Hot Notes – Verbrannte Heimat

1.

Werner trocknete sich die nassgeschwitzten Hände an der Hose ab und gab der Tür seines weinroten Impalas einen Stoß, damit sie ins Schloss fiel. Er entdeckte den Fußball, den er vor drei Wochen gekauft hatte, neben der Haustür des kleinen Hauses, auf dessen Einfahrt er stand. Das Licht vor dem Gebäude wurde von einem Bewegungsmelder eingeschaltet, als er sich kurz vor Mitternacht der Tür näherte. Im Fenster links neben der Tür brannte noch Licht.
Als er in San Diego aufgebrochen war, hatte er einen Augenblick mit dem Gedanken gespielt, sein Kommen nicht anzukündigen, diese Überlegung hatte er auf dem Highway verworfen. Lilly würde sich zu Tode ängstigen, sollte er mitten in der Nacht an der Tür klingeln. Unter Umständen würde sie ihm dann nicht einmal öffnen. Sie würde vermutlich die Polizei rufen und er müsste erklären, was er hier tat. Nun wusste sie, dass er auf dem Weg war und rechnete mit ihm. Er hatte ihr anhören können, dass sie sich auf seinen Besuch freute. Jetzt hoffte er, dass nicht nur die Aussicht, dass er mit ihrem Sohn Fußball spielen würde, der Grund für diese Freude war. Der Junge hing bei seinen Besuchen wie eine Klette an ihm, was ihn jedoch seltsamerweise nicht störte. Kinder hatten ihn bisher nie wirklich interessiert.
In Afghanistan hatte er zwar ab und an Schokolade und Lollis an die Kinder auf den Straßen verteilt, aber mehr Kontakt war nie dagewesen. Bei Rico war es anders. Sie spielten Fußball oder verlegten Eisenbahnschienen im Wohnzimmer, bis Lilly entnervt den Raum verließ. Werner holte mit dem Fünfjährigen vieles von dem auf, was ihm als Kind versagt geblieben war.
In diesem Augenblick war es aber nicht die Vorfreude auf den Jungen, die seine Hände schwitzen ließ. Er zog seine Reisetasche, die er in San Diego eilig gepackt hatte, von der Rückbank. Es war die Freude auf Lilly. Er hatte sie in der letzten Zeit täglich mehr vermisst und ihm war bewusst geworden, dass er deutlich mehr für sie empfand, als er sich eingestehen wollte. Wann und wie er ihr sagen würde, dass er sich verliebt hatte, wusste er hingegen noch nicht. Sie ging sicher davon aus, dass er nur vorbeikam, um Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen, der Vater und Onkel an einem Tag verloren hatte. Den Tod des Vaters hatten sie verhindern wollen, es aber nicht geschafft, der Tod des Onkels verfolgte Werner bis in den Schlaf.
Nacht um Nacht sah er Aidan McGregor neben sich im Wagen sitzen. Mit leerem Blick, der auf ihn gerichtet war. Nur wenige Meter daneben der andere Geländewagen, der ihm und Aidan in die Seite gerast war und sie an einen Laternenpfahl gedrückt hatte, mit zusammengefallenen Airbags. Werners Ampel hatte grün gezeigt. Er und Aidan wollten schnell bei ihrem Captain und dem örtlichen Polizeichef sein. Sie wollten in der Nähe sein, wenn Aidans Bruder aus den Klauen von Kredithaien befreit wurde. So weit waren sie jedoch nie gekommen, und auch der Einsatz war fatal gescheitert. Zwar konnte man Rico, den die Männer ebenfalls gefangen genommen hatten, befreien, sein Vater starb jedoch im Kugelhagel der Befreiungsaktion.
Werner lief ein kalter Schauer über den Rücken und er zwang sich, die dunklen Gedanken zu verdrängen. Er hatte die Tür erreicht und drückte auf die Klingel. Einige Sekunden vergingen, dann wurde das Licht im Flur eingeschaltet. Er konnte hören, dass aufgeschlossen wurde.
»Hi, schön, dass du da bist.« Sie öffnete mit einem strahlenden Lächeln die Tür und ließ ihn eintreten.
»Danke, dass du mir um diese Zeit noch aufmachst.« Er stellte seine Tasche auf den Boden und umarmte Lilly kurz freundschaftlich. Ein Geräusch an der Treppe ließ ihn nach oben sehen.
»Er ist da!« Laut rufend kam Rico die Stufen heruntergerannt und sprang von der vorletzten Stufe auf ihn zu. Werner fing den lachenden Jungen auf.
»Hi Großer.«
»Und ich dachte, du schläfst.« Lilly wuschelte Rico, den Werner immer noch auf dem Arm hielt, durch die Haare.
»Ich habe gewartet«, erklärte Rico, seine Mutter angrinsend.
