1.
Steve lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er war bis auf die Haut durchnässt. Der peitschende Wind bei einer Temperatur knapp über zehn Grad tat an diesem späten Abend Anfang Januar sein Übriges. Ohne die nasse Kleidung wäre es vielleicht noch erträglich. Er blickte zur Seite zu Dennis. Der blonde, ebenfalls völlig durchnässte Mann neben ihm zitterte am ganzen Leib. Es war ihm nicht mehr möglich, diese Körperreaktion auf die Kälte zu kontrollieren. Selbst die zusammenschlagenden Zähne seines Nebenmannes konnte Steve hören. Aber nicht nur seine Zähne klapperten. Sie waren mit zweiundzwanzig Mann hier draußen, an einem von maximal sieben Regentagen im Januar, mitten auf dem Coronado-Beach.
Während ihrer Trainingseinheit hatte der Wind stark aufgefrischt und den Sand des Strandes aufgewirbelt. Wie kleine Nadeln war er auf sie eingehagelt. Er war in seine Ärmel gekrochen und hatte sich über den Halsausschnitt seines Hemdes einen Weg gesucht. Der folgende Wolkenbruch hatte alles noch viel schlimmer gemacht. Der Sand war an der Kleidung kleben geblieben und all die Körnchen, die einen Weg zwischen Haut und Kleidung gefunden hatten, wirkten nun wie Schleifpapier. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass ihre Vorgesetzten sie nun zu einer Runde Schwimmtraining im Ozean verdonnern würden, was jedoch unwahrscheinlich war. Der Pazifik rauschte seit Stunden mit hohen Schaumkronen und urtümlicher Kraft an den Strand. In diesem Wasser würde keiner von ihnen schwimmen gehen. Es war viel zu gefährlich. Sie könnten jederzeit von nicht sichtbaren Strömungen in die Tiefe gezerrt oder an einen der Felsen gespült werden, die in einiger Entfernung zu sehen waren. Selbst die besten Schwimmer wurden bei solchen Bedingungen zu einem Spielball von Wind und Wellen. Sogar Missionen würde man absagen, verschieben oder zumindest umplanen.
»Bewegt euch!« Ryan kam rennend an ihnen vorbei und brüllte den Befehl.
»Wäre ja auch zu schön gewesen«, meckerte Dennis, als sie Ryan im Laufschritt folgten. Sie hatten die leise Hoffnung gehegt, dass ihre Vorgesetzten das Training für heute beenden würden, dass sie einen Funken Mitleid oder selbst keine Lust mehr auf die bescheidenen Bedingungen hatten. Aber ihnen war bewusst gewesen, dass weder Ryan DeSanto, der die Spitze ihrer Gruppe bildete, noch Sean Harrison, der irgendwo hinter ihnen war, Gnade zeigen würde. Ihr Ausdauertraining hätten sie mit Sicherheit nicht nur woanders erledigen, sondern heute auch ausfallen lassen können. Aber da sie immer und allzeit bereit sein mussten, blieb ihnen keine andere Wahl, als bei diesem bescheidenen Wetter zu trainieren. Schließlich mussten sie bei ihren Missionen auch mit allen Widrigkeiten klarkommen. Ryan beschleunigte sein Tempo nochmals und Steve spürte, wie er an seine Grenzen gelangte.
Seit dem Abzug aus Afghanistan verbrachten sie viel Zeit beim Training. Dazu gehörten neben den langen Läufen etliche Runden auf dem großen Hindernisparcours in Coronado und stundenlange Übungen in unterschiedlichen Killhouses. Außerdem waren sie mehrfach auf verschiedenen Militärgeländen gewesen, wo sie ihre Techniken im Häuserkampf hatten verfeinern können. Wenn sie sich nicht körperlich an ihre Grenzen brachten, saßen sie in Schulungsräumen. Sie wurden über Neuerungen informiert und frischten bekanntes Wissen auf. Steve musste sich eingestehen, dass er einem Training wie diesem einen Tag in den Räumen der Base mit trockenem Unterrichtsstoff bevorzugte. Er hatte das Gefühl, dass sich in seinem rechten Schuh ein Gemisch aus Blut, Sand und Wasser gebildet hatte. Vielleicht war es nicht die glorreichste Idee des Tages gewesen, die fast neuen Boots an einem Tag wie diesem anzuziehen.
