International-Anti-Terror-Force Mission Maji – Sturz des Fürsten

Rafael
betrat mit einem breiten Grinsen um kurz nach zehn am Abend den
Gemeinschaftsraum der I.A.T.F. Aufgrund seiner Mimik stellte Ryan seine Coke
auf dem Tresen ab und richtete seine volle Aufmerksamkeit auf den Agenten mit
den grauen Augen.

»Hast du im Lotto gewonnen oder warum strahlst
du so?« Fragend sah Ryan dem Mann in dem schwarzen Anzug entgegen, der sein
gewinnendes Lächeln beibehielt und sich schließlich auf einen Barhocker setzte.
Während der dunkel-haarige Mann den Kopf schüttelte, kamen Liv und Joyce
ebenfalls in den Raum. Auch sie grinsten beide breit.

»Besser, viel besser«, erklärte Rafael jetzt.

»Was ist besser als ein Lottogewinn?« Ryan
konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was der Grund für das Lächeln
des Agenten und seiner Kolleginnen war, die ihn nun erwartungsvoll ansahen.

»Lohnerhöhung?«, tippte er nun scherzend,
wissend, dass dies nicht der Fall sein konnte.

»Nö.« Rafael schüttelte den Kopf, wobei seine
Zähne weiß aufblitzten, da er seine Freude unübersehbar kaum noch zügeln
konnte.

»Mann, sag endlich, wieso du wie ein
Honigkuchenpferd auf Dope grinst?« Auf Ratespiele hatte er gerade keine Lust.

»Wir haben ihn.« Rafael legte die Hände,
weiterhin breit grinsend, auf die Bar.

»Wen?« In Ryans Gehirn begann es zu arbeiten.
Wen suchten sie, der ein solches Grinsen verursachen konnte? Im Prinzip könnten
sie bei jedem Terroristen so grinsen, wenn sie ihn festgesetzt hatten.

»Na ihn.« Rafael wandte sich Liv zu, die zu
ihrem Freund an die Bar trat.

In Ryan keimte eine Ahnung auf. »Nicht
wirklich, oder?« Sollte ihre Jagd von Erfolg gekrönt sein, ohne dass sie
nochmals zum Einsatz gekommen waren? Dabei hatte er immer gehofft, dass eines
der I.A.T.F-Teams diesen Sieg für sich beanspruchen würde.

»Wen haben wir?« Wesley hatte das Gespräch
offenbar verfolgt und trat zu ihnen an die Bar. Er hielt einen Queue in der
Hand und hatte seinen Spielpartner am Billardtisch stehen lassen.

»Wir wissen, wo Milazim ist. Er steht unter
permanenter Beobachtung. Die hohen Tiere entscheiden gerade, wann wir ihn
hochnehmen. Er kommt auf alle Fälle nicht mehr weg«, erklärte Rafael und hatte
sein Honigkuchengrinsen endlich abgelegt.

»Ist nicht dein Ernst!« Wesley sah so erstaunt
aus, wie Ryan sich fühlte.

»Und warum …« Ryan schüttelte den Kopf und
sprach nicht weiter. Wenn die Agenten und die CIA endlich wussten, wo Milazim
sich befand, aus welchem Grund nahm man ihn nicht sofort fest? Sie würden diese
Gelegenheit kein zweites Mal bekommen. Wie oft bot sich solch eine Gelegenheit?
Was war das für ein makaberes Verhalten? »Der verschwindet doch wieder, wenn er
merkt, dass er aufgeflogen ist«, sprach er nun seine Gedanken aus.

»Ich glaube nicht, dass ihm das gelingt. Es
sind mehrere Agenten vor Ort …«

»Du willst mich auf den Arm nehmen, oder?«
Wesley unterbrach Rafael emotionsgeladen. »Das ist der meistgesuchte Terrorist
der Welt und kein billiger Taschendieb, der nicht weiß, wie er entkommen kann.
Bei dem passt du einmal nicht auf, dann ist er weg. Und mit weg meine ich so
weg, dass wir wieder Jahre suchen müssen. Der lacht uns doch aus. Der hat
sicher längst spitzbekommen, dass er beobachtet wird, und wartet nur auf den
Moment, in dem er mit ausgestrecktem Mittelfinger abhauen kann.« Wesley stieß
schnaubend die Luft aus.

»Egal, wo er hingeht, wir verlieren ihn nicht
mehr.«

Ryan zog bei Rafaels Erklärung skeptisch die
Brauen hoch und Wesley lachte zurecht bitter auf.

»Ihr glaubt das echt, oder? Ich sage es gerne
nochmal, wenn ich mich gerade so missverständlich ausgedrückt habe. Ich würde
ihn jetzt direkt festnehmen und nicht auf irgendwas warten.« Wesley schüttelte
erneut ungläubig den Kopf, als er wiederholt seinen Standpunkt an den Tag
legte, den er mit dem Rest des Teams zu teilen schien. Denn jeder hatte mehr
oder weniger deutlich klargemacht, für wie irrsinnig sie die Vorgehensweise der
CIA hielten. Es war völlig idiotisch, weswegen Rafael und die Frauen sich nicht
wundern durften, wenn sie nun Gegenwind zu hören bekamen. Den meistgesuchten
Terroristen auf freiem Fuß lassen … Ryan dachte den Gedanken nicht zu Ende, da
er von Sekunde zu Sekunde wütender wurde auf die Entscheidung der CIA. Wenn
ihnen ein Terrorist entwischte, mussten sie sich an etlichen Stellen
rechtfertigen und durften sich Ewigkeiten die Vorwürfe anhören. Die CIA spielte
einmal mehr ihre Position aus und erhielt irgendwelche Sonderrechte von Leuten,
die in seinen Augen keinerlei Ahnung hatten.

»Und dann haut er wieder ab und wir schauen in
die Röhre und müssen zusehen, wie er wieder irgendwelche Massaker begeht und
Anschläge plant. Seid ihr dann schuld an den Toten oder doch er? Oder gar wir,
weil wir ihn nicht gefasst haben? Der lacht sich schlapp, wenn er wieder
abhaut. Welcher Affe sagt euch denn, dass ihr ihn beobachten sollt? Wer trifft
so eine hirnrissige Entscheidung? Wir haben so viele gute Männer verloren, weil
der Typ noch atmet. Von den Zivilisten ganz zu schweigen. Auf wessen Mist ist
das gewachsen?« Ryan konnte nicht mehr an sich halten. Er hatte Kollegen und
sogar seine beste Freundin bei Attentaten von Milazims Schergen verloren. Jetzt
könnte man ihn festnehmen und zur Rechenschaft ziehen und tat es nicht.

»Erstens entscheiden nicht wir das, sondern die
CIA …«

»Und was seid ihr? Könnt ihr nicht sagen, wie
hirnrissig das ist? Könnt ihr nicht irgendwas unternehmen?« Wesley fiel Liv ins
Wort, die sich das erste Mal getraut hatte, etwas zu dem entstandenen Streit zu
sagen.

»Zweitens sind uns die Infos auch neu und
wurden genau wegen deiner Reaktion bisher zurückgehalten. Man hatte Angst, dass
irgendwer Selbstjustiz übt. Wir sind von den Informationen genauso überrascht
wie ihr«, erklärte Liv mit erhobener Stimme, um sich Gehör zu verschaffen, da
es um sie herum immer lauter wurde. Die Stimmung im Raum schaukelte sich hoch.
Ryan konnte überall aufgebrachte Gespräche vernehmen und wusste, dass er
eigentlich eingreifen müsste, um wieder etwas Ruhe in den Raum zu bekommen.
Doch er war selber zu aufgebracht, um sich zu beruhigen. Die Dart- und
Billardspiele waren längst eingestellt worden. Jeder schien darauf zu warten,
eine logische und nachvollziehbare Erklärung für den Irrsinn zu bekommen, den
Rafael ihnen gerade vorgetragen hatte. Er konnte in allen Gesichtern nur
Unglauben sehen. Niemand verstand dieses Vorgehen gerade.