»Das sehe ich.« Werner zwinkerte Rico zu. »Aber ich glaube, du solltest jetzt schnell ins Bett hüpfen, damit du morgen fit bist und wir Fußball spielen können. Nicht, dass ich noch Ärger mit deiner Mom bekomme.« Er setzte Rico ab und sah im Augenwinkel, wie Lilly ein Danke mit den Lippen formte, ohne es laut auszusprechen.
»Nur wenn du mir was vorliest.« Rico sah mit freudestrahlenden Augen zu ihm auf und stemmte seine Hände in die Hüften. Werner bemerkte, wie ihm sein Gesichtsausdruck entglitt. Er sollte eine Geschichte vorlesen? Das letzte Mal hatte er in seiner Schulzeit etwas vorgelesen, und auch das nur sehr widerwillig.
»Würdest du?« Die leise Frage von Lilly ließ ihn vermuten, dass sie ihm ansehen konnte, wie schwer ihm eine Zusage fallen würde. Er sah von Lilly zu Rico und konnte beim Blick in die grünbraunen funkelnden Augen nicht anders.
»Ja.« Er nickte, um seinen Worten etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Rico hüpfte freudig vor ihm auf und ab.
»Los, ab nach oben mit dir und such dir schon eine Geschichte aus.« Lilly deutete die Treppe hinauf. Rico lief ohne Widerworte freudig grinsend die Stufen hoch.
»Wenn er doch nur öfter so lächeln würde.« Lilly hatte ihrem Sohn nachgesehen und drehte sich zu ihm. »Ist es wirklich okay für dich? Du sahst so aus, als würdest du lieber ein Bier trinken.« Sie musterte ihn prüfend.
»Nein, es ist okay. Ich lese nur nicht so oft vor«, erklärte er und sah die Treppe hinauf. Kurz hatte er darüber nachgedacht, wann er das letzte Mal ein richtiges Buch gelesen hatte. Es musste Jahre her sein, denn er konnte sich nicht einmal an einen Titel erinnern.
»Ich kann auch …«
»Nein, es ist wirklich okay.« Werner nickte und hoffte, so seine Unsicherheit zu überspielen. Würde er gleich den Ansprüchen des Jungen genügen? Wahrscheinlich konnte Lilly weitaus besser vorlesen, schließlich hatte sie jahrelange Erfahrung.
»Gut, ich habe dir etwas von unserem Abendessen aufgehoben, weil ich nicht wusste, ob du vielleicht …« Sie sprach nicht weiter, sondern deutete auf die Küche, die man durch das Wohnzimmer erreichen konnte.
»Danke, das ist nett von dir.« Er hatte tatsächlich Hunger, hätte aber auch bis zum Morgen mit einer Mahlzeit gewartet.
»Kommst du?« Ricos Ruf hallte aus dem Kinderzimmer zu ihnen in das Erdgeschoss.
»Bin schon fast da.« Er sah zu Lilly, die ihre Hände in die Taschen einer weiten Jogginghose gesteckt hatte. »Bis gleich.«
Mitten auf der Treppe sah er über die Schulter und bemerkte Lillys abwesenden Blick. Sie sah ihm nach, schien aber auf etwas anderes konzentriert zu sein. Was es war, würde er in Erfahrung bringen, wenn er Rico vorgelesen hatte. Beim Betreten des Kinderzimmers atmete er schwer durch und sah den Jungen an, der mit einem Buch in der Hand auf seinem Bett saß.
»Deine Mom hat gar nicht erwähnt, dass hier eine Bombe eingeschlagen ist.« Werner hatte sich innerhalb weniger Sekunden einen Überblick über das herrschende Chaos gemacht. Bausteine, ein zerlegter Kran, Spielzeugautos und Stifte lagen wild verstreut am Boden.
»Das war keine Bombe«, erklärte Rico protestierend.
»Sondern?« Werner ließ sich an der Seite des Bettes nieder und betrachtete den Jungen, gespannt auf seine Antwort.
»Ich.« Rico hob reumütig den Blick. »Mom hat schon geschimpft.«
»Zurecht, oder?« Werner musterte den Jungen, der nun die angewinkelten Beine an sich zog und nickte.
»Dad hat mir immer geholfen«, erklärte er, sich in die Decke kuschelnd.
»Okay.« Werner atmete durch. Er wollte um diese Zeit keine Wunden mehr aufreißen. Er würde Lilly später fragen, warum sie ihrem Sohn nicht half. Unter Umständen hatte es einen guten Grund. »Was hältst du davon, wenn ich dir morgen helfe?« Rico antwortete nicht. Er reichte ihm das Buch, das er festgehalten hatte. Die Schatzinsel, als Kinderbuch von Disney. Werner schlug die ersten Seiten auf und musterte die Illustrationen.
»Jim hat auch keinen Dad mehr«, erklärte Rico mit heiserer Stimme, was wiederum Werner die Sprache verschlug. Was sollte er nun sagen? Einige Sekunden herrschte ein drückendes Schweigen.
»Wo muss ich denn weiterlesen?« Er sah den Jungen hilfesuchend an.