Der sich wieder verstärkende Regen schlug ihm ins Gesicht und holte ihn aus seinen Gedanken. Er konnte seinen Herzschlag in seinen Ohren hämmern hören und sah, wie Ryan vor ihnen langsamer wurde. Allerdings blieb er nicht stehen. Steve riskierte einen Blick über die Schulter. Das gesamte Team war dicht geschlossen hinter ihnen. Niemand war abgeschlagen. Er bemerkte, dass einige Kollegen sogar noch die Luft hatten, um sich zu unterhalten. Er strich sich das Wasser aus dem Gesicht. Ein sinnloses Unterfangen, da es nur wenige Sekunden dauerte, bis der Regen ihm wieder in die Augen rann. Ein Gutes hatte das Laufen jedoch: Ihm war nicht mehr so kalt. Zumindest hatte er aufgehört zu zittern.
»Hey.«
Dennis wich ein Stück zur Seite, als Wesley neben ihm auftauchte. Der knapp einsachtzig große Mann mit dem kantigen Gesicht war einer von wenigen, die heute mit einem kurzärmligen Shirt
unterwegs waren. Am linken Arm seines langjährigen Kollegen flossen die Wassertropfen in kleinen Rinnsalen über sein vernarbtes Tattoo.
»Wir gehen heute Nacht springen«, erklärte der Mann mit den braunen Augen neben ihnen leicht außer Atem.
»Nicht deren Ernst.« Steve hätte aufgestöhnt, wenn es ihn nicht aus seinem Rhythmus gerissen hätte. Das Letzte, worauf er nach einem Tag wie heute noch Lust hatte, waren Nachtsprünge. Er hätte gerne in einem warmen, trockenen Raum seinen Abend verbracht und nicht in einem Flugzeug in mehreren tausend Metern Höhe, in denen es noch deutlich kälter war als hier im Regen. Sein Körper würde wohl erst morgen wieder eine normale Temperatur erreichen. Leben am Limit schoss es ihm in den Kopf und er grinste für sich.
»Doch. Es soll aufklaren, sonst würden Jamain und Sharleen nicht fliegen.«
Steve lachte bei Wesleys Worten auf. »Glaubst du selbst nicht, oder?« Er zwang sich, sich wieder auf seinen Laufrhythmus zu konzentrieren, sonst würde er schneller außer Atem sein als ihm lieb war. Jamain und Sharleen würden sie, wenn es nötig wäre, auch in einen Hurrikan fliegen. Und dass Ryan und Sean dann Angst um ihre Gesundheit haben würden, war unwahrscheinlich. Ihre Vorgesetzten erwarteten von jedem zweihundert Prozent Leistung zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei jeder Witterung und jeder ihrer Befindlichkeiten. Schließlich richteten sich ihre Einsätze auch nicht nach dem Wetter.
Beim Blick an Wesley vorbei streifte sein Blickfeld kurz Dennis, der stur geradeaus sah. Steve hatte den Eindruck, Dennis wäre blasser als vor wenigen Minuten. Vielleicht täuschte er sich aber auch und es lag am Regen und Wind.
»Alles ok, Greenhorn?«
Jetzt wandte sich Wesley ebenfalls an Dennis. Den Spitznamen Greenhorn würde der Deutsche wohl nie loswerden und sie würden sich, sollte jemand Neues ins Team kommen, einen anderen Namen für den Frischling einfallen lassen müssen. Greenhorn haftete an Dennis, wie Casanova an Wesley und Sheep an ihm.