»Lenoir und Clarkson haben entschieden, dass
wir mit dem Zugriff warten. Er sitzt bereits seit drei Wochen in El Paso. Jedes
Mal, wenn er versucht, über die Grenze zu kommen, dreht er wieder um, weil dort
so engmaschig kontrolliert wird.«

»Und dann hofft die Welt, dass er lange dort
bleibt? Blödsinn, der weiß längst, dass wir wissen, dass er da ist. Der hat
doch seine Leute.« Randall trat zu ihnen an die Bar. »Er sucht doch schon
längst nach einer Lösung. Er ist garantiert ruckzuck weg und wir schauen in die
Röhre.«

Liv schüttelte energisch den Kopf.
»Seltsamerweise hatte er bisher keinen Kontakt zu anderen. Vor einer Woche hat
sich ein mexikanischer Geschäftsmann gestellt, der seit Jahren Geld an Milazims
Zelle schickt. Er sollte Milazim von Mexiko aus nach Guatemala fliegen. Warum
genau er sich gestellt hat, wissen wir noch nicht. Er steht ebenfalls unter
dauerhafter Beobachtung. Auf dem Revier hat er angegeben, dass er Polizeischutz
will. Er hat Angst vor Anschlägen gegen seine Firma, weil er dem Auftrag von
Milazim nicht nachgekommen ist. Ich halte das allerdings für Blödsinn. Ich
wette drauf, dass er Geld dafür bekommen hat, dass er sich gestellt hat. Die
Frage ist nur, von wem. Wer kann und will Milazim schaden und warum hat der
aktuell keinen Kontakt zu anderen? Da ist irgendwas faul. Vielleicht hat der
Mexikaner auch nur Panik, weil im Augenblick jeder Flieger und jedes Auto,
jeder Truck, einfach alles kontrolliert wird. Womöglich hat er gehofft, mit
seiner Aktion weniger Kontrollen für seine Firma zu erhalten. Unter Umständen
schmuggelt er sonst im großen Stil und kann das gerade nicht. Frei nach dem
Motto, ich sag euch was und ihr lasst mich in Ruhe.« 

Ryan nickte bei Livs Erklärung, obwohl das
Ganze ziemlich schwammig klang. Die Kontrollen an den Grenzen waren nicht nur wegen
der staatenweiten Suche nach Milazim verstärkt worden. Das grassierende neue
Virus sorgte ebenfalls dafür, dass jeder, der ins Land rein- oder aus dem Land
rauswollte, angehalten wurde. Ab und an fühlte Ryan sich wie in einem
apokalyptischen Film. Nur waren es nicht Soldaten, die das Elend aufhalten
mussten, sondern Mediziner.

»Und was, wenn er merkt, das was nicht stimmt?
Wenn er nochmal einen Piloten um Hilfe bittet und dann alles schief geht? Wenn
der absagt oder sogar erzählt, dass er bei den Bullen war?« Er stellte sich
vor, wie Milazim reagieren würde, sollte er bemerken, dass er hintergangen
wurde. Es bestand die Möglichkeit, dass der Pilot, den Milazim um Hilfe bat,
den Terroristen durch einen Zufall erkannte und ihn meldete. Milazim würde denjenigen
töten und Ryan schloss nicht aus, dass es zu einer Schießerei oder auch
Geiselnahme mit ver-heerenden Folgen kommen könnte. Tötete er nur den Piloten,
hatten sie einen unberechenbaren Terroristen mit einem Flugzeug, der sich im
besten Fall mit Geld einen schweigsamen Piloten kaufen könnte. Im schlimmsten
Fall würde er zu einer fliegenden Gefahr. Egal, wie Ryan es in diesem Moment
drehte, es lief auf eine Katastrophe mit Ansage hinaus.

»Wie gesagt, es sind einige Topagenten vor Ort
und haben ihn im Blick. Außerdem haben wir seit Stunden jemanden dort, der sich
direkt an ihn ranhängt.« Liv griff nach einem Glas. »Die Wege der Agency sind
…«

»…hirnrissig«, vervollständigte Wesley Livs
begonnenen Satz. »Um was wetten wir, dass er euch entwischt? Dass er in ein
paar Wochen lachend in einer seiner Höhlen sitzt und den nächsten Anschlag
plant?«

»Ich sag´s ja nicht gerne, aber ich setze
hundert Kröten auf Milazim.« Steve trat von hinten zu ihnen an die Bar und
legte zwei Fünfzigdollarnoten auf den Tresen.

»Zwanzig auf Milazim.« Die Zwanzigdollarnote
folgte von Wesley.

Schneller als wohl vor allem Liv lieb war, lag
eine fast vierstellige Summe auf dem Tresen. Alle Anwesenden hielten die
Vorgehensweise der CIA für leichtsinnig. Auch die Argumente von Liv und Rafael,
dass man versuchen wollte, Hintermänner zu fassen, änderte weder etwas an der
Meinung noch an der allgemeinen frustrierten Stimmung. Sie hatten Jahre in die
Jagd auf Milazim gesteckt, hatten Freunde und Kollegen verloren und er war
ihnen mehr als einmal entwischt. Jetzt hätten sie einen Heimvorteil, wussten,
wo er war, und durften nicht zuschlagen.

»Wo genau ist er denn?« Willies Frage ließ Ryan
zu ihrem Scharfschützen sehen und in ihm die Befürchtung aufkeimen, dass Willie
auf die Jagd nach dem Terroristen gehen könnte.

»Glaubst du echt, dass wir dir das sagen? Dann
machst du dich auf den Weg und erledigst ihn.« Rafael nahm einen Schluck aus
seinem Glas und musterte den braungebrannten Mann über den Rand hinweg
intensiv.

»Irgendwer muss ja noch logisch handeln hier.
Der Typ hat tausende Unschuldige auf dem Gewissen. Ganz zu schweigen von
unseren Leuten. Was ist mit DJ, Logan, Reginald und Taylor, nur um mal ein paar
zu nennen?«

Jeder der von Willie genannten Namen fühlte
sich an wie ein Dolchstoß.

»Einen Mörder lässt man doch auch nicht einfach
so laufen. Der Typ ist ein Mörder, nicht mehr und nicht weniger und ihr spielt
mit dem wie eine Katze mit ihrer Beute. Merkt ihr es noch?« Wutentbrannt wandte
Willie sich ab und verließ mit großen Schritten den Raum.

»Wo er Recht hat.« Nuyen Sato, der bisher
geschwiegen hatte, sah eindringlich zu Rafael. »Was wollt ihr den Familien
sagen, wenn er abhaut? Jeder Shooter wird vor Ort erledigt oder, wenn er Glück
hat, festgenommen. Ihr lasst einen Massen-mörder auf freiem Fuß, weil man ja
vielleicht noch andere Mörder kriegen könnte. Oder wie soll ich das sonst
verstehen? Er ist bisher immer abgehauen, wenn er gemerkt hat, dass die Luft
für ihn dünn wird. Glaubt ihr wirklich, dass das dieses Mal anders läuft? Was willst
du dann sagen? Sorry, wir wollten seinen Postboten auch festnehmen, weil der ja
Briefe mit Brisanz zugestellt hat. Wir brauchen seinen Schuster, damit er in
Guantanamo keine Blasen bekommt und uns nicht verklagt? Der Typ hat den Tod
verdient und sonst nichts.« Nuyen war mit jedem seiner Worte leiser geworden,
was die gesamte Geräuschkulisse verändert hatte. Jeder schien dem gebürtigen
Japaner zuzuhören und wartete nun auf eine Reaktion von Rafael, der von ihren
Kollegen erzürnt angefunkelt wurde.