»Da, wo Jim den Mann nach Hause bringt.« Rico blätterte einige Seiten weiter und deutete auf das Bild einer Kreatur, die am Boden lag und vor der eine Kiste stand.
Werner begann zu lessen und schaute nach der ersten Seite zu Rico, der ihn allerdings noch mit wachen Augen taxierte, weswegen er weiterlas. Erst nach mehreren Seiten war Rico eingeschlafen. Werner bemerkte während des Lesens den gleichmäßigen Atem des Jungen und klappte das Buch zu, um es auf den kleinen Nachttisch zu legen. So leise wie möglich schlich er aus dem Zimmer. Gegenüber vom Kinderzimmer sah er die geöffnete Tür eines weiteren Raumes. Durch das wenige Licht, welches die Flurbeleuchtung in den Raum warf, erkannte er mehrere Körbe mit Wäsche. Lilly benötigte dringend Hilfe. Nur war die Frage, wie und von wem, schließlich konnte er nicht lange und schon gar nicht dauerhaft bleiben.
Wenige Augenblicke später betrat er das Wohnzimmer und entdeckte Lilly in der angeschlossenen Küche, wo sie ihn mit einem Teller erwartete, auf dem sich ein Reisgericht befand.
»Vielleicht nicht unbedingt das, was ein Mann wie du gerade braucht«, erklärte sie leise.
»Sehe ich so verhungert aus?« Er nahm ihr den Teller ab und ließ sich an dem kleinen Küchentisch nieder, während Lilly am Herd stehenblieb.
»Nein, so meinte ich das nicht. Ich dachte nur, dass dir ein Steak oder so vielleicht gerade lieber wäre.« Sie wich seinem Blick aus.
»Quatsch, wir können doch auch nicht nur wie Höhlenmenschen von rohem oder halb garem Fleisch leben.«
»Die haben mehr Obst gegessen, als du denkst.« Sie grinste ihn an.
»Echt?« Er schob sich eine volle Gabel in den Mund und wartete kauend auf eine Erklärung.
»Ja, die haben schließlich nicht jeden Tag erfolgreich gejagt, und die Kosten für einen Gefrierschrank, um etwas einzulagern, waren damals noch zu hoch.« Sie machte zwinkernd eine kurze Pause. »Sie haben auch Beeren und Wurzeln gesammelt und so Sachen wie Löwenzahn.«
»Wieder was gelernt.« Werner nickte. Über die Speisegewohnheiten von Höhlenmenschen hatte er keinen Plan gehabt.
Nach dem Essen nahm er das von Lilly angebotene Bier dankend an und bat sie, sich endlich zu ihm zu setzen, da sie die ganze Zeit am Herd gelehnt hatte. Seiner Aufforderung kam sie zwar ohne zu zögern nach, aber die aktuelle Stimmung lag drückend auf ihm.
»Ist alles okay? Kann ich dir bei irgendetwas helfen?« Werner musterte Lilly, nachdem er einen Schluck Bier genommen hatte. Sie schüttelte schweigend den Kopf. »Sicher?«, hakte er nach. »Ich mach das gerne.«
»Es ist alles okay, wirklich.« Ihr Lächeln in diesem Augenblick wirkte gezwungen.
Einer inneren Stimme folgend, legte er seine Hand auf ihre, sie schien kaum in der Lage zu sein, ihm in die Augen zu sehen. Vielleicht hatte diese Ablehnung etwas mit ihm zu tun. Womöglich wollte sie nicht, dass er hier war. Sie hatte gerade ihren Mann verloren und unter Umständen wollte sie keinen anderen im Haus haben.
»Ich kann mir auch ein Hotelzimmer nehmen und dir am Tage hier helfen.« Das wäre kein Problem. Es gab nur wenige Straßen weiter ein nettes kleines Hotel, in dem er schon einmal übernachtet hatte.
»Nein, Blödsinn, ich bin froh, dass du da bist. Außerdem hat Rico dich vermisst.«
»Okay. Ich nehme aber wieder das Sofa.« Er dachte darüber nach, wie er Lilly auf das Chaos im Kinderzimmer und in dem Zimmer gegenüber ansprechen sollte. Hier in der Küche und im angeschlossenen Wohnzimmer sah alles aus wie immer. So aufgeräumt, dass das, was er oben gesehen hatte, nicht zum Haus passte.
»Wie lange bleibst du?«
Immer noch lag seine Hand auf ihrer und er meinte, etwas Flehendes in ihrem Blick zu erkennen.
»Eine Woche, dann muss ich zurück. Wahrscheinlich direkt in einen Einsatz.« Mehr konnte und wollte er ihr nicht sagen. Er selbst wusste nur, dass er mit einigen anderen eine Einheit in Mali unterstützen sollte.
»Afghanistan?«
Werner war sich nicht sicher, aber er meinte Angst in ihren Augen zu sehen.