»Er mag Nachtsprünge nicht«, erklärte Wesley Steve. »Du kannst ihn bei fünfundvierzig Grad aus dem Flieger schmeißen, bei Sturm und Regen oder Kälte, aber nicht ohne Licht.« Wesley lachte auf und kassierte neben einem wütenden Blick von Dennis noch ein: »Halts Maul« von dem Deutschen, der es nicht leiden konnte, wenn man ihn auf diese Angst ansprach oder damit aufzog.
Steve zog es vor, nichts dazu zu sagen. Wirklich aufgefallen war ihm diese mögliche Abneigung von Dennis bisher nicht. Aber um aufzufallen, hätten sie wohl öfter solche Nachtsprünge machen müssen. Oft fehlten die Gelegenheiten. Dass es ausgerechnet heute passieren sollte, passte also nicht nur ihm nicht.
Sie liefen eine Weile schweigend weiter, während sich über ihnen die Wetteränderung bereits abzeichnete. Hinten am Horizont verzogen sich die dunkelgrauen, fast schwarzen Regenwolken, und ein erster hellblauer Streifen kündigte das für San Diego typische Wetter an. Sonnig und trocken. An den Touristenstränden würde es sich in den kommenden Stunden wieder füllen und ihnen würde ein Sprung aus dem Flugzeug bei Nacht bevorstehen. Es sah nicht so aus, als könnten sie noch auf eine Sturmfront hoffen, die ihre Piloten am Abheben hindern könnte.
Ryan spurtete eine Sanddüne hinauf, hinter der sie etwas erwartete, auf das Steve in diesen Minuten noch weniger Lust hatte als auf weiteren Regen. Aus der Ferne konnte er bereits die hohen Pfähle des Netzes sehen, welches zum Trainingsparcours in Coronado gehörte. Die Strecke, die die Düne hinaufführte, beanspruchte bereits jeden Muskel. Der nachgebende Sand in Zusammenhang mit dem Regen und Wind machte es noch anstrengender, hinaufzugelangen. Dazu schmerzte seine Ferse abartig und er war gespannt auf das, was ihn erwartete, wenn er die Boots ausziehen würde. Oben angelangt blieb er einen Augenblick stehen, um zu Atem zu kommen. Ryan hatte ebenfalls angehalten und sah ihm und Dennis, der nur eine Sekunde nach ihm angekommen war, entgegen. Beim Blick hinunter entdeckte er Wesley, der sich gerade wieder aufrichtete. Warum er kurz auf einem Knie und mit einer Hand im Sand stützend gekauert hatte, wusste Steve nicht. Er hatte keinen Sturz seines Kollegen gesehen und er schien sich auch nicht verletzt zu haben, denn er erreichte nur wenige Sekunden später ebenfalls den obersten Punkt. Kurz nach ihnen kam der Rest des Teams an. Der Wind war hier oben noch weit kräftiger als am Wasser und sorgte zusammen mit der nassen Kleidung dafür, dass er wieder zu zittern begann. Beruhigt stellte er jedoch schnell fest, dass jeder,
inklusive Ryan und Sean, ebenfalls zitterte. Es war eine Genugtuung für ihn, zu sehen, dass Kälte, Wasser und Wind auch an ihren Vorgesetzten nicht spurlos vorbeigingen.
»Eine Runde, dann geht es zurück zur Base, duschen und essen. Wir treffen uns um einundzwanzighundert am Rollfeld.« Ryan deutete in Richtung des Flugplatzes der Militärbasis, als er die Uhrzeit in militärischer Art ausgesprochen hatte. Ebenso schnell, wie sie die Düne hinaufgerannt waren, ging es wieder hinunter, wobei sie darauf achteten, nicht zu Fall zu kommen, wenn es zu steil wurde. Einige ihrer Kollegen stürzten sich entweder so voller Begeisterung auf den Parcours, weil es endlich die Aussicht auf ein Ende des Martyriums gab, oder sie, im Gegensatz zu ihm, nicht ausgepowert waren. Womöglich erhofften sie sich von dem Kurs aber auch, dass sie das in jeden Muskel gekrochene Kältegefühl wieder loswerden würden. Allen voran lieferten sich Sean und sein Bruder Nathan ein hartes Kopf- an Kopf-Rennen, welches Steve nach wenigen Minuten aus den Augen verlor, da er selbst sein eigenes Ziel im Kopf hatte: eine warme Dusche.
