentlich war ein solches Problem nicht der Grund für Duncans Anruf. 

»Was gibts?« Mit zusammengekniffenen Augenbrauen starrte er die Wand am Ende des Flures an. 

»Hey Boss.« 

Cayden rollte bei der Ansprache von Duncan mit den Augen. Auch wenn er der Geschäftsführer der First Source Security war, sah er sich nicht als Boss. Sie arbeiteten alle drei mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander. 

»Was ist los? Hat die kleine Candis Cat aufgefressen?« Cayden überlegte, welchen Grund Duncan für seinen Anruf haben könnte.

»Ich hatte hier gerade einen Anruf.« Duncan machte eine Pause. »Du glaubst nicht von wem.« 

»Komm, erzähl.« Cayden verlor die Geduld. Er wollte wissen, mit wem Duncan gesprochen hatte, aber er wollte ebenso dringend mit Samira reden. Er bemühte sich, neben dem, was Duncan sagte, das zu hören, was Samira gerade in ihrem Zimmer tat. 

»Scott Mattis hat angerufen und nach dir gefragt.« 

Cayden klappte vor Erstaunen der Mund auf und er benötigte einige Sekunden, um sich zu sammeln. Was um alles in der Welt wollte der Verteidigungsminister von ihm? Ging es gar um Jeff Ballot? Aber dann würde der Minister ihn doch nicht anrufen. Dafür gab es sicher andere Angestellte, die sich um so etwas kümmern mussten. 

»Was will er?« Cayden fiel auf, dass Duncan immer noch nicht weitergesprochen hatte. Es schien, als warte er nur auf eine Reaktion von ihm. 

»Er hat einen Auftrag für uns und würde dich gerne selbst sprechen.« Duncan klang hörbar beeindruckt darüber, dass Scott Mattis, den Cayden selbst noch nie getroffen hatte, ihnen Arbeit zukommen lassen wollte. 

»Was hast du mit ihm abgemacht?« Cayden sah kurz zur Zimmertür von Samira. 

»Ich habe ihm deine Handynummer gegeben und er sagte, er meldet sich bei dir. Kennst du ihn persönlich?« Duncans Erklärung folgte die Frage, die Cayden nun nicht beantworten wollte, da er mit Samira reden wollte. 

»Nicht wirklich. Ich erklär dir das morgen, ich muss mich um Sami kümmern. Danke, dass du meine Nummer weitergegeben hast.« Er wollte Duncan nun, so schnell es ging, loswerden. 

»Sami? Ich dachte, die ist bei ihrer Freundin.« 

»Teenagerprobleme.« Hoffend, dass ein Wort als Erklärung ausreichte, wollte er die Verbindung trennen. 

»Ach so. Na dann viel Erfolg. Halt mich auf dem Laufenden. Wir sehen uns morgen.« Duncan beendete das Gespräch, ehe Cayden antworten konnte. Einen Moment starrte Cayden das Handy an, ein wenig hoffend, dass es gleich wieder klingeln würde. Ihm kam der Gedanke, dass das Betreten von Samiras Zimmer dem Betreten einer Drachenhöhle gleichkam. Aber es klingelte nicht. Vielleicht würde Mattis ihn auch gar nicht anrufen. Das Telefon in seine Brusttasche schiebend, ging er zur Zimmertür von Samira, wo er vorsichtig gegen das weiße Holz klopfte. 

»Was?« Samiras Antwort auf sein Klopfen war hörbar gereizt. 

»Ich würde gerne mit dir reden.« Schon bei seinen Worten schloss Cayden die Augen. In solchen Momenten war es bis vor kurzem Jordan gewesen, die versucht hatte, die Wogen zu glätten, wobei Cayden nicht wusste ob es je Probleme wegen einer Freundin oder gar eines Freundes gegeben hatte. Auf der anderen Türseite herrschte eisiges Schweigen. 

»Sami, bitte.« Erneut gegen die Tür klopfend, wartete er auf eine Reaktion, aber es geschah absolut nichts. Langsam drückte er die Türklinke hinunter, nicht wissend, was ihn erwartete. 

»Lass mich in Ruhe!« 

Er hatte die Tür noch keine fünf Zentimeter geöffnet, als er Samiras weinerliche Stimme hörte. Ihren Wunsch ignorierend betrat er ihr Zimmer und fand sie auf dem Bauch liegend auf ihrem Bett. Sie vergrub ihr Gesicht im Kissen, als er sich auf die Kante ihres Bettes setzte. Schweigend hoffte er, dass sie ein Gespräch beginnen würde, da er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. 

Nach fünf Minuten des Wartens riss sein Geduldsfaden. Dabei war er sonst jemand gewesen, der in der Lage war, Tage auf etwas zu warten. Als Scharfschütze hatte seine Arbeit oft aus langem Warten bestanden. 

»Also, was hat es mit Aaron auf sich?« War der Name richtig oder würde sie ihn erneut anfahren?