»Nein.« Er schüttelte umgehend den Kopf. Mit Afghanistan war bei den meisten Menschen der Tod vieler Soldaten verbunden, obgleich Mali ein weit gefährlicheres Pflaster sein konnte. Aber dieser Krisenherd war noch nicht so häufig in den Medien aufgetaucht. »Ich habe Rico angeboten, ihm morgen beim aufräumen zu helfen.« Werner wollte den Moment nutzen, in dem Lilly ihm in die Augen sah. Er war gespannt auf ihre Reaktion zu seinem Angebot.
»Das ist lieb, danke. Aber ich denke, das muss er selbst hinbekommen.« Sie zog ihre Hand zurück.
»Entschuldige, ich wollte dir nicht in die Erziehung funken.«
Der Moment, in dem sie die Hand zurückgezogen hatte, hatte sich so ablehnend angefühlt, dass er kurz befürchtet hatte, sie würde ihn nun doch bitten, im Hotel zu schlafen. Werner nahm einen weiteren Schluck von seinem Bier.
»Er weigert sich, alleine aufzuräumen, seid …« Sie schluckte.
»Schon okay. Ich kann ihn ja von der Tür aus motivieren oder so.«
»Es ist anstrengend geworden. Arbeiten, Haushalt, Rico. Ich bringe ihn morgens um sechs in den Hort und hole ihn nachmittags um fünf wieder ab. Nur an den Wochenenden haben wir mehr Zeit. Dann sitzen wir aber irgendwie nur rum. Ich …« Lilly hatte ihren Blick gesenkt und sah ihn erneut an. »Ich habe das Gefühl, Austin hat einen Teil von mir mitgenommen. Ich weiß nicht, wie ich die Kraft aufbringen soll, um ewig so weiterzumachen.« Ihre Stimme war dünner geworden und sie kämpfte gegen ihre Emotionen.
»Ich helf dir diese Woche. Morgen kümmere ich mich darum, dass Rico sein Zimmer macht und Montag bringe ich ihn zum Hort und hole ihn auch ab, wenn du mir sagst, wo er hinmuss. Du musst mir nur sagen, was ich tun soll, dann mach ich das.«
»Ganz der Soldat hm?« Sie hob fragend die Augenbrauen. »Ihr tut, was man sagt, ohne nachzufragen, ob es richtig ist.«
Werner biss sich auf die Zunge, diesen Vorwurf hatte er schon häufig gehört.
»Wir fragen sehr wohl nach. Wir müssen, egal, was wir machen, mit unserem Gewissen vereinbaren können. Das fängt schon ganz oben an. Wenn mein Vorgesetzter Zweifel, an dem hat, was er befehlen soll, wird er diese Zweifel zur Sprache bringen. Wir sind keine Roboter, die genau machen, was man ihnen aufträgt.« Hatte er seine Worte so ruhig hervorgebracht, wie er es sich vorgenommen hatte?
»Entschuldige, ich wollte dich nicht angreifen. Es …« Sie stockte. »Es ist nur das, was man immer mal wieder hört.«
Werner nickte. Er kannte diesen und andere Vorwürfe schon lange. Die einen unterstützten sie, wo sie nur konnten, und die, die gegen sie waren, taten das Gegenteil, und zwar mit weitaus mehr Energie als diejenigen, die ihnen freundlich gegenübertraten. Zum Glück waren die in den Staaten noch eine Minderheit. Ein kleiner Haufen von Leuten, die der Meinung waren, man brauche kein Militär.
Zwischen ihnen entstand ein unangenehmes Schweigen. Werner wollte seine Gedanken nicht aussprechen.
»Wäre es für dich wirklich okay?« Lilly holte ihn aus seiner Trance.
»Ja, natürlich.« Er nickte.

2.

»Ich geh kurz rauf und hol dir Bettzeug.« Lilly stand auf. Sie war froh, dass Werner angeboten hatte, auf dem Sofa zu schlafen. Stunden zuvor hatten sich ihre Gedanken immer wieder um die Frage gedreht, was sie für den Mann mit den pechschwarzen Haaren empfand. Er war attraktiv und zuvorkommend. Rico mochte ihn und er schien sich selbst als Ziel gesetzt zu haben, ihr unter die Arme greifen zu wollen. Diese Punkte verursachten ein warmes Kribbeln auf ihrer Haut. Seit dem Tod ihres Mannes vor wenigen Monaten hatte sich so vieles verändert. Einige Freunde hatten sich abgewandt, nachdem sie mitbekommen hatten, was die eigentliche Ursache für all die Vorfälle gewesen war. Sie wusste nicht, ob die Männer, die Lewis engagiert hatte, der Grund dafür waren oder ob sie einfach nichts mit einer alleinerziehenden Mutter zu tun haben wollten. Andere hatten ihr zwar angeboten, sie zu unterstützen, aber wenn Lilly sie benötigte, kamen Ausreden. Neben Werner gab es nur ihre und Austins Eltern, die jedoch zu weit entfernt lebten, um auf die Schnelle einzuspringen. Und sie waren alle berufstätig, was es schwer machte, mehr als ein Wochenende ihrer Zeit in Anspruch zu nehmen. Bei Werner war die Zeit noch knapper und doch freute sie sich weitaus mehr, ihn zu sehen als ihre Eltern oder ihre Schwiegereltern, bei denen sie sich vor einigen Tagen die Frage gestellt hatte, ob sie diesen Titel noch innehatten, seit Austin umgekommen war.