Als hätte der liebe Gott ihn ärgern wollen, hörte es in dem Moment auf zu regnen, in dem er völlig entkräftet den Parcours hinter sich gebracht hatte. Nach Luft ringend musste er sich daran hindern, sich auf den durchweichten Erdboden am Rand der Strecke fallen zu lassen. An anderen Tagen bot der Boden eine willkommene Abkühlung, wenn sie vollkommen k.o. von den Hindernissen kamen.
Das Wasser tropfte aus jedem Stück Kleidung und das Gefühl in seinem Schuh hatte sich ebenso weiter verschlimmert, wie der Schmerz, den er versuchte zu ignorieren. In diesem Zustand war es nicht sehr verlockend, sich auf den schlammigen Boden zu legen, um kurz durchzuatmen.
»Sheep, kann ich gleich bei dir duschen?« Werner, den sie alle meist nur mit Snake ansprachen, war einer ihrer Corpsemen und wie Wesley ein langjähriger Weggefährte von Steve. Der Mann mit den pechschwarzen Haaren musterte ihn aus seinen braunen Augen fragend. Werner wohnte bei seiner Freundin und deren Sohn in der Stadt. Allerdings würde kein Teammitglied, welches Familienanschluss hatte, heute die Zeit haben, um daheim zu duschen oder zu essen. Also teilten sie sich auf die Stuben der Base auf, um kurz unter die Duschen zu huschen und sich ein wenig Erholung zu gönnen. Zwar gab es im Keller eine Gemeinschaftsdusche, die nutzten sie jedoch nur im äußersten Notfall, da die Abflüsse dort seit jeher bei Nutzung einen abartigen Geruch ausströmten, der sich dann über Tage im Keller hielt.
»Jo.« Er nickte. »Lass uns verschwinden.«
Als geschlossene Gruppe machten sie sich, triefend nass, auf den Weg zu einem der Sammelpunkte von wo sie die Möglichkeit hatten mit Shuttlebussen über die langgezogene Brücke zu ihrer Base zu fahren. Dem Fahrer war das Missfallen, dass er einen Trupp tropfnasser Elitesoldaten transportieren musste, anzusehen. Er würde wohl eine Weile benötigen, um sein Fahrzeug von der Wasser-Sand-Mischung zu befreien, die sie im Inneren verteilten.
Eine knappe Dreiviertelstunde nachdem sie in den Bus gestiegen waren, konnten sie ihn wieder verlassen und eilten in die Base. Im Bus waren während der Fahrt die Scheiben beschlagen, da sie mit ihrer Körperwärme und den nassen Klamotten dafür gesorgt hatten, dass sich das Fahrzeug zu einer Art kalter Dampfsauna entwickelt hatte.
»Ich geh zuerst.« Steve war, trotz schmerzender Füße, die Treppe hinauf gespurtet und zog die Tür zu seiner Stube auf, als er sich zu Werner umsah, der immer gleich drei Stufen genommen hatte. Sein Kollege schnaubte und teilte so seine Meinung dazu mit, dass er warten musste.