»Jackie steht auf ihn, aber er ignoriert sie und mit mir hat er gesprochen. Sie glaubt, ich will was von ihm, will ich aber nicht. Wir haben uns gestritten und ich habe ihr immer wieder gesagt, dass ich ihn nicht mag. Zufrieden?« Samira hatte den Kopf gehoben und sah ihn aus verweinten Augen an. »Jungs sind scheiße«, resümierte sie schließlich. 

2.

Cayden stand gähnend in der Auffahrt einer riesigen Villa. Seinen Ford hatte er nur wenige Meter hinter sich so geparkt, dass er ohne weiteres in wenigen Sekunden das Grundstück verlassen könnte. In der Nähe seines Wagens stand der Honda Civic von Collin, der sicher sehnlich darauf wartete, von Cayden abgelöst zu werden. 

Am späten Abend hatte Cayden Samiras Problem zwar nicht lösen können, es aber immerhin geschafft, dass sie sich mit Jackie aussprechen würde, auch wenn ihre Freundin es ihr schwermachen würde. Cayden glaubte Samiras Worten, dass der Junge aus der Schule ihr nichts bedeutete. Und doch war in ihm öfter die Frage aufgekeimt, wie lange es noch dauern würde, bis Samira sich das erste Mal verlieben würde. Das Verlieben selbst würde sicher kein Problem darstellen und er würde es nicht verhindern können. Aber die wenigsten Menschen verbrachten ihr gesamtes Leben mit dem Menschen, den sie als ihre erste große Liebe bezeichneten. Cayden kannte niemanden, der nicht mindestens einmal an Liebeskummer gelitten hatte. Stress mit Freunden war meistens aus der Welt zu schaffen. Ein Beziehungsende war ein Beziehungsende. Das war kein Krach unter Freunden, der sich früher oder später aus der Welt schaffen ließ, selbst wenn die Freundschaft nie wieder so werden würde wie zuvor. Liebeskummer war etwas anderes und davor graute ihm. 

Ein am Grundstück vorbeirasendes Auto sorgte dafür, dass er seine Gedanken von dem löste, was ihm in der Zukunft passieren könnte. Ein kurzer Blick auf seine Uhr und ein weiterer Richtung Eingang der Villa machte ihm klar, dass er nun dringend zu Collin musste. Später, wenn Candis wieder an den Strand, ins Kino oder zum einkaufen wollte, würde Duncan zu ihm stoßen und auch die Nachtschicht übernehmen. Es war so sinnlos, diese Frau zu bewachen. Die einzigen Menschen, die sie vielleicht nicht leiden konnten, waren die, die in den sozialen Medien gegen sie hetzten. Solche Menschen trauten sich in den meisten Fällen ohnehin nicht in die Nähe ihrer Feinde. Dieser Typ Mensch war nur vor einem Bildschirm in der Lage, Aggressionen zu entwickeln. Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg zum Eingang. Die weißen Kieselsteine knirschten unter seinen schwarzen Lackschuhen, die er nur zu gerne gegen Turnschuhe oder Combat Boots tauschen würde. Sein gesamtes Outfit war alles andere als das, was er gerne trug. Der schwarze Anzug war mehr für Beisetzungen geeignet und er zweifelte daran, dass er irgendwem gegenüber respekteinflößend wirkte. 

An der Tür erwartete ihn ein kleiner Kasten mit einem Tastenfeld, und eine Kamera. Die Geheimnummer eingebend, starrte er das Tastenfeld an. Die Haustür öffnete sich nur Sekunden, nachdem er die letzte Ziffer eingetippt hatte und Cayden betrat das riesige Gebäude. Die weißen Wände und Marmorfliesen strahlten um die Wette und die Stille im Haus machte klar, dass Candis noch schlief. Ansonsten würde Musik durch das Haus hallen und er würde ständig Gefahr laufen, in irgendeine Story für die sozialen Medien, die die junge Dame gerade filmte, hineinzustolpern. 

Er fand Collin genau dort, wo er ihn um diese Zeit erwartet hatte. In der offenen Küche, die sich riesengroß an das noch größere Wohnzimmer anschloss. Allein die Größe der Küche hätte ausgereicht, um das gesamte Team der IATF zu versorgen, und im Wohnzimmer könnte man mit zwanzig Leuten übernachten, ohne dass es an Platz mangelte.

»Alter, ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr.« Collin hatte ihn entdeckt, erhob sich und schob die Tasse, die er vor sich auf dem Küchentresen stehen gehabt hatte, von sich. 

»Dir auch einen guten Morgen.« Cayden setzte sich auf das riesige cremefarbene Sofa, von wo er in die Küche schauen konnte. Er grübelte einen Augenblick darüber, ob er Collin von dem berichten sollte, was am Abend zuvor vorgefallen war. Als Erstes wollte er jedoch wissen, ob es etwas Neues von ihrer Klientin gab, abgesehen davon, dass sie sicher am Abend einige hundert Dollar für ein Essen ausgeben hatte.