»Danke. Soll ich dir helfen?« Werner deutete an, aufstehen zu wollen.
»Nein, das bekomme ich hin.« Sie verließ das Wohnzimmer und ging leise die Treppe hinauf. Die Tür zu Ricos Zimmer war angelehnt. Sie riskierte einen knappen Blick in den von einem Nachtlicht beleuchteten Raum. Ihr Sohn schlief friedlich. Seit dem Tod seines Vaters und seiner vorherigen Gefangennahme schlief er nur noch mit dem Schein der kleinen Lampe. Das war vorher nicht nötig gewesen. Eine Erzieherin hatte passend bemerkt, dass sie alle froh sein konnten, dass der Junge keine größeren Probleme bekommen hatte. Allerdings war Lilly sich nicht sicher, ob nicht doch noch weitere Schwierigkeiten auftauchen würden. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Sohn all das so schnell und komplikationslos verarbeitet hatte.
Sie selbst litt unter Albträumen und wiederkehrenden Panikattacken. Dazu traute sie sich seit einiger Zeit nicht mehr, die Post zu öffnen. Sie hatte Angst vor den Rechnungen, davor, das Haus zu verlieren, den Strom nicht mehr bezahlen zu können und den ganzen anderen Kosten, die nicht weniger wurden. Sie hatte keine der von Lewis geforderten Raten für das Haus gezahlt und hoffte, dass sie es auch nicht mehr müsste. Die Polizei hatte ihr geraten, einen Anwalt aufzusuchen, was sie bisher aufgeschoben hatte.
Ihr wurde bewusst, dass sie immer noch Rico anschaute. Lilly zwang sich, den Blick von ihrem Sohn zu lösen und in ihr Schlafzimmer zu gehen, wo sie im Kleiderschrank eine weitere Bettdecke und ein Kopfkissen aufbewahrte. Bisher hatte sie es nicht geschafft, das Bett, in dem ihr Mann geschlafen hatte, neu zu beziehen. Es war wie eine Blockade. Als würde er aus ihren Gedanken verschwinden, wenn sie neue Bettwäsche aufzog. Ob er wohl einverstanden wäre, wenn er wüsste, dass unten ein anderer Mann schlief?
In Gedanken versunken machte sie sich wenig später mit der Bettdecke und einem Kopfkissen auf dem Weg ins Wohnzimmer, wo Werner den kleinen Tisch zur Seite gerückt hatte, damit er mehr Platz hatte. Sie stand wohl einen Moment zu lange unentschlossen in der Tür, da er auf sie zukam und ihr die Sachen abnahm.
»Danke.« Seine Ansprache löste sie aus ihrer Starre und sie beobachtete ihn, wie er sich sein Nachtlager herrichtete.
»Du könntest auch das Gästebett im Büro nehmen, aber da müsste ich erst aufräumen«, erklärte sie mehr für sich, als für ihn. Das Chaos in dem kleinen Raum, in dem zuletzt Aidan übernachtet hatte und wo ihr Mann seine Unterlagen gehortet hatte, wuchs gefühlt täglich. Lilly hatte es noch nicht geschafft, alle Unterlagen zu sichten und sich damit zu beschäftigen. Sie war froh gewesen, dass sie schnell die Versicherungsdokumente und alles, was sie kurz nach dem Tod ihres Mannes benötigte, gefunden hatte. Seither herrschte Chaos in dem Zimmer, da sie nicht nur keinen der Ordner zurückgeräumt hatte, sondern zusätzlich alle Briefe und Dokumente, die seitdem gekommen waren, einfach nur auf noch freien Flächen abgelegt hatte. Normalerweise mochte sie Ordnung, aber der Tod ihres Mannes und ihres Schwagers hatten etwas in ihr kaputt gemacht. Ihr Nervenkostüm war dünner geworden, was sie nicht nur im Umgang mit Rico bemerkte. Kleinigkeiten konnten sie aus der Fassung bringen, was Rico ebenfalls schlecht verdauen konnte.
»Hey. Wollen wir noch ein Bier trinken? Du siehst aus, als könntest du das vertragen.«
Lilly zuckte zusammen, als sie Werner bemerkte, der direkt vor ihr stand.