»Ok, ich hol mir noch was zum Anziehen von unten. Beeil dich, mir ist kalt.«
»Meinst du, ich hätte nicht gefroren, wenn du als Erstes gegangen wärst?« Es sah seinem Kollegen nur kurz nach, der bereits kehrtgemacht hatte. Die Spuren, die sie hinterlassen hatten, waren nicht zu übersehen. Nasse Schuhabdrücke mit Sandspuren verteilten sich über den Flur und durch jeden Gang der Base. Er zog seine Schuhe nur wenige Zentimeter hinter seiner Zimmertür aus und biss die Zähne zusammen. Der brennende Schmerz an seiner Ferse ließ ihn bereits böses erahnen, ehe er seine Socken ausgezogen hatte. Mit einer Hand an der geschlossenen Tür abstützend zog er die linke Socke, die er direkt auf den Boden fallen ließ, vom Fuß. Der sah aus, als hätte Steve stundenlang gebadet. Hell und aufgequollen warf die Haut nicht nur an der Unterseite Falten. Mit einer vorsichtigen Bewegung zog er auch seine rechte Socke aus und ließ sie auf den Boden fallen. Die Haut hatte sich auf einem mehrere Zentimeter großen Stück abgeschält. Blutiges Fleisch war zu sehen und er biss kurz die Zähne zusammen.
»Na super, das wird spaßig.« Der Gedanke an die Schmerzen in den kommenden Tagen ließ ihn aufstöhnen. Es war nicht das erste Mal, dass er sich die Fersen oder andere Stellen an den Füßen wundgelaufen hatte, es würde auch nicht das letzte Mal sein, aber das Gefühl war jedes Mal unschön. Er zog den Rest seiner nassen Kleidungstücke aus und verschwand ins Bad. Der kurze Blick in den Spiegel zeigte ihm, wie erschöpft er war. Seine kurzen, naturkrausen Haare waren bereits getrocknet, aber er spürte den Sand, der auf der Kopfhaut juckte. Auch in seinem Bart konnte er die kleinen Körner erkennen. Er beeilte sich, unter die Dusche zu kommen, und genoss nur wenige Augenblicke später das heiße Wasser, welches seinen Körper langsam wieder auf eine Temperatur brachte, die nicht der einer Eidechse am frühen Morgen entsprach. Den stechenden Schmerz seines Fußes konnte er im Augenblick gut ignorieren, da er froh war, endlich unter der warmen Dusche zu stehen.
Ein Hämmern an der Tür des kleinen Bades riss ihn kurz darauf aus seinen Gedanken.
»Bist du ok?« In Werners Stimme schwang ein aufgebrachter Unterton mit.
»Ja, warum sollte ich nicht ok sein? Ist ein Krokodil in den Wasserleitungen, oder wieso fragst du?« Er starrte durch die Duschabtrennung die geschlossene Badezimmertür an. Was sollte diese Frage? Dass ihm unter der Dusche etwas zustieß, war unwahrscheinlich.
»Hier ist Blut.«
Steve rollte mit den Augen und warf einen Blick auf seine Füße und auf das kaum sichtbare Blutrinnsal, welches von seinem Fuß zum Abfluss ging.
»Da ich dir noch antworte, kannst du davon ausgehen, dass ich noch lebe und nicht verblute.« Er legte den Kopf in den Nacken und ließ sich das Wasser ins Gesicht laufen. Da er keine Reaktion von Werner bekam, blieb er noch einige Minuten unter dem Wasserstrahl stehen, ehe er aus Rücksicht auf seinen Kameraden, und weil sein Magen knurrte, das Wasser abstellte. Durch das gesamte Bad waberte eine dichte Dunstwolke, als er am Spiegel stehend über das Glas wischte, um sich sehen zu können.
»Dann mal weiter.« Leise murrend stieg er in eine Boxershorts und verließ das Bad. Werner, der in der Ecke seiner Stube auf dem beigefarbenen Sessel gesessen hatte, erhob sich und musterte ihn.
»Was?« Steve erwiderte den Blick ähnlich intensiv, ehe ihm bewusst wurde, wonach Werner suchte. Er hob sein Bein und deutete auf seine Ferse.
»Autsch.« Werner verzog mitfühlend das Gesicht.