»Der hat den grausamsten Tod verdient, den die
Erde zu bieten hat«, legte Nuyen nach, da Rafael immer noch nicht reagiert
hatte. Es war eine drückende Stille entstanden und alle Blicke lagen auf
Rafael. Jeder erwartete, dass Rafael sich äußerte und vor allem, dass er auf
ihrer und nicht auf der Seite der CIA war.

»Euch ist schon bewusst, dass das nicht auf
unserem Mist gewachsen ist, oder? Wir wollten euch nur sagen: Wir wissen, wo er
ist, und er wird dieses Mal nicht einfach so verschwinden. Wir können die Entscheidungen
von oben auch nicht beeinflussen, selbst wenn wir das gerne machen würden.«

Ryan konnte hören, wie der Agent mit den
hellgrauen Augen um ruhige Worte bemüht war.

»Ihr glaubt echt, dass uns die Entscheidung in
den Kram passt, oder?« Joyce Stimme bebte und sorgte dafür, dass die
Aufmerksamkeit der Anwesenden zu ihr wanderte. »Die Typen, die auf seine Alte
aufgepasst haben, haben mich in diesem gottverdammten Luxushotel, das diesen
Arschlöchern Zimmer vermietet, unter der Dusche meine Klamotten vom Leib
gerissen. Sie haben mir ihre …«

»Joyce.« Liv ging auf ihre Freundin zu, in
deren Augen eine unsagbare Wut entbrannt war, die auch auf Ryan übersprang.

»Nein.« Wie ein Tier knurrte Joyce ihre
Freundin an, woraufhin Liv den Kopf schüttelte und ihr so wohl das Wort
verbieten wollte.

»Nein, Liv, ich habe es satt zu schweigen.
Diese Typen haben Dinge mit mir getan, gegen die ich immer gekämpft habe. Ich
habe mich immer wieder mit Arschlöchern wie denen auseinandergesetzt, um andere
Frauen zu schützen. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um solche
Typen hinter Gitter zu bringen. Um Frauen und Mädchen zu schützen. Und nun
stellt ihr mich hier hin, als würde ich solche Arschlöcher und ihre
Auftraggeber schützen.« Joyce rang hörbar nach Luft und richtete ihren Blick
wutentbrannt auf Wesley, der in diesem Moment wohl stellvertretend für sie alle
ihren Zorn abbekam. Einen Zorn, der für sie alle gedacht war. »Ich kann nicht
mehr mit Tom schlafen, unsere Beziehung geht an der Scheiße kaputt. Habt ihr
Rabea mal gefragt, wie es ist, jede Nacht von der eigenen Vergewaltigung zu
träumen? Nein, das habt ihr Helden nicht, warum auch? Ihr hab nicht vor der
kleinsten Berührung Angst, weil sie höllische Schmerzen verursachen könnte.
Fragt ihn doch wie es ist, eine solche Beziehung zu führen.« Sie deutete auf
Dennis, der mit versteinerter Miene am Billardtisch lehnte. »Ihr wollt mir
ernsthaft Vorwürfe machen, weil wir das Schwein nicht hochnehmen? Wenn
irgendwer das Schwein und seine Arschlöcher tot sehen will, dann bin ich das,
dann ist Rabea das.« Joyce wandte sich ab und verschwand, von Liv gefolgt, aus
dem Raum. Ryan war sich bewusst, dass sie gerade in Tränen aufgelöst den
Gemeinschaftsraum verließ, aber er war nicht in der Lage, etwas zu sagen oder
ihr zu folgen. In diesen Sekunden hatte er den Eindruck, als würde alles zum
Stillstand gekommen sein. Als würden alle die Luft anhalten, in der Hoffnung,
dass jemand anders etwas sagte oder unternahm. Mit einer solchen Offenbarung
hatte hier niemand gerechnet, auch wenn sie alle wussten, was passiert war.
Keiner hatte bisher darüber gesprochen, erst recht Joyce und Rabea nicht, die
man ohnehin kaum in der Base sah.

»Wir können es gerade nicht ändern.« Rafael
brach die Stille und erhob sich. »Wir werden ihn diesmal kriegen und dann wird
er bezahlen.« Kopfschüttelnd verließ der Agent ebenfalls den Raum.

Im Raum herrschte eine drückende Stille. Ryan
war bewusst, wie wenig Joyce, Liv und Rafael gegen die Entscheidungen von
Clarkson und den führenden Köpfen der Agency sowie der Geheimdienste tun
konnten. Er hoffte, dass seinen Kollegen das ebenfalls bewusst war. Dass sich
eine solche Diskussion entwickelte und dass der Abend so verlaufen würde, hatte
er nicht kommen sehen. Er hatte mit einem ruhigen Abend mit ein oder zwei
Bieren gerechnet, nach denen er zu seiner Lebens-gefährtin gefahren wäre. Die
Offenbarung von Joyce über ihre Beziehung zu Tom, der nicht anwesend war, war
wohl in einer Übersprunghandlung aus ihr herausgeplatzt. Er konnte sich nicht
vorstellen, dass sie unter anderen Umständen von der Vergewaltigung und ihrem
Beziehungsleben berichtet hätte. Wahrscheinlich bereute Joyce bereits, dass sie
so offen in ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung vor vielen ihrer Kollegen über
das gesprochen hatte, was man ihr angetan hatte. In Ryan keimte die Frage auf,
ob er Tom und Joyce Hilfe anbieten sollte. Ob er eventuell ein
Vier-Augen-Gespräch mit Tom suchen sollte, um in Erfahrung zu bringen, ob der
Hilfe wünschte, da Ryan davon ausging, dass Joyce von sich aus nicht um Hilfe
fragen würde. Sie würde sich, wenn überhaupt, eher an eine der Frauen im Team
wenden.

Er tauchte aus seinen Überlegungen auf, als
Dennis vor ihm auf der anderen Seite des Tresens auftauchte und sich eine
Flasche Coke aus dem Kühlschrank nahm.

»Was?« Dennis hob fragend die Augenbrauen und
hielt die Flasche in der Hand, als er ihn durchdringend ansah. Auch in seinen
Augen konnte Ryan ein wütendes Funkeln sehen, das nicht ihm galt. Er dachte
einen Moment darüber nach, was er sagen wollte. Rabea Thornton war immer noch
ein schwieriges Thema im Team. Sie stieß bei den meisten von ihnen auf wenig
Gegenliebe. Obwohl sie von Agent Lenoir hierher nach San Diego versetzt worden
war, erhielt sie den Großteil ihrer Befehle immer noch von Lenoir, der wiederum
seine direkt von Clarkson und dem Präsidenten bekam. Sie war hier nur
diejenige, die die Befehle übermittelte, bei der Ausführung half und sie mit
Informationen versorgte. Sie war im Prinzip nur Laufbursche und Handlanger.
Dass Dennis sich in die Agentin verliebt hatte, wurde vom Team zur Kenntnis
genommen aber nicht von allen begrüßt. Nur wenige teilten inzwischen Dennis
Meinung, dass Rabea Thornton eine Seite hatte, die nichts mit der bissigen,
knallharten Agentin zu tun hatte, die ihnen das Leben mit ihren Entscheidungen
schwer machte. Ihre Fürsprecher Rod, Sean und Syrell versuchten noch, das Team
davon zu überzeugen, dass sie als Agentin nur eine Fassade nach außen trug.
Dass sie im Privaten eine liebenswerte, nette Person war, mit der man viel Spaß
haben konnte, fiel den meisten im Team immer noch schwer zu glauben. Joyces
Worte sorgten dafür, dass er sich die Frage stellte, welche Dämonen Rabea
Thornton am Leben lassen würden. Der Blick auf Dennis zeigte ihm einen blonden
Mann, der deutlich jünger wirkte, als er war. Über diesen Umstand konnte auch
der Bart des Deutschen nicht hinwegtäuschen, der in anderen Kreisen bei ihm
wohl als Stilsünde dargestellt werden würde. Dass Dennis ihn immer noch fragend
ansah, machte ihm bewusst, dass er bisher nicht auf das schlechtgelaunte »was«
von Dennis reagiert hatte.