»Ähm, ich weiß nicht.«
»Morgen ist Wochenende, du musst nicht arbeiten, ich räume mit Rico sein Zimmer auf und danach verwüsten wir die Küche, damit du nicht arbeitslos wirst.« Er legte den Kopf grinsend zur Seite. »Und du schläfst erstmal aus.«
»Ausschlafen wäre tatsächlich toll, aber ….«
»Du schläfst schlecht. Das sieht man, deswegen sag ich ja, du sollst ein Bier trinken.« Er zwinkerte ihr zu. »Das heißt nicht, dass du weniger gut ausschaust«, legte er schnell nach, was sie auflachen ließ.
»Du willst mich also betrunken machen?« Hatte er das wirklich vor? Würde er dann Dinge tun, die sie nüchtern nicht zulassen würde? Nein, so ein Mann war er nicht.
»Na ja.« Er wiegte den Kopf hin und her. »Ich dachte, ich sorge dafür, dass du so betrunken bist, dass du hier und ich in deinem Bett schlafen kann.« Grinsend sah er nun zum Kühlschrank. »Hast du ausreichend Bier da oder soll ich noch schnell welches für ein Gelage kaufen?« Sein Grinsen verschwand ebenso plötzlich, wie es gekommen war, was Lilly darauf schob, dass sie ihn entsetzt angesehen hatte. Mit einer solchen Antwort hatte sie nicht gerechnet, auch wenn sie nicht wusste, mit was sie gerechnet hatte.
»Das war ein Witz. Ich würde dich nie abfüllen.« Werner trat einen Schritt zurück. »Aber Alkohol in Maßen ist ab und an nicht falsch.«
Lilly nickte. »Ein Bier sollte noch da sein. Also zwei oder so. Mein Mann und Aidan hatten …« Sie schluckte.
»Setz dich, ich schau mal, ob ich es finde.« Werner dirigierte sie auf das Sofa, während sie gegen den in ihrem Hals aufsteigenden Kloß ankämpfte. Der Gedanke an ihren Mann und Aidan trieb ihr immer wieder Tränen in die Augen, auch wenn sie sich jedes Mal aufs Neue vornahm, nicht zu weinen. Dass es hier vor einem Mann passierte, dessen Anwesenheit sie sehr schätzte und wirklich froh war, dass er da war, war umso schlimmer. Sie beobachtete ihn dabei, wie er nur wenig später den Kühlschrank öffnete und schnell fündig wurde. Mit zwei Bierdosen in den Händen kam er zu ihr und setzte sich mit etwas Abstand zu ihr auf das Sofa. Die Decke und das Kopfkissen hatte sie zuvor bereits auf den einzelnen Sessel gelegt, der seit seiner Anschaffung kaum genutzt worden war. Austin hatte sie mal als Couchfamilie bezeichnet, da sie die Abende in der Regel zu dritt auf dem Sofa verbracht hatten.
Zischend öffnete Werner eine der beiden Dosen und reichte diese an sie weiter. Kurz entstand ein drückendes Schweigen zwischen ihnen, ehe er auch seine Dose öffnete und den herausquellenden Schaum abtrank, ehe er ihr zuprostete.
»Auf Austin.«
»Auf Aidan.« Sie war bemüht, ihn anzulächeln, schaffte es aber nicht, weswegen sie ihren Blick auf die mattsilberne Oberfläche der Dose richtete. Über die folgenden Minuten wollte sie immer wieder ein Gespräch beginnen, wusste jedoch nicht, wie. Sie wollte weder über Aidan noch über Austin sprechen und über ihre Probleme ebenfalls nicht. Sie wollte nicht klagen und kein Mitleid von ihm.
»Hat Rico hier Freunde, mit denen er Fußball spielen kann? Ich weiß noch, dass wir als Kinder nur Football oder Baseball gespielt haben.« Werner durchbrach die Stille, die nur schwer zu ertragen gewesen war.
»Ja«, sie nickte, »nebenan wohnt ein Mädchen in Ricos Alter. Sie spielt hier ab und an mit ihm, weil er ein echtes Tor hat.« Lilly grinste, als sie sich an die Worte des Mädchens erinnerte, als sie vor der Tür gestanden hatte. »Sie findet das absolut cool.« Sie machte eine Pause. »Im Kindergarten spielen sie auch mehr was anderes«, fügte sie hinzu. Bisher hatte Rico erst wenige Male seit Austins Tod andere Kinder eingeladen und alle, wenn man von der kleinen Mara absah, konnten nichts mit dem Lieblingssport ihres Sohnes anfangen.
»Also ich kann die anderen Kids verstehen.« Werner nahm einen Schluck aus seiner Dose, während sie ihre immer noch umklammert hielt. »Ich kann da eigentlich auch nicht viel mit anfangen, aber ich hab mich ein bisschen eingelesen, damit ich nicht hier auftauche und er mich vorführt.«

3.

»Mom?«
Werner schlug blinzelnd die Augen auf und war nur Sekunden später hellwach. Er warf die Decke zurück, stand auf und lief in Shorts und Shirt barfuß die Treppe hinauf. Rico, der in der Tür seines Zimmers stand, sah ihn erschrocken an, woraufhin Werner seinen Zeigefinger auf die Lippen legte und so die Aufmerksamkeit des Jungen erhielt.