»Gibt es irgendwas, was ich wissen müsste?« 

»Alles wie immer. Sie hat Papas Kreditkarte malträtiert, es gab Essen vom Japaner, dazu teuren Schampus.« Collin zuckte mit den Schultern und kam auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb er stehen und beugte sich leicht vor. »Diese Göre geht mir auf den Keks«, raunte Collin genervt und Cayden wusste, dass sein Freund nicht nur den Umstand meinte, dass Candis mit Geld um sich warf. Es war auch ihre arrogante Art. Sie behandelte sie nicht wie Luft, sondern wie ihr Personal. Immer wieder versuchte sie, sie dazu zubringen, Erledigungen zu machen oder Bilder von ihr zu schießen, die sie später in den sozialen Netzwerken posten konnte. Aber Cayden, Collin und Duncan waren da einer Meinung. Das waren Dinge, für die sie zum einen nicht bezahlt wurden und zum anderen waren sie, sollten sie sich um solche Sachen kümmern, abgelenkt. Da war es völlig egal, ob sie davon ausgingen, dass das Leben der jungen Frau bedroht war oder nicht. Sie trugen die Verantwortung und mussten alles dafür tun, damit ihr nichts zustieß. 

»Vielleicht sind wir hier schneller, raus als du denkst.« Cayden sah auf und musterte Collin, der mit seiner schwarzen Augenklappe weit gefährlicher aussah, als er es war. Die tiefen Narben, die Collin bei einem Anschlag davongetragen hatte, ließen ihn nicht unbedingt so aussehen, als wäre er ein Mitarbeiter einer Securityfirma, er wirkte eher, als würde er zu schwerkriminellen Rockern gehören.

»Warum? Probleme?« Collin richtete sich auf und warf kurz nach seiner Frage einen prüfenden Blick über die Schulter. Sollte ihre Klientin nun in den Raum kommen, müssten sie das Gespräch beenden und Cayden müsste sich einen anderen Moment suchen, um mit Collin zu sprechen.

»Mattis hat gestern bei Duncan angerufen«, erklärte Cayden leise und behielt ebenfalls die Schlafzimmertür im Auge.

»Was für ein Mattis?« Collin schüttelte kurz verständnislos den Kopf. 

»Scott Mattis.« 

Collin strich sich nachdenklich durch die Haare. Cayden wollte bereits zu einer weiteren Erklärung ansetzen, als sich das linke Auge von Collin weiter öffnete und sein Unterkiefer langsam nach unten glitt. 

»Der Mattis? Der Minister?« Collin sah ihn an, als rechne er damit, dass er falsch lag.

»Genau der.« Cayden nickte knapp. 

»Was will er und wie kommt der auf uns?« Immer noch konnte man Collins Verwunderung sehen.

»Weiß ich nicht. Er hat zu Duncan gesagt, dass er sich wieder meldet, das hat er aber bisher noch nicht.« Cayden hielt seine Stimme leise, da er meinte, etwas im Schlafzimmer gehört zu haben. 

»Boah.« Collin stöhnte laut auf. »Ich dachte gerade, du kommst nun mit einem mega Auftrag um die Ecke.« 

»Wer weiß.« Caydens Aufmerksamkeit lag auf der Schlafzimmertür, die sich langsam öffnete. 

»Ach … ich dachte, der Alte ist heute Morgen dran.« Die schlanke Einundzwanzigjährige kam, in einen schwarzen Seidenbademantel gehüllt, aus dem Schlafzimmer. Sie trug bereits jetzt weiße Highheels und der Bademantel erreichte die Knie nicht. Ihr Dekolleté war nur kapp verhüllt und sie warf sowohl Cayden als auch Collin einen verruchten Blick zu. 

»Mr. Tremblay kommt später. Mr. Wyler hat nun Feierabend«, erklärte Cayden der Blondine. 

»Wegen mir kann er wegbleiben. Wir drei könnten uns doch einen schönen Tag machen.« Mit schwingender Hüfte kam sie auf ihn und Collin zu, der genervt zur Decke sah.

»Miss Ward, wir sollen auf Sie aufpassen, für alles andere reicht selbst Ihr Geld nicht«, platzte es aus Cayden heraus. Collin sah ihn mit großen Augen grinsend an. 

Candis stieß ein Schnauben aus und verschwand, immer noch aufreizend die Hüfte schwingend, im Badezimmer. 

»Donnerwetter Snipes, das hätte ich nicht von dir gedacht.« Collin nickte anerkennend.

»Stimmt doch, oder nicht. Wir sind doch nicht ihre Toy Boys. Die könnte meine kleine Schwester oder Duncans jüngste Tochter sein.« 

Das Klingeln seines Handys unterbrach ihn dabei, wie er weitere Punkte aufzählen wollte. Es war eine ihm unbekannte Nummer, die er im Display seines Handys sah, als er es aus seiner Hemdtasche zog. Lautlos gab er Collin zu verstehen, dass er noch warten sollte, bis er das Gespräch beendet hatte, da er wusste, wie gerne sein Freund nun ins Bett wollte. Niemand wollte länger als nötig bei dieser Frau bleiben, die noch nicht mal eine gestandene Frau war. Sie war eine verblendete Anfang Zwanzigerin mit keinerlei Lebenserfahrung und ohne jeglichen Willen etwas zu lernen. 