»Kommt ihr klar? Ihr könnt euch auf Kosten der
Navy psychologische Hilfe holen.« Die Worte hatten seinen Mund verlassen, ehe
ihm klar geworden war, wie lieblos sie klangen. Vor allem Rabea wusste sicher
von den Möglichkeiten der psychologischen Hilfen, die der Staat ihnen und den
Agenten zur Verfügung stellte.

»Seit wann interessiert ihr euch dafür, ob wir
klarkommen? Weil Joyce gerade in Erinnerung gerufen hat, was die Typen mit ihr
und Rabea gemacht haben?« Dennis Blick bohrte sich förmlich in ihn und riss die
Wunden, die Joyce bereits gerissen hatte, weiter auf. Sie alle hatten sich nie
wirklich mit dem auseinandergesetzt, was den beiden passiert war. Sie wussten
es und das war ausreichend gewesen.

»Aber, um auf deine Frage zurückzukommen, ja,
wir kommen klar.« Hörbar durchatmend zwang Dennis sich zur Ruhe, ehe er auf die
vorhergegangenen Worte hatte reagieren können.

Ryan kannte den deutschen ehemaligen Polizisten
als immer ruhigen und ausgeglichenen Menschen. Ryan warf einen Blick über die
Schulter zu ihren Kollegen, die ihre Aufmerksamkeit, zumindest rein optisch,
wieder auf das gerichtet hatten, was sie zuvorgetan hatten.

»Ist nicht immer leicht«, legte Dennis nun
unaufgefordert nach. »Aber ich denke, wir kommen klar«, erklärte er dann
leiser. »Also ich denke, wir kommen klar«, fügte er fast flüsternd nochmals
hinzu, als müsste er seine Worte bekräftigen.

»Ich meine das Ernst, Greenhorn. Und wenn es
nur darum geht, dass du mal quatschen willst.« Ryan bezweifelte, dass Dennis
das Angebot annehmen würde.

»Ich weiß. Es kotzt mich an, dass einige immer
noch so tun, als wäre sie der Teufel in Person. Ihr habt ihr immer noch nicht
die Chance gegeben zu zeigen, dass sie nicht vierundzwanzig-sieben die Agentin
ist, die ihr nicht leiden könnt.«

»Na ja, ist ja auch schwer.« Würde es ihm
gelingen zu erklären, warum einige der Teammitglieder Rabea gegenüber nicht aus
ihrer Haut konnten?

»Sie macht nur ihren Job.« Dennis nahm seine
Freundin ein weiteres Mal an diesem Abend in Schutz.

»Und wir unseren. Das passt halt oft nicht
zusammen. Die CIA arbeitet zu oft nur auf dem Papier. Viele wissen nur in der
Theorie, wie die Einsätze ablaufen. Sie denken, weil sie an unseren Waffen
ausgebildet wurden und hunderte Videos von Einsätzen gesehen haben, dass sie
genau wissen, wie wir unseren Job zu machen haben. Sie planen zwar hunderte
Einsätze, am Ende ist aber jeder verschieden und nie auch nur ansatzweise so,
wie die CIA sich das vorgestellt hat. Irgendwas ist immer nicht in deren Plan
vorhanden gewesen. Wenn wir dann improvisieren und dafür dann anschließend
einen auf den Sack bekommen, ist – entschuldige, wenn ich das so sage –
undankbar. Die sollten lieber froh sein, dass der Auftrag erledigt wurde. Es
gibt nunmal kein Schema F, nach dem ein Einsatz abläuft.« Ryan machte eine
Pause. Er war verwundert darüber, dass Dennis ihm bis hierher noch nicht ins
Wort gefallen war. Er hatte tatsächlich damit gerechnet, dass sein Kollege an
irgendeinem Punkt ein Veto einlegen würde.

»Wenn sie nun entscheiden, dass sie Milazim
noch tage- oder wochenlang beobachten wollen, weil irgendwelche Analysten,
Psychologen oder Profiler oder wer sonst auch immer gesagt hat, dass er nicht
abhaut. – Da ist doch klar, dass Gegenwind kommt. Würdest du nicht abhauen an
seiner Stelle?«

»Du hast es doch gerade gesagt: Analysten und
so. Das entscheidet sie nicht selbst. Sie weiß doch, wie das läuft und hat es
selbst erlebt, aber sie hat ihren guten Posten verspielt, an dem sie vielleicht
noch einen Einwand hätte einbringen können, weil sie ein paar falsche
Entscheidungen getroffen hat. Und sag nicht, dass du noch nie falsche
Entscheidungen getroffen hast. Sie darf auch nur tun, was andere sagen, genau
wie Rafe, Liv und Joyce, und auch genau wie wir.« Dennis nahm einen Schluck
Coke aus seinem Glas, das er, während er gesprochen hatte, gefüllt hatte. Er
wirkte weiterhin sehr ruhig und nicht aufgewühlt.

»Sie könnte aber vielleicht …«, setzte Ryan an.

»Kannst du einen Befehl missachten, der von
ganz oben kommt?« Dennis zog seine rechte Augenbraue hoch und sah ihn prüfend
an.

»Ich kann meinen Standpunkt darlegen«, erklärte
er seinem Kollegen, wissend, dass das in den meisten Fällen völlig sinnlos war,
weil niemand sich für seinen Standpunkt interessierte. Selbst dann nicht, wenn
er das Leben seiner Kameraden schützen könnte, wenn er sich einem Befehl
widersetzte, was er noch nie getan hatte.

»Wenn du Glück hast, wirst du angehört. Meinst
du nicht, dass Rabea und die anderen das nicht längst gemacht haben? Mattis
hätte sich sicher viel mehr beeinflussen lassen, aber wir müssen mit Clarkson
leben.« Dennis stellte sein Glas ab und starrte zu ihren Kollegen.

»Gibt es einen Weg, wie wir ihr den Rücken
stärken können?« Nuyen mischte sich in ihr Gespräch ein. »So nach dem Motto:
Die ganze I.A.T.F sieht es genau so.«

»Ich glaube, das ist das falsche Argument. Er
mag euch nicht.«

Ryan drehte sich Richtung Eingang des
Aufenthaltsraumes, wo Rabea aufgetaucht war und mit ihren Worten die Gespräche
im Raum zum Erliegen brachte. Ryan bemerkte, wie sie Blicke mit Dennis
tauschte.

»Dann ändere das«, knurrte Steve kehlig.
»Nicht, dass er uns irgendwann als Kanonenfutter verheizt.«

»Erstens mag er mich auch nicht. Zweitens würde
ich das nicht zulassen und drittens solltet ihr Schluss machen. Ihr habt morgen
ein ungeplantes Training, das wisst ihr aber nicht von mir. Um halb vier.« Sie
sah ihn direkt an.