»Ich habe deiner Mom versprochen, dass wir sie heute ausschlafen lassen.«
»Oh.« Rico musterte ihn mit großen Augen. »Ich hab Hunger«, gestand der Junge kleinlaut.
»Na, dann lass uns schauen, was wir im Kühlschrank finden. Und anschließend kümmern wir uns um dein Zimmer, okay?« Werner versuchte seine volle Aufmerksamkeit auf Rico zu legen, der nun nickte.
»Darf ich einen Toast mit Erdnussbutter?« Rico hatte die Treppe vor ihm erreicht und sah ihn nun mit großen Augen über die Schulter hinweg an.
»Darfst du das bei deiner Mom auch?« Werner kam das Gespräch vom Abend in den Sinn. Lilly hatte erzählt, dass ihre Mutter Rico immer so sehr verwöhnte, dass er sogar morgens schon ein Eis gefordert hatte.
»Ja.« Rico nickte so übertrieben, dass Werner ihn scharf ansah.
»Sicher?«
Da der blonde Junge den Blick senkte, wusste er, dass der Junge sonst keinen Toast mit Erdnussbutter frühstückte. Er deutete die Treppe hinunter und forderte den Jungen so auf, nach unten zu gehen. In der Küche angekommen grinste er ihn an.
»Pass auf. Wir machen einen Deal …«
»Deal?« Mit großen Augen sah Rico ihn an. »Was ist das?«
Innerlich stöhnte Werner auf, ehe er sich vor Rico kniete.
»Ein Deal ist ein Abkommen. Du sagst mir, was Mom dir sonst zu essen macht. Dann darfst du nach dem normalen Frühstück noch ein Sandwich mit Erdnussbutter. Aber …« Er hob mahnend den Zeigefinger, »… du verrätst es nicht deiner Mom, sonst darf ich bestimmt nicht mehr hierbleiben und wir können keine Erdnussbuttersandwichdeals mehr machen.«
Rico nickte aufgeregt. »Okay.«
»Deal?« Werner hob seine Hand zu einem High five.
»Deal!«
»Also?«
»Mom macht mir immer das Müsli.« Er deutete auf eine Kunststoffdose, in der Werner Cornflakes entdeckte. »Früher hat sie uns sonntags immer Rührei und Speck gemacht und Pancakes.« In Ricos Stimme lag eine gewisse Schwere, die Werner in diesem Moment ignorierte. Er nahm eine Schüssel aus den dunkeln Schränken mit den Glastüren und füllte die Cornflakes hinein. Rico hatte derweil Milch aus dem Kühlschrank geholt und reichte ihm die Flasche mit einem angestrengten Ausdruck im Gesicht.
»Du musst mehr davon essen, damit du ganz viele Muckis bekommst.«
»Sagt Mom auch immer.« Nun zog der Junge einen Schmollmund.
»Na, wenn es schon zwei sagen, kann es ja nicht so falsch sein, oder?« Werner stellte die Schüssel, dem Jungen zuzwinkernd, auf dem Tresen ab und half Rico auf den Stuhl.
»Isst du nichts?« Verwundert, mit einem Löffel in der Hand, wurde Werner nun aus den neugierigen Kinderaugen gemustert.
»Ich …« Er fand in diesem Augenblick nicht die passenden Worte. Der Blick in den Kühlschrank am Abend hatte ihm gezeigt, dass dringend eingekauft werden musste. Aus diesem Grund wollte er auf das Frühstück verzichten, und Lilly später anbieten, einkaufen zu fahren.
»Ich gebe dir was von meinen Cornflakes ab.« Rico deutete auf die Vorratsdose.
»Das ist lieb von dir.« Werner griff nach der Dose mit dem blauen Deckel und nahm eine weitere Schüssel aus einem der Hängeschränke. Die Flakes in die Schüssel füllend überließ er es Rico, Milch darüber zu gießen. Es war ein gefühltes Leben her, dass er das letzte Mal Cornflakes gegessen hatte. Und doch schmeckten sie noch wie damals.
Eine Stunde später saß er in der Tür von Ricos Zimmer und beobachtete den Jungen dabei, wie er sein Zimmer in Ordnung brachte. Spielzeug für Spielzeug wanderte in eine Kiste, die wenigen Bücher stellte er zurück in ein Regal. Dann hielt er eine Lokomotive in der Hand und sah sie eine Weile an, ehe er damit zu ihm kam.
»Die hat Onkel Aidan heile gemacht.«
Werner war nicht in der Lage, etwas zu erwidern. Er nahm die Lok entgegen, die so groß war wie seine Hand und sah Rico einen Moment schweigend an. Was sollte er sagen? In seinem Kopf herrschte eine gähnende Leere.