»Harrison?« Cayden nahm das Gespräch an und ließ seinen Blick auf Collin ruhen. 

»Scott Mattis. Besteht die Möglichkeit, dass wir uns treffen können, Mr. Harrison? Ich würde Ihnen gerne ein Angebot unterbreiten.« 

»Ja, die Möglichkeit besteht, Sir. Wo möchten Sie mich treffen?« 

Collin formte tonlos das Wort Minister mit den Lippen und stieß den Atem aus, als Cayden nickte. Sein Puls hatte sich beschleunigt und er wartete gespannt auf die Antwort von Mattis. Er kannte den ehemaligen Commander, der nun einen der höchsten Posten in den Staaten innehatte, nur von kurzen Videokonferenzen, die er während seiner Zeit bei der IATF miterlebt hatte. Dass er einmal direkt vom Minister angerufen werden würde, hatte er sich nicht träumen lassen. Sowas war mehr als unwahrscheinlich. Normalerweise hatte dieser Mann Angestellte für Telefonate wie diese. 

»Ich bin heute Abend in San Diego im Searsucker. Ich würde Sie gerne zum Essen einladen. Ein vertrauliches Vieraugen-gespräch, Mr. Harrison. Wir verstehen uns?« Nun wurde der Ton des Ministers schärfer und es war nicht mehr zu überhören, dass es ein Befehl war, nicht über das zu sprechen, was gerade geschah. 

»Selbstverständlich, Sir. Wann?« Cayden schluckte. Das könnte ihr Durchbruch werden. Sollte es sich um einen Auftrag handeln, den er direkt von der Regierung bekam, stand ihnen nicht nur ein gutes Honorar ins Haus, sondern mit etwas Glück immer wiederkehrende Aufträge. Dann mussten sie sich nicht mehr mit irgendwelchen It-Girls rumschlagen. Dann würden sie Politiker beschützen. 

»Heute Abend um acht. Ich werde meine Männer anweisen, Sie an meinen Tisch zu bringen.« 

»Ich werde erscheinen, Sir.« 

»Danke Mr. Harrison.« 

Das Gespräch war beendet, ehe Cayden noch etwas sagen konnte. Dutzende Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wie war der Minister auf ihn gekommen und wer konnte bei Samira bleiben. Oder konnte er sie am Abend alleine lassen? 

»Und?« Fordernd hob Collin die Hände, deren Haut ebenfalls von feinen Narben gezeichnet war. 

»Er will mich heute Abend im Searsucker treffen. Ein vertrauliches Gespräch, um mir ein Angebot zu unterbreiten.« Er bemerkte, wie seine Stimme leiser wurde, und dass er nachdenklich klang. 

Collin stieß pfeifend die Luft aus. »Respekt, dann haben wir ja doch was richtig gemacht. Wann sollst du da sein?« Collin setzte sich neben ihn auf die Couch. 

»Um acht.« Cayden starrte den Boden vor seinen Füßen an und war in Gedanken bei Samira. Sollte er ihr zutrauen, alleine zu bleiben, oder sollte er Ellen bitten, sich um seine Adoptivtochter zu kümmern? Oder sollte er ganz jemand anders fragen? Karen? Die Frau, die jahrelang als gute Fee des IATF-Teams agiert hatte und nun mit einem seiner alten Kollegen liiert war, würde sich sicher freuen, mal wieder Zeit mit Samira zu verbringen. 

»Ich löse dich um fünf ab, aber nur, wenn ich jetzt verschwinden kann. Rufst du Duncan an?« Collin stand bereits wieder auf und Cayden gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er einverstanden war und Duncan Bescheid geben würde. 

Fast zwei Stunden später kam Candis wieder aus dem Bad. Collin war längst verschwunden und Duncan hatte mit einem lauten Seufzen zugesagt, früher zu kommen. Cayden musterte Candis nachdenklich und stellte sich die Frage, ob Samira sich je so herausputzen würde. Alleine die Schminke, die seine Klientin im Gesicht trug, war so extrem, dass er sich fragte, ob sie sich am Abend mit Hammer und Meißel abschminken würde. 

»Wir können los.« Ein breites Grinsen umspielte ihre Lippen und er stöhnte auf. Eigentlich hatte er auf Duncan warten wollen.

»Wohin?« Er erhob sich und griff nach seinem Handy, das er auf den Tisch gelegt hatte. 

»Frühstücken mit den Mädels im Cody´s La Jolla.« Sie lächelte ihn an »Du kannst gerne mitessen.« 

Cayden rollte mit den Augen und lehnte dankend ab. Das Café lag gute zwanzig Minuten Fahrt von der Wohnung entfernt und war für seine Aussicht auf den Strand bekannt. Der Gedanke, die nächsten Stunden zwischen schwatzenden jungen Frauen zu verbringen und dabei zuzusehen, wie sie am Vormittag mit Sekt und Kaviar in ihrem Reichtum schwelgen würden, stieß ihm sauer auf. 