Ryan warf einen Blick auf seine Uhr, es war
halb elf.

»Geiselnahme auf dem Trainingsgelände bei der
Davis-Monthan Air Base. Zwanzig Gegner. Drei Erwachsene, zwei Kinder. Mehr weiß
ich nicht und ihr wisst das nicht von mir.« Sie wandte sich an seine Kollegen.
»Erwartet bitte nicht, dass ich sowas öfter durchsteche. Und fragt mich nicht,
woher ich das weiß.«

 

2.

 

»Captain Harrison?«

Ryan runzelte die Stirn, als er die Stimme
Seans Namen mehr fragend als mit Nachdruck rufen hörte. Die Stimme klang nach
der eines älteren Mannes, allerdings konnte er sie nicht zuordnen. Er konnte
sich nicht vorstellen, dass es jemand vom Stützpunkt war, denn der würde nicht
in dieser Form eine Reaktion von Sean fordern. Ryan legte die Langhantel ab.
Sean war nach dem vergangenen Geiselbefreiungstraining am heutigen Tag mit
seinem Team im Killhouse. Das Trainingsszenario hatten sie mit Bravour
durchlaufen und Lob geerntet. Dass es vielleicht nicht so gut gelaufen wäre,
wenn Rabea sie nicht vorgewarnt hätte, hatten sie alle ausgeblendet. Es würde
nie ein Wort darüber verloren werden, dass sie frühzeitig von dem
Trainingseinsatz erfahren hatten. Ryan machte sich auf den Weg nach oben und
blieb erstaunt im Flur stehen.

»Captain Harrison?«

Vor ihm standen zwei Männer in blauen, alten
Latzhosen, deren Taschen ausgeleiert waren. Ihre schwarzen Schuhe waren in die
Tage gekommen und sahen ebenso gebraucht aus wie der gesamte Rest. Einer der
beiden hatte lichtes, silbernes Haar, einen grauen dichten Bart und einige
Kilos zu viel auf den Rippen. Der andere trug kurzgeraspeltes Haar, das
bestimmt seinen Haarausfall verdecken sollte und keinen Bart. Ryan schätzte
beide Männer auf Ende sechzig und konnte sich momentan keinen Reim darauf
machen, wie sie in das Gebäude gelangt waren und was sie hier wollten.

»Nein, Captain DeSanto. Captain Harrison ist
nicht vor Ort. Sie werden mit mir vorliebnehmen müssen.« Abschätzend musterte
er die Männer ein weiteres Mal.

Hatte Sean Klempner bestellt und warum hatte
niemand vom Wachpersonal die beiden herbegleitet? Gerade in der aktuellen Zeit
würden die Wachen sogar Mäusen den Zutritt verweigern, wenn diese das Haupttor
nutzen würden. Aber wenn die beiden Handwerker waren, dann müssten sie doch
Arbeitstaschen dabei haben, oder? Oder stand draußen ein Wagen und sie würden
ihr Material gleich holen? Ryan bemühte sich einzuschätzen, ob von ihnen eine
Gefahr ausging. Waren es Attentäter?

»Was kann ich für Sie tun?« Ryan ging auf die
beiden Männer zu, die sich fragend ansahen. Hatten sie sich unter Umständen im
Gebäude geirrt? Das wäre auf dem riesigen Gelände nicht unmöglich. Nur kannte
Ryan keinen anderen Captain Harrison, weswegen eine Verwechslung fast
ausgeschlossen war.

»Agent Thornton meinte, wir sollen uns bei
Captain Harrison melden, er wisse Bescheid, sagte sie«, erklärte der schlanke
Mann mit den kurzen Haaren ihm nun. Ryan runzelte die Stirn.

»Agent Thornton schickt Sie?«

Ryan musste sich hindern, genervt auszuatmen.
Warum konnte Rabea sie nicht einfach informieren, anstatt sie vor vollendete
Tatsachen zu stellen?

»Ja, sie hat uns hier rausgelassen und gesagt,
sie müsste noch kurz ins Büro und würde dann pünktlich hier sein. Wir sollten
uns bei …«

»Captain Harrison melden, ja, das habe ich
verstanden.« Ryan deutete auf sein und Seans Büro. »Bitte.« Er zwang sich, den
beiden Herren gegenüber freundlich zu bleiben. Sie waren nicht verantwortlich dafür,
dass Rabea ihnen wichtige Infos nicht mitgeteilt hatte. Vielleicht sollten die
beiden Männer irgendetwas in der Base reparieren, das Rabea oder Dennis
aufgefallen war? Aber dann müssten sie nicht auf Sean warten. Sich zur Ordnung
rufend öffnete Ryan den beiden die Bürotür und wartete, bis sie eingetreten
waren, ehe er ihnen folgte.

»Setzen Sie sich.« Er deutete mit einer Geste
auf die Stühle vor den Schreibtischen und ging direkt zu seinem Schreibtisch,
wo er nach dem Telefon griff. Ryan wollte versuchen, Sean anzurufen, selbst
wenn die Chance, ihn wirklich zu erreichen, gering war. Im Killhouse schalteten
sie alle ihre Mobiltelefone ab oder auf lautlos, damit sie sich auf ihre
Aufgaben konzentrieren konnten. Wie erwartet konnte er Sean nicht erreichen,
weswegen er sich an die Männer wandte, die vor ihm saßen.

»Hat Agent Thornton Ihnen gesagt, was Sie mit
Captain Harrison besprechen sollen?«

»Ja, natürlich, es geht um die Wasserleitungen
und die Pumpe.« Der Grauhaarige nickte und lehnte sich weit im Stuhl zurück.

Wasserleitungen und Pumpe? Ryan hatte keine
Ahnung, wovon die beiden sprachen, was ihm überhaupt nicht gefiel.

»Entschuldigen Sie, aber was für Leitungen und
welche Pumpe?« Ihm war egal, was die beiden Männer gerade von ihm dachten.

»Na, die bei Diif, oder so.«

Auch bei dieser Information, die nun von dem
Mann ohne Bart stammte, der, wie Ryan feststellte, auffällig grüne Augen hatte,
klingelte bei ihm nichts. Er hatte absolut keine Ahnung, um was es ging. Ryan
öffnete das Telefonregister und suchte nach der Nummer von Rabea Thornton. Er
würde nicht erst auf ihre Ankunft warten. Wenige Sekunden später wartete Ryan
darauf, dass sein Telefonat angenommen wurde.

»Ich habe noch zehn Minuten.« Agent Thornton
klang genervt, als sie das Gespräch annahm.

»Das mag sein, aber Sean ist nicht hier und ich
sitze mit Mister …« Er sah fordernd die beiden Handwerker an.

»Alvarado«, erklärte der Schlankere der beiden.
»Tracy«, legte der Grauhaarige nach.

»Alvarado und Tracy sitzen im Büro und habe
keine Ahnung, was los ist. Ist das so ein Geheimding? Dann solltest du die
Leute nicht einfach vor der Tür absetzen und darauf hoffen, dass sie dem
Richtigen in die Arme laufen. Du hättest das wenigstens ankündigen können.«

»Ich hab doch eine Nachricht rausgeschickt.«
Rabea klang verwundert, als sie sich rechtfertigte. »Gestern schon, auch an
dich.«

»Ich habe nichts bekommen.« Ryan zückte sein
Handy, um zu kontrollieren, dass er nicht zufälligerweise etwas übersehen
hatte. Wobei ihm das bisher nie passiert war. Aber es war weder am vergangenen
Tag noch am heutigen eine Nachricht eingegangen. »Wenn ich nichts habe, hat
Sean meines Wissens nach auch nichts bekommen, sonst wäre er hier. Er ist im
Killhouse, da kann ich ihn nicht erreichen.« Ryan ließ sich schwer auf seinen
Schreibtischstuhl fallen. Er war gespannt auf die Erklärung der Agentin. Am
anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, dann vernahm er einen leisen
Fluch.