»Ri… oh.«
Völlig unvermittelt wurde die Schlafzimmertür von Lilly aufgerissen und ihr im ersten Moment panischer Gesichtsausdruck wandelte sich in Verwunderung. Sie sah von Rico zu Werner und zurück zu ihrem Sohn, ehe sie das Shirt, welches sie trug, ein Stück weiter nach unten zog, und sich schnell durch die Haare strich, um die wilde Frisur ein wenig zu bändigen.
»Guten Morgen.«
»Mom.« Rico kletterte über Werners Beine, die er angewinkelt hatte, um seine Füße an der gegenüberliegenden Seite der Zarge abzustützen. Lilly nahm ihren Sohn kurz auf den Arm und warf einen schnellen Blick in das Zimmer. Ihr war es sichtlich unangenehm, so leicht bekleidet mitten im Flur zu stehen und Werner war sich nicht schlüssig, ob er sitzen bleiben oder aufstehen sollte.
»Ihr wart ja schon fleißig, dann mache ich mal Frühstück«, erklärte sie mehr ihrem Sohn als ihm.
»Werner hat mir schon Cornflakes gemacht«, erwiderte Rico nun freudestrahlend.
Er stand nickend auf. »Ich hoffe, der junge Mann hat mich nicht angelogen, als ich ihn gefragt habe, was es normalerweise zum Frühstück gibt.« Das Schlimmste, was er sich in diesen Sekunden ausmalen konnte, war Streit mit Lilly, weil er Rico nicht das passende Frühstück serviert hatte.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn schließlich an. »Danke.« Ein weiteres Schweigen entstand, ehe sie ihm wieder in die Augen sah. »Ich gehe duschen und dann mache ich uns einen Kaffee.«
»Steht schon unten und wartet auf dich.« Er freute sich über ihren verblüfften Ausdruck, als er den Kaffee erwähnte.
Lilly verschwand mit einem kleinen Lächeln im Gesicht im Bad und er half Rico dabei, unter dem Bett klar Schiff zu machen. Schnell war der Mülleimer völlig überfüllt, weswegen Werner ihn draußen ausleeren wollte. Nach wenigen Schritten vor der Haustür sah er eine Frau, die ihren Jack Russell spazieren führte. Er steuerte auf die Mülltonne am Rand der Einfahrt neben der Garage zu, als ihm bewusst wurde, dass die Dame auf die Einfahrt kam und seinen Wagen inspizierte.
»Kann ich helfen?« Mit dem geleerten Mülleimer in der Hand ging er auf die Frau Mitte siebzig zu, deren Hund schnüffelnd Kontakt zu ihm aufnahm, was Werner ignorierte.
»Sind Sie der neue Mann im Haus? Das ging ja schnell.« Die Frau kam näher, der Hund hatte von ihm abgelassen und hob nun das Bein an einem seiner Reifen.
»Lassen Sie mich raten. Sie sind für den neusten Tratsch im Block verantwortlich?« Er musterte die Frau scharf und schob den Hund sanft, aber mit Nachdruck mit dem Fuß von seinem Wagen. »Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Kümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten und darum, dass der Hund nicht die Fahrzeuge von Fremden anpinkelt, sonst könnte es sein, dass ich Ihren Wagen anpinkel. Schönen Tag noch.« Er wandte sich ab und konnte das entrüstete Schnauben der Dame vernehmen. Ohne weiter auf die Frau zu achten, die ihren Hund aufforderte, ihr zu folgen, machte er sich wieder auf den Weg ins Haus.
»Was wollte sie?« Lilly kam aus dem Wohnzimmer, als er die Tür hinter sich schloss. Auf dem Kopf trug sie einen Turban aus einem Handtuch und sah ihn nun neugierig an.
»Sie wollte wissen, ob ich der neue Mann hier im Haus bin.«
»Diese alte Tratschtante. Was hast du ihr gesagt?«
Er konnte in ihrer Stimme die Bitte vernehmen, er möge Nein gesagt haben auf die Frage, ob er der neue Mann im Haus war.
»Ich habe ihr gesagt, sie möge sich um ihre Sachen kümmern und darum, dass ihr Hund mein Auto nicht anpinkelt.« Bei jedem seiner Worte war Lillys schadenfrohes Grinsen weiter gewachsen.
»Na, dann hat sie jetzt ja was zu erzählen. Die Frau ist schlimm. Die ersten Tage nach Austins Tod, als ich wieder daheim war, und die erste Zeit nach der Beisetzung hab ich immer aufgepasst, ihr nicht über den Weg zu laufen. Die hat immer tausend gute Ratschläge und dann kommt sie damit, wie schwer sie es hatte. Das konnte ich in dem Moment nicht brauchen.«
»Verständlich.« Werner nickte. Er selbst kannte solch neugierige Nachbarn nur aus Erzählungen und Fernsehsendungen und war froh darüber. Wahrscheinlich wäre seine Reaktion auf die Frau sonst weitaus unhöflicher ausgefallen.