3.

Um kurz vor acht stand Cayden im Searsucker, wo er sich mit Scott Mattis treffen wollte. Die letzte Stunde seiner Arbeitszeit hatte er vor einem Nagelstudio verbracht und beschlossen, Samira nie ein Nageldesign für mehrere hundert Dollar zu zahlen. Er sah absolut keinen Grund, für ein wenig Farbe so viel Geld auszugeben. Duncan hatte dann den Vorschlag gemacht, dass Samira Kosmetikerin werden könnte. Scheinbar verdienten die recht gut, da die Superreichen für das bisschen Farbe an den Fingern viel Geld bezahlten. Aber auch das war etwas, was er wohl nach Möglichkeit nicht unterstützen würde. Dass Collin, der vor dem Nagelstudio zu ihnen gestoßen war, dann auch noch vorgeschlagen hatte, Samira könnte zur Navy gehen, hatte ihn protestierend in die Flucht geschlagen. Das war eine Diskussion, die er heute nicht hatte führen wollen. Auch wenn er wusste, dass er Samira nicht befehlen konnte, welchen Job sie später machen sollte, war er gegen den Berufswunsch der Kosmetikerin und dem der Soldatin oder Polizistin. Er würde wahnsinnig werden, sollte sie sich einmal wie er in den Krisenregionen der Welt befinden. Er würde wahrscheinlich vor Sorge sterben. Und doch ahnte er bereits seit einiger Zeit, dass Samira die Navy ins Auge gefasst hatte. Viel zu oft fragte sie nach Einzelheiten der verschiedenen Berufsbilder dort.

Es war ihm noch am Morgen gelungen, Ellen zu erreichen, die zugesagt hatte Samira von der Schule zu holen, auch wenn die Teenager im Augenblick wohl nicht miteinander sprechen würden. Außerdem hatte er Samira mit der Befürchtung, dass sie zickig reagieren würde, eine Nachricht geschickt. Die erwartete Reaktion blieb jedoch aus. Vielleicht hatten die Mädchen sich bereits ausgesprochen und die vergossenen Tränen vom Vortag waren umsonst gewesen. Er hoffte, dass er seine Adoptivtochter am späten Abend abholen konnte, um noch ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen. Seit er mit seiner neuen Arbeit begonnen hatte, war die Zeit, die sie als kleine Familie verbringen konnten, wenig geworden. Aber er war endlich wieder in der Lage ihr Leben zu finanzieren und nicht nur ihres. Auch das von Collin und Duncan. 

»Mr. Harrison?« 

Cayden musterte den dunkelhäutigen Mann, der ihn von der Seite ansprach. Als Erstes fiel ihm das In-Ear-Headset des Mannes auf, dann, dass er einen Fleck auf der schwarzen Krawatte hatte. 

»Ja.« Cayden nickte und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Augen des Mannes vor ihm. Sein Gegenüber musterte ihn kurz skeptisch und deutete dann mit dem Kopf zur Seite. 

»Minister Mattis wartet bereits auf Sie.« Der Mann führte ihn zu einem Tisch, an dem ein Mann mit dem Rücken zu ihm saß. Cayden wurde von dem Securitymann angekündigt, ehe er den Tisch erreicht hatte. Es verwunderte ihn, dass der Sicherheitsmann den Minister von hinten ansprach, sodass Scott Mattis sich zu ihnen umdrehen musste. Auch wenn er nie während seiner Zeit in der Navy für einen Politiker als Security gearbeitet hatte, wusste er, dass diese dazu angehalten waren, ihre Klienten von vorne anzusprechen. 

»Danke Moore.« Mit einem Nicken in Richtung des Securitymannes bedankte Mattis sich und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf Cayden. »Ein Harrison, unverkennbar wer Ihre Brüder sind.« Scott Mattis erhob sich und reichte ihm die Hand. »Setzen Sie sich. Wein oder lieber ein Bier? Auch wenn es hier nicht auf der Karte steht, haben sie welches, und kein schlechtes dazu.« Mattis deutete mit dem Kopf auf den freien Platz ihm gegenüber. »Ich dachte mir, ich lade Sie ein und erzähle Ihnen beim Essen von meinem Anliegen, dann flüchten Sie vielleicht nicht sofort.« 

»Klingt so, als rechnen Sie damit, dass ich ablehne.« Cayden setzte sich auf den mit schwarzem Leder bezogenen Stuhl und musterte die verschiedenen Gabeln und Messer, die um den Platzteller verteilt waren. Das Restaurant besaß eine offene Küche, sodass sie von ihrem Platz aus den Köchen bei der Arbeit zuschauen konnten. Die Servicekräfte standen immer wieder am Tresen, wo sie die Bestellungen der Gäste aufgaben und die Gerichte entgegennahmen. An einigen Stellen standen ältere rustikale Kommoden auf denen Weinflaschen und Dekoration drapiert waren. Das gesamte Restaurant ließ nicht zwingend darauf schließen, dass man hier einen hochrangigen Politiker antreffen würde. Es machte einen gut bürgerlichen Eindruck auf Cayden, und auch die Angestellten schienen sich nicht daran zu stören, dass Mattis, den sie sicher kannten, hier saß und von seinen Securitymännern mit Argusaugen bewacht wurde. 