»Und?« Ryan starrte an seinen Besuchern vorbei
auf die Tür.

»Egal. Ich kümmere mich darum, dass Captain
Harrison so schnell wie möglich da ist. Bieten Sie den Herren solange einen
Kaffee an.«

Dass Rabea ihn siezte, war typisch für sie. Sie
war voll in der Rolle der Agentin. Am Abend, als sie ihnen mitgeteilt hatte,
dass eine Trainigsmission anstand, hatte sie diese Rolle für einen Augenblick
abgelegt, was sie deutlich sympathischer gemacht hatte.

»Ich bin doch nicht …« Ryan brach ab. Jetzt
einen Streit darum zu entfachen, dass er nicht dafür zuständig war, ihren
Besuchern einen Kaffee zu kochen, war sinnlos. So würde er auch nicht schneller
erfahren, was los und vor allem, was schiefgelaufen war. Gerade der letzte
Punkt interessierte ihn brennend. Denn eine Agentin Thornton machte, ihren
eigenen Aussagen nach, nie Fehler. Er beendete das Gespräch und wandte sich den
beiden Männern zu.

»Agent Thornton und Captain Harrison verspäten
sich. Kann ich Ihnen in der Wartezeit einen Kaffee anbieten?« Ryan hatte sich
nach vorne gebeugt.

»James, hör dir das an. Wir bekommen Kaffee von
einem Captain serviert.« Tracy sah so entgeistert aus, wie Ryan sich über
seinen Auftrag fühlte.

»Kann auch nicht jeder von sich behaupten.«
Alvarado zuckte mit den Schultern.

 

»Fünfzig Jahre sind wirklich eine lange Zeit,
so lange kann bei uns kaum einer seinen Job machen, die meisten wechseln dann
an einen Schreibtisch.« Ryan lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Oder landen in der Politik.«

»Da kommen leider nicht immer die Richtigen
an.« Er sah sich gezwungen, James Alvarado die Vorstellung zu nehmen, dass
Militärs automatisch in der Politik landeten, wenn sie jahrelang Dienst nach
Vorschrift geschoben hatten. Sie hatten sich gerade darüber unterhalten, wie
lange James Alvarado und Peter Tracy schon in ihren Jobs tätig waren. Ryan war
beeindruckt davon, dass man fünf Jahrzehnte ein und derselben Aufgabe nachgehen
konnte, ohne ihr müde zu werden. Er hatte sich mit Peter und James in die
Gemeinschaftsküche gesetzt, da er so den Kaffee nicht wie ein Kellner durch den
Flur tragen musste. Dabei tat er das regelmäßig, wenn er seinen Kollegen
welchen mitbrachte. Er wusste immer noch nicht genau, was die beiden für einen
Auftrag hatten, dass die Anwesenheit von Sean erforderlich war, wohl aber, das
beide kurz vor der Pensionierung standen und seit Jahrzehnten Pumpen, und Rohrsysteme
für Brunnen bauten und warteten.

»Im Prinzip hat sich nie was geändert, nur
halten die Teile nicht mehr so lange wie früher. Heute ist vieles nach nicht
mal zehn Jahren so weit kaputt, dass es komplett ersetzt werden muss und dass
dann zu einem Preis, der die Sachen von früher in den Schatten stellt. Zudem
wird so gebaut, dass es fast unmöglich ist, einzelne Teile zu ersetzen, sollte
es die dann überhaupt noch geben.«

»Stimmt«, fiel Peter James ins Wort und
richtete sich dann an ihn, nachdem er einen Schluck Kaffee genommen hatte. »Wir
haben vor einer Woche gerade einen Tank getauscht, da war noch das Baujahr
eingeprägt. 1951.«

»Wow«, entfuhr es Ryan. Die Vorstellung, dass
ein solcher Tank über so lange Zeit funktioniert hatte, ohne durchzurosten, beeindruckte
ihn. Der Wasserboiler in der Wohnung seiner Freundin war nach fünf Jahren
defekt gewesen und das, wie aus alten Rechnungen hervorgegangen war, fast auf
den Tag genau.

»Das Ding war noch Wertarbeit«, legte James
nach, als sich die Eingangstür mit einem penetranten Quietschen öffnete und
kurz darauf krachend zurück ins Schloss fiel.

»Das müsste auch mal wer reparieren«, erklärte
Peter nun.

»Das hören wir öfter.« Die Tür der Base war
immer wieder Gesprächsthema, wenn sie in der Küche saßen. Allerdings blieb es
dabei, dass darüber gesprochen wurde, denn in den anderen Räumen störte es
kaum, wenn die Tür ins Schloss krachte, weswegen sich noch niemand um die
Reparatur bemüht hatte.

»Können wir uns ja mal anschauen«, bot James
an.

»Ich dachte, ihr macht nur Wasser und so.« Ryan
war leicht verwundert über das Angebot.

»Das ist ein Türöffner und keine
Quantenphysik.« James grinste, als Rabea Thornton in der Tür auftauchte. Aus
ihrer sonst streng geflochtenen Frisur hatten sich überall kleine feine Haare
befreit und der Kragen ihrer Bluse stand an einer Seite hoch.

»Agent Thornton.« Ryan erhob sich, da er
bemerkt hatte, dass auch die beiden Handwerker Rabea skeptisch musterten. »Auf
ein Wort, ehe wir beginnen.« Er ging ihr entgegen und gab ihr mit einer Geste
zu verstehen, dass er sie im Flur sprechen wollte.

»Wir sind gleich wieder da.« Ryan sah kurz über
die Schulter zu James und Peter, die gleichgültig dreinsahen. Ihnen war ganz
offensichtlich egal, wie viel Zeit sie noch hier verbringen würden, im Gegensatz
zu ihm.

»Aber …«

»Nein, das hat oberste Priorität.« Er
unterbrach Rabea und dirigierte sie den Flur entlang, bis sie außer Hör- und
Sichtweite waren.

»Was soll das jetzt?« Sie blieb vor dem Büro
stehen und drehte sich zu ihm um. In ihren Augen entdeckte er das ihm bekannte
wütende Funkeln. Das: Widersprecht mir
nicht, ich sitz am längeren Hebel
-Funkeln, das er schon so oft gesehen
hatte.

»Du siehst aus, als wärst du gerade aus dem
Bett gekommen, oder hättest … du weißt schon.« Ryan deutete auf ihr Dekolleté,
wo er nun zusätzlich einen offenen Knopf entdeckte, woraufhin er sich die
Frage, ob sie unter Umständen wirklich das getan hatte, wonach sie aussah. Das
würde sie tatsächlich menschlicher machen. Tief einatmend schloss sie den Knopf
und richtete auf seinen scharfen Blick hin ihren Kragen.

»Was ist passiert? Hast du Sean erreicht?« Über
ihre Frisur würde er nun hinwegsehen. Wahrscheinlich konnte er nun ohnehin
nichts mehr an dem ändern, was die beiden Monteure dachten. Außerdem ließen
sich die Haare wohl nicht in zwei Minuten frisieren. Die Handwerker hatten
bestimmt eine bis in die Haarspitzen gestylte Agent Thornton erlebt, als sie
sie hergebracht hatten, und sahen nun eine Frau, die aussah, als hätte sie
einen Quickie gehabt. Er konnte nur noch verhindern, dass andere bei ihrem
Anblick dachten, sie sei im Büro von Dennis vernascht worden. Gerade die
Beziehung der beiden stieß bei den meisten Mitgliedern der I.A.T.F auf wenig
Verständnis. Insgeheim hoffte er, dass weder das passiert war, noch das ein
anderer Mann für ihr zerrupftes Auftreten verantwortlich war.