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie für meine Sache gewinnen kann, um ehrlich zu sein«, erklärte Mattis geheimnisvoll.

»Und da glauben Sie, ein Fünf-Gänge-Menü könnte mich überzeugen?« Cayden sah skeptisch auf und traf auf das amüsierte Grinsen des Verteidigungsministers. Der Mann mit den dunkelbraunen Haaren und braunen Augen lehnte sich zurück. 

»Ich komme nicht wegen der mehrgängigen Menüs, aber hier gibt es fantastische Steaks. Seit dem Anschlag in meinem Stammlokal bin ich da nicht mehr so gerne gesehen. Außerdem meint mein Securityteam, ich sollte das Restaurant erst mal meiden. Und da ich gerade hier bin, esse ich hier.« Mattis beugte sich vor. »Wenn es hier keine Steaks geben würde, würde ich schon lange wieder im Steakhouse sitzen. Ich kann Ihnen nicht mal sagen, welche Gabel man hier für was benutzt.« Leise raunend lag Mattis Blick kurz auf den Gabeln, die am Teller lagen. »Ich bin froh, wenn die das gleich wegräumen und die Steakmesser bringen.« Mattis lehnte sich wieder zurück und musterte ihn einen Moment schweigend, ehe er sich erneut vorbeugte und ihm die Hand ein weiteres Mal reichte.

»Scott.« Er nickte ihm zu und Cayden zögerte. Sollte er nun das vom Verteidigungsminister angebotene Du annehmen? 

»Mit Sean und Nathan bin ich ebenso per du wie mit dem Rest deines alten Teams. Allerdings nur wenn wir unter uns sind. Und genau das sind wir. Also, Cayden?« Die linke Augenbraue von Mattis hob sich fragend. 

»Cayden.« Er griff nach der angebotenen Hand. 

»Okay, dann hätten wir das schon mal geklärt und somit einen Grund mehr, warum du nicht sofort wieder wegläufst, wenn ich dir erzähle, warum wir hier sitzen. Bier?« 

»Gerne. Aber warum sollte ich gehen? Das klingt, als würde es um etwas gehen, dass nicht mal Team 6 machen würde.« Immer noch war Cayden unklar, warum Scott davon ausging, dass er gehen würde, sobald er ihm das Angebot unterbreiten würde. Scott wandte sich um und winkte einen Kellner an ihren Tisch, ohne auf seine Frage einzugehen. Er bestellte neben dem Bier für sich und Cayden jeweils ein T-Bone-Steak und wandte sich ihm wieder zu, als der Keller ging. 

»Sie würden es nicht machen, aber nicht weil sie es nicht könnten, sondern weil sie es nicht dürfen. Und Blackwater und Konsorten will ich da nicht hinschicken. Die haben es ja nicht so mit Regeln und Diplomatie.« Scotts Blick lag fest auf ihm. »Ich hab noch zwei Jahre und ich wollte die gerne hinter mich bringen ohne hinterher wegen irgendwelcher Skandale in den Geschichtsbüchern zu stehen.« 

»Keine weitere Kandidatur anschließend?« Cayden hatte die ersten Worte ignoriert und stellte sich die Frage, wie es mit einem anderen Verteidigungsminister weitergehen würde. Mattis hatte diese Stelle nun schon sechs Jahre inne und bisher immer die richtigen Entscheidungen getroffen, auch wenn es immer wieder welche gab, die man infrage gestellt hatte. Aber im Großen und Ganzen hatte es nie Probleme gegeben. Wahrscheinlich sah Cayden das auch so, weil die IATF unter Mattis gegründet worden war. 

»Nein, dann reicht es. Vielleicht gehen Redmann oder Lutrell ja in die Politik und einer von ihnen nimmt den Posten an«, lachte Scott auf.

»Das kann ich mir bei beiden nicht vorstellen«, erklärte Cayden, als der Kellner ihnen das Bier an den Tisch brachte. Sie bedankten sich mit einem Nicken bei dem jungen Mann, der schnell und schweigend verschwand. 

»Paul nicht, aber Mike könnte ich mir durchaus in dem Posten vorstellen. Aber bis dahin werd ich den Kopf noch eine Weile hinhalten. Cayden, weswegen ich dich herbestellt habe … Kannst du dir vorstellen, einen Auftrag im Ausland anzunehmen? Ich weiß, du hast eine Tochter und es ist nicht an mir vorbeigegangen, was mit deiner Lebensgefährtin passiert ist. Ich könnte es verstehen, wenn du ablehnen würdest. Daher auch meine allgemeine Befürchtung, dass du nein sagst.« Scott machte eine Pause und schien auf seine Antwort zu warten. 