»Das Alpha-Team soll dafür sorgen, dass bei
Diif, in der Nähe der Stelle, an der Syrell den See gesprengt hat, eine
steinalte Wasserpumpstation wieder in Betrieb genommen werden kann. Die ist
nämlich defekt, weil angeblich zu viel Sand durch die Anlage gelaufen ist und
die Pumpen und Filter ruiniert hat. Aktuell kann die Bevölkerung das Wasser nur
direkt an dem Gebäude bekommen, da die Anschlüsse in die Dörfer nicht funktionieren.
Angeblich baut die Pumpe nicht ausreichend Druck auf, was irgendwas mit den
Filtern und Dichtungen zu tun hat, die durch den Sand nicht mehr in Ordnung
sind. Und der Weg ist für viele zu weit, um große Mengen Wasser zu
transportieren. Bevor ihr alles in die Luft gejagt habt, haben die Leute ihre
Tiere zum Tränken an den Tümpel getrieben, da war auch immer ausreichend
Futter. Jetzt ist das Wasser für Mensch und Tier ungenießbar und sie mussten
viel mehr Wasser aus der Grundwasserbohrung beziehen, was die Technik an ihre
Grenzen gebracht hat. Die Hilfsorganisation, die das Ding vor einem gefühlten
Jahrhundert errichtet hat, weigert sich mit allem, was sie hat, das zu
erledigen, weil sie nicht für den Defekt verantwortlich sind. Das sind welche,
die ohnehin ein Problem mit der Armee haben und uns das mit aller Macht in die
Schuhe schieben wollen. Sie drohen, das in der Presse an die große Glocke zu
hängen. So nach dem Motto, die Spendengelder der Bürger werden von der Armee in
Schutt und Asche gelegt und die Regierung will da nicht helfen. Deswegen müsst
ihr hin. Clarkson sagt, dass die Einheit, die den Mist verursacht hat, das auch
wieder richten, oder besser gesagt, dafür sorgen muss, dass die, die es
reparieren, in Ruhe arbeiten können. Er weigert sich, jemand anderen zu
schicken, da die Kameraden, die vor Ort sind, andere, wichtigere Aufgaben haben
als Handwerker zu beaufsichtigen. Da die ganze Technik aus der Steinzeit ist,
habe ich Tracy und Alvarado engagiert. Ich habe drei Tage lang alle möglichen Firmen
abtelefoniert und bin dann über mehrere Tipps von Architekten, die alte Villen
im Glaslamp Quater renovieren, an die beiden geraten. Die können angeblich
alles reparieren. Und ja, ich habe ihn erreicht, er sollte in den kommenden
Minuten hier auftauchen und seinen unver-gleichbaren Charme versprühen.«

Ryan biss sich auf die Unterlippe, als er ihr
zuhörte. Er hatte sie fragen wollen, ob sie dachte, dass die beiden Handwerker
ebenfalls aus der Steinzeit kamen, tat es aber nicht. Dazu kam, dass der Hass,
den er auf Clarkson hegte, einmal mehr entfacht wurde.

»Und warum haben Sean und ich keine Nachricht
bekommen?« Das eine war eine Erklärung, die er sicherlich in einigen Minuten
nochmals und ausführlicher zu hören bekommen würde, wenn Sean da war. Das andere
war die fehlende Nachricht an ihn und Sean und auf den Grund, weswegen sie
keine erhalten hatten, war er gespannt. Dieses Mal war es nur eine Info über
ein Briefing. Im Notfall könnte eine nicht ausgehende Alarmierung zu einer
Katastrophe führen. Er wollte wissen, wo das Problem lag, um es zu beheben.

»Ist das nicht egal? Es ist passiert und gut.«
Rabea funkelte ihn erbost an und er zwang sich, sie nicht laut anzugehen, um
den beiden Männern in der Küche keinen weiteren Grund zu geben, schlecht über
das Team zu denken.

»Muss ich eine Ausrede zusammenschustern?« Ryan
entschied sich gegen noch mehr Fragen. Das Einzige, was er nun wissen wollte,
war, ob er oder jemand anderes aus dem Team Probleme bekommen könnte. Unter
Umständen lag das Problem nicht bei Rabea, sondern bei einem Teammitglied, das
vergessen hatte, die Nachricht weiterzureichen.

»Nein.« Sie blickte nicht zu ihm auf, sondern
ging an ihm vorbei in die Küche, wo sie Tracy und Alvarado aufforderte, ihr ins
Büro zu folgen. Als sie, von den Männern gefolgt, Richtung Büro ging, schenkte
sie ihm keinerlei Beachtung. Sie war wieder voll und ganz die Agentin, die
nicht mit sich reden ließ, wenn sie erst einmal einen Plan gefasst hatte. Leise
seufzend verfluchte er ihr Verhalten und betrat das Büro. Die beiden Handwerker
schauten erwartungsvoll zu Rabea, die wiederum ihn ansah, als könne er Sean
herbeizaubern.

Nach zehn Minuten tauchte Sean endlich auf. Es
waren zehn sehr lange Minuten, in denen weder Ryan, noch Rabea oder die beiden
Handwerker gesprochen hatten. James und Peter wirkten immer angespannter. In
Seans Blick, als er das Büro betrat, war der Missmut gegen Rabea deutlich zu
sehen. Ihm missfiel, dass er das Training des Teams hatte abbrechen müssen und
sicher auch, dass ihn die Nachricht von Rabea nicht früher erreicht hatte.

Sie wechselten vom Büro in das Konferenzzimmer,
in dem das Alpha-Team saß, das gemeinsam mit Sean das Training abgebrochen
hatte und ihnen erwartungsvoll entgegensah. Auch in den Gesichtern seiner
Kollegen konnte er erkennen, dass sie keine Lust hatten, hier zu sein. Ryan
ließ sich auf der Fensterbank neben Nathan nieder. Rabea stellte dem Team die
beiden Monteure vor, ehe sie in einer längeren Version das erklärte, was sie
Ryan zuvor in Kurzfassung erläutert hatte. Vor allem Syrells Mimik verriet,
dass ihm das Geschehene unangenehm war und er sich über die Konsequenzen wenig
Gedanken gemacht hatte. Für ihn hatte nur die Beseitigung des Sprengstoffes
gezählt. Verdenken konnte Ryan es ihm nicht. Er hätte wahrscheinlich ebenso
gehandelt. Die Bilder der vertrocknenden Ernte und von verdursteten Tieren
sorgten auch bei Werner, der die Sprengung vorgenommen hatte, für einen
bedrückten Ausdruck im Gesicht. Dass Rabea dann zusätzlich davon sprach, dass
die Männer verantwortungslos gehandelt hatten, ließ die Stimmung weiter sinken.
Selbst Dennis, der in der letzten Reihe saß, wirkte schlecht gelaunt. Ryan
wartete förmlich darauf, dass der Deutsche ihr über den Mund fuhr. Aber er saß
einfach da, schwieg und notierte sich wichtige Fakten. Peter schlug nach
einigen Minuten vor, dass man während der Reparatur, für die die beiden Männer
ein bis zwei Wochen veranschlagten, Wasser in einem LKW zu den betroffenen
Bewohnern der Gegend bringen könnte. Sie waren aufgrund der von Rabea gelieferten
Informationen der Meinung, dass es kein Problem darstellte, Wasser aus dem
Brunnen in den LKW zu pumpen und zu verteilen. Das Problem war ihren Aussagen
nach andere Pumpen, die das Wasser von der Bohrung auf verschiedene Leitungen
verteilten. Ryan bemerkte, dass die Handwerker die Stirn kraus zogen, als Rabea
Bilder der Rohrleitungen zeigte. Ihm entging nicht, dass James Peter etwas zu
flüsterte.