Ausland. Das hieß nicht nur einfach mal vierundzwanzig Stunden nicht daheim. Es könnte schnell eine Woche oder mehr werden. Wollte er Samira das antun? Konnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren und wie würde sie damit umgehen. Was, wenn es wieder zu einem Streit zwischen ihr und Jackie kam, oder wenn es etwas andere gab, weswegen er da sein musste. Scott schien sein Zögern zu bemerken. 

»Pass auf. Ich erzähl dir, um was es geht, du bekommst vierundzwanzig Stunden, um mir zuzusagen oder mir einen Korb zu geben. Wobei ich einen Korb nicht einfach so hinnehmen werde. Ich kann mir nur im Ansatz vorstellen, was in deinem Kopf gerade für ein Kampf tobt. Ich hatte das Glück, dass meine Frau immer ein Auge auf unsere Tochter hatte, wenn ich weg war. Daher kann ich mir nur bedingt vorstellen, was du alles zu bedenken hast.« 

Cayden nickte stumm und spürte ein Brennen in der Brust. Es war der Gedanke an Jordan. Daran, was sie sagen würde. Wie würde sie entscheiden? Er war sich sicher, dass sie ihm den Kopf waschen würde, wenn sie erfuhr, dass er Samira allein lassen wollte. 

Als Scott weitersprach, zwang er seine Gedanken zurück zu dem, was ihm gesagt wurde. Es brachte nichts, sich immer wieder die Frage zu stellen, was Jordan sagen würde. Ständig ertappte er sich dabei. Wenn es um die Arbeit ging, um die Schule, selbst beim Einkaufen. Jetzt gerade musste er sich zwingen, diese Gedanken loszulassen.

Noch während sie auf ihr Essen warteten, erklärte Scott ihm, warum er ihn hierher bestellt hatte. Er war auf der Suche nach ein paar Männern, die den persönlichen Schutz eines Diplomaten übernehmen sollten, der etwas eigen in seiner Art war. Er mochte Securitymänner nicht und hielt sie nicht nur auf Abstand, sondern war bekannt dafür, einfach mal zu verschwinden. Was dann wiederum für Aufruhr unter seinen Aufpassern sorgte. Dieser Mann schien alles andere als einfach zu sein. Als das Essen an den Tisch gebracht wurde und Cayden sich die ersten Stücke des würzigen Steaks auf der Zunge zergehen ließ, war er bereits davon überzeugt, Scott einen Korb zu geben. Nervige Klienten hatte er bereits genug. Dann jedoch ließ Scott beinah beiläufig die Bezahlung ins Gespräch einfließen. Es war das zwanzigfache von dem, was er momentan verdiente. 

»Für mich und meine zwei Mitstreiter?« Cayden verwarf den Gedanken an die Absage. Für das Geld würde er auch einen anstrengenden Klienten übernehmen. Selbst wenn dieser Diplomat war und der Auftrag im Ausland lag. Für das Aufpassen auf Millionärstöchter und Geschäftsmänner würde er wahrscheinlich nie so viel bekommen. 

»Für jeden von euch.« Scott sah ihn ernst an und Cayden hätte sich um ein Haar an seinem Essen verschluckt. Im Geiste hatte er den Betrag auf sich Collin und Duncan aufgeteilt und selbst in diesem Fall bereits vor Freude in sich hineingegrinst. Aber mit der jetzigen Aussage konnte er es nicht verhindern, dass er den Minister mit großen Augen anstarrte und sich zum Weiterkauen zwingen musste. Sekunden verstrichen, ehe Cayden skeptisch wurde. Für diese Summe einen Diplomaten schützen zu müssen war nicht normal. Entweder war der Mann extrem wichtig und bekannt oder …

»Wo ist der Haken?« Cayden sah auf und traf direkt auf den Blick von Scott, als hätte er darauf gewartet, dass er diese Frage stellte. 

»Syrien. Im Moment ist er in Aleppo.« Scott legte seine Gabel zur Seite. »Bevor du nun absagst, denk drüber nach. Ihr seid sicher nicht da unterwegs, wo alles in Schutt und Asche liegt. Er führt Gespräche mit Regierungsmitarbeitern, und will versuchen die Krise dort zu glätten. Ich wollte ihn bereits zurückholen, aber er weigert sich. Und ohne Schutz will ich ihn nicht dalassen, auch wenn ich es eigentlich müsste.« 

»Krise?« Cayden hatte seine Gabel abgelegt und wäre um ein Haar in schallendes Gelächter ausgebrochen. Was zur Zeit in Syrien stattfand, war alles andere als eine Krise. Aleppo lag zu einem Großteil in Schutt und Asche und er vermied es, dass Samira Bilder von dort sah. Er wollte sie nicht mit dem Leid konfrontieren, welches sie in ähnlicher Form bereits erlebt hatte. Immer wieder kam es zu Bombardements, teils sogar mit Bio- und Chemiewaffen. In regelmäßigen Abständen gab es Bilder von verletzten und toten Kindern in den Nachrichten, die Regierungen schoben sich gegenseitig die Schuld zu und keiner wollte eingreifen. 