Rabea gab zu bedenken, dass das Wasser direkt
aus dem Brunnen zum Trinken ungeeignet war und sie außerdem zusätzliches
Personal benötigten. Neben einem Fahrer würden sie bis zu vier Männer
benötigen, die den Transport und die Verteilung vor Ort sicherten, sollte es zu
Chaos kommen, weil zu viele zeitgleich Wasser forderten. Die Agentin versprach
in Erfahrung zu bringen, ob Clarkson weitere Kräfte freigeben würde. An dieser
Freigabe zweifelte Ryan, als das Briefing beendet wurde. Wahrscheinlicher war,
dass das Alpha-Team mit weniger Schlaf und somit mehr Arbeit zurechtkommen
musste. Die eigentliche Aufgabe des Teams sollte darin bestehen, die Arbeit von
James und Peter zu sichern, da befürchtet wurde, dass man sie an der Reparatur
hindern wollte. Die Gruppen, die sich Milazims Terrorzelle nahe fühlten,
vermehrten sich in der Region mit rasender Geschwindigkeit. Sie verhinderten,
dass medizinische Hilfe in die abgelegenen Dörfer kommen konnte, und
rekrutierten junge Männer, die eigentlich in den Ortschaften gebraucht wurden.
Ryan würde das Team nicht begleiten, sollte aber für den Fall, dass er mit dem
Bravo-Team zur Hilfe kommen musste, wissen, welche Aufgaben dem Alpha-Team
zugeteilt waren. Dass Clarkson einen solchen Notfalleinsatz genehmigen würde,
bezweifelte er allerdings. Wahrscheinlicher war, dass er die Kräfte abzog oder
sich selbst überließ. Clarkson mochte wie Rabea ab und an freundlich wirken, in
Wirklichkeit waren beide nur damit beschäftigt, ihnen das Leben schwer zu
machen.

Rabea verschwand nach über zwei Stunden mit
James und Peter und ließ sie im Konferenzzimmer zurück.

»Weißt du, was schiefgelaufen ist?« Sean sprach
ihn an, als er den Bauplan anstarrte, der immer noch auf das Whiteboard
projiziert wurde. Es war der Aufbau der Pumpstation inklusive der Elektrik und
Ryan grübelte seit Minuten darüber, ob er eine solche Skizze je ohne Hilfe verstehen
würde.

»Wegen der Nachricht, oder der Sprengung?« Es
gab nur diese beiden Dinge, die Sean meinen konnte. Die Sprengung würde sie
wohl noch eine Weile beschäftigen und wahr-scheinlich würden Syrell und Werner
zu der Thematik verhört werden. Allerdings rechnete Ryan nicht mit Folgen.

»Die Nachricht. Wenn sie uns für einen
sofortigen Einsatz angefordert hätte, hätte das echt …« Sean sprach nicht
weiter. Ryan war klar, welche Folgen es hätte haben können, wenn es um wichtige
Minuten gegangen wäre.

»Ich hab keine Ahnung. Sie wirkte irgendwie
zerstreut vorhin.« Dass Rabea ausgesehen hatte, als hätte sie irgendwo in einer
Abstellkammer einen Quickie gehabt, verschwieg er. Das war ein Thema, das er
maximal Dennis gegenüber ansprechen würde.

»Ich sprech mal mit ihr.«

»Du?« Ryan konnte sein Erstaunen nicht
verbergen. »Das sind ja ganz neue Töne.«

»Ja, hast du ein Problem damit?« Seans Blick
war ausreichend, um ihn daran zu hindern, etwas zu sagen. Er hatte keine Lust
auf Diskussionen. Weder mit Sean noch mit Dennis oder Rabea. Noch war das
Pumpendesaster ebenfalls nicht sein Problem.

»Nein, mach.« Schulterzuckend ging er aus dem
Zimmer und blieb auf dem Flur stehen. Nachdenklich sah er den Gang entlang.
Sollte er? Eine innere Stimme veranlasste ihn, nach einigen Sekunden in den
zweiten Stock zu gehen, in der Hoffnung, Dennis oben zu finden. Er rechnete
nicht damit, dass sein Kollege seiner Freundin gefolgt war. An die Stubentür
klopfend, an der das Bild einer norddeutschen Landschaft eines
Naturschutzgebietes hing, wartete er auf eine Reaktion.

»Boah, man.« Der genervte Ton von Dennis ließ
Ryan an seinem Entschluss zweifeln, ehe sich die Tür öffnete. Dennis sah ihn in
dem Moment entgeistert an, als er in die Tür trat. Er trug nur eine Shorts und
kniff die Augen fragend zusammen.

»Fünf Minuten«, forderte Ryan, ehe Dennis ihn
abweisen konnte.

»Ich wollte duschen.«

»Das Wasser ist in fünf Minuten auch noch da.«
Ryan drängte sich an seinem Kollegen vorbei ins Zimmer.

»Was willst du?« Dennis schloss die Tür, blieb
aber an ihr gelehnt stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Rabea sah vorhin recht zerzaust aus, als sie
hier angekommen ist.« Er dachte einen Augenblick darüber nach, ob er den
Gedanken aussprechen sollte, den er gehabt hatte, als er sie gesehen hatte. Es
wäre Dennis Recht zu erfahren, wenn sie einen anderen hatte. »Sie sah aus, als
wäre sie gerade …«

»Blödsinn«, fiel Dennis ihm ins Wort, was ihn
die Brauen heben ließ. »Hört doch auf, ihr so einen Scheiß zu unterstellen. Das
bleibt aber hier im Raum«, legte er dann nach.

Ryan nickte und war gespannt auf das, was er zu
hören bekommen würde.

»Sie hat mich, kurz nachdem sie Sean angerufen,
und er das Training abgebrochen hat, total aufgelöst angerufen. Sie hat die
Nachricht für das Briefing geschrieben, aber aus irgendeinem Grund nicht
abgeschickt. Sie sagte schon öfter, dass sie der Meinung ist, sie vergisst mehr
als sonst. Sie hat einfach den Sendenbutton nicht gedrückt. Als sie das gesehen
hat, sind ihr die Nerven durchgegangen. Rabea hat mich angerufen und ich hab
ihr dann irgendwann gesagt, dass sie sich frisch machen soll. Frag Sean, ich
war fast eine Viertelstunde draußen, weswegen er total angepisst war.« Dennis
war bei seiner Erzählung an ihm vorbeigegangen und stand nun vor dem Bad. »Darf
ich jetzt?« Er deutete in den Raum und wollte so wohl die Unterhaltung beenden
und ihn loswerden.

»Klar.« Ryan nickte.

»Und bevor du jetzt wieder damit kommst, dass
ihr irgendwelche Hilfen anbieten wollt, lass es.« Dennis verschwand im Bad und
ließ ihn sprachlos im Zimmer zurück. Ryan strich sich durch die Haare und hatte
keine Ahnung, was er mit dieser Info machen sollte. Er hatte Dennis sein
Stillschweigen versprochen, wollte Hilfe anbieten, die offensichtlich nicht
gewollt war und stand nun mit einem Wissen im Raum, das an ihm nagte und Rabea
menschlicher erscheinen ließ, als sie es wohl zeigen wollte.