Scott wog den Kopf hin und her und sah ihn ernst an. »Ich weiß, was du denkst. Und ich hoffe, du weißt, wie ich die Sache sehe. Aber mir sind die Hände gebunden. Ist dir schon aufgefallen, dass die Presse nur noch von dort berichtet, wenn sie gerade keine anderen Schlagzeilen haben? Ist die gleiche Scheiße wie mit dem Jemen. Wenn es nichts Spannendes zu berichten gibt, sind die alten Konflikte wieder topaktuell. Dass da jeden Tag Menschen sterben, bekommt hier doch keiner mehr mit. Acosta versucht, sowohl mit der Regierung als auch mit den Rebellen zu sprechen, aber du weißt selbst, wie viele in der Sache mitmischen. Nicht zuletzt die Männer, die Milazim um sich gescharrt hat. Der hat eine eigene Armee, die es mit anderen locker aufnehmen kann.« Scott seufzte auf und nahm einen Schluck Bier. 

Cayden nickte schweigend und begann zu grübeln. Aleppo war alles andere als ein Ort, an dem er sein wollte. Dort lief man täglich Gefahr, umzukommen. Auch wenn es tatsächlich noch Stadtteile gab, in denen ein fast normales Leben möglich war, so war es trotzdem nicht ungefährlich. Vor allem dann nicht, wenn man kein Syrer war. Nachdenklich strich er sich durch das Gesicht und schüttelte unterbewusst bereits den Kopf. Er würde an viele Orte gehen, aber Syrien wäre wie der Jemen einer, wo er nicht hinwollte. Auch nicht für das ihm gebotene Geld. 

»Denk in Ruhe drüber nach. Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden. Es wäre gutes Geld.« 

»Warum geht der Secret Service nicht oder ein anderes Team?« Fragend musterte er den Minister, der bereits jetzt bestätigend nickte. Beinahe, als hätte er auf diese Frage gewartet. 

»Wir wollen keine Soldaten rüberschicken. Und der Secret Service fällt da mit rein.« 

»Blackwater?« Cayden schossen die abgebrühten Männer des wohl bekanntesten privaten Sicherheitsunternehmens durch den Kopf. Auch der Global Response Staff spukte durch seine Gehirnwindungen und er war gespannt auf die Antwort, 

»Blackwater … da können wir auch gleich eine Kriegserklärung schreiben.« Scott stöhnte auf. »Die sind alles andere als diplomatisch und man hat Angst, ein politisches Beben zu riskieren. Und unter uns, die Jungs vom GRS sind super, aber auch nicht viel besser. Eigentlich sollten gar keine Amerikaner dort sein, und schon gar keine Elitesoldaten oder Veteranen.« 

»Und nun geht man im Pentagon davon aus, dass wir diplomatischer arbeiten? Oder geht es nur darum, Kanonenfutter zu finden?« Cayden fiel Scott ins Wort und witterte etwas, dass seinen Plan, das Angebot auszuschlagen, bestärkte. War man nur auf der Suche nach Sündenböcken? Stand Acosta vielleicht bereits auf der Abschussliste und Washington benötigte nur jemanden, dem man im richtigen Moment Versagen zuschreiben konnte? Dass Scott tief durchatmete, machte die Lage nicht besser. Cayden bildete sich ein, den Grund dafür gefunden zu haben, warum man ihn und seine neugegründete Firma schicken wollte und keine die bereits seit Jahren für die Regierung arbeitete.

»Denk drüber nach Cayden.« Scott widmete sich wieder seinem Essen und schien das Thema für sich erledigt zu haben.

Erst nach elf verließ Cayden das Restaurant und hatte sich vorgenommen noch heute mit Collin und Duncan zu sprechen, auch wenn er sich sicher war, dass die zwei ebenso wie er ablehnen würden. Es war einfach zu gefährlich. Noch ehe er seinen Ford startete, schickte er eine Nachricht an Duncan und Collin, mit dem Vorschlag, sich in der Villa von Candis zu einer Lagebesprechung zu treffen, damit sie ihren eigentlichen Auftrag nicht aus den Augen verloren. Auf die junge Frau konnten sie auch während eines Gespräches achtgeben, vor allem, da sie wahrscheinlich irgendwelche Freundinnen eingeladen hatte und mit ihnen feierte. 

Genau diese Vermutung bestätigte Collin mit einem Foto von vielen jungen Frauen, die in knappen Bikinis durch die Villa liefen. Wo sie allerdings dort einen ruhigen Platz zum Reden finden sollten, war Cayden ein Rätsel. Sie einigten sich darauf, sich in einer halben Stunde in der Villa zu treffen. Cayden schickte außerdem eine Nachricht an Samira, in der er ihr eine gute Nacht wünschte und ihr versprach, sie am nächsten Nachmittag von der Schule zu holen. Eine Antwort bekam er jedoch nicht von ihr, aber er ging davon aus, dass Samira bereits im Bett lag.