»Na super, ich dachte, du stürzt dich direkt drauf, um es zu verarzten. Aber scheinbar muss ich das wohl selbst machen.«
»Glaubst du, ich bin ein Fußfetischvampir? Er ist noch dran, also ist es nicht so tragisch.« Werner ging an ihm vorbei ins Bad.
»Einen Versuch war es wert.«
Die Badezimmertür fiel in dem Moment ins Schloss, in dem Steve seinen Satz beendet hatte. Er ließ sich auf den Sessel fallen und starrte einen Augenblick vor sich hin, ehe er seinen Fuß in Augenschein nahm. Allerdings blieb es bei dem Gedanken, den er schon vor dem Duschen gehegt hatte. Es würde eine Weile wehtun und nerven, ehe alles abgeheilt war. Es blutete nicht mehr, dafür war gut zu sehen, wie dick die Schicht Haut gewesen war, die sich gelöst hatte.
Eine Viertelstunde später tauchte auch Werner wieder aus dem Bad auf, warf einen kurzen Blick auf Steves Fuß, den er inzwischen so verbunden hatte, dass es ihn nicht unnötig stören würde.
»Gut, dass man die Füße beim Springen nicht braucht, oder?« Grinsend setzte Werner sich auf Steves Bett und löste nach einigen Sekunden den Blick von dem eingewickelten Fuß. So würde er den Schmerz in den kommenden Stunden hoffentlich etwas dämpfen. Anschließend würde er sein Missgeschick an der frischen Luft heilen lassen.
»Jo. Sag mal, hat das einen Grund, warum das Greenhorn so bleich wird, wenn es zu den Nachtsprüngen geht? Der sah aus wie ein Geist, als er das mitbekommen hat. Der stört sich doch sonst nicht daran, wenn ich mir überlege, wie der immer grinst, wenn wir unten sind.«
Werner hob fragend die Augenbrauen.
»Also ich frage mich, ob mal ein Nachtsprung nicht nach Plan gelaufen ist«, legte er nach, da er sich nicht an einen Vorfall erinnern konnte, bei dem etwas schiefgelaufen war, seit er hier in San Diego war. Und er war sich sicher, dass ihm ein solches Ereignis nicht entfallen würde, denn DeSanto und Harrison hätten dafür gesorgt, dass sie sich erinnerten und einen Fehler kein zweites Mal machten.
»Nicht, dass ich es wüsste.« Werner zuckte mit den Schultern. »Kommst du auch gleich runter? Irgendwer wollte essen besorgen.«
»Glaubst du, ich steig mit leerem Magen in den Flieger? Ich komme gleich.« Er lehnte sich zurück und schloss die Augen, nachdem Werner den Raum verlassen hatte. Er spürte, wie die Müdigkeit sich langsam ihren Weg suchte und ihn in den Schlaf ziehen wollte. Ehe er einnickte, öffnete er die Augen wieder und schalt sich dafür, dass er sie geschlossen hatte, denn jetzt war er noch erschöpfter als zuvor.
Träge machte er sich auf den Weg in die Gemeinschaftsküche, von wo ihm der würzige Duft chinesischen Essens in die Nase stieg. Nicht nur auf der Arbeitsplatte der Küche waren die verschiedenen Schachteln verteilt, auch auf einigen Tischen standen sie.
»Sucht euch irgendwas raus. Ich habe keine Ahnung, was wo drin ist.«
»Ist der Typ vom Lieferservice mit dem LKW gekommen?« Roderick Rodriguez, der im Team für seine fast durchgehend schlechte Laune bekannt war, deutete auf die Auswahl, die auf den ersten Blick für mindestens hundert Leute reichen könnte.
»Nicht ganz, aber sie haben ihn von vorne hergeschickt, weil keiner Lust hatte, alles herzutragen.«
Sein Kollege Nuyen Sato deutete einladend auf die Auswahl, als Steve, gefolgt von Ryan DeSanto und Randall Brinker, die Küche betrat, in der sich bereits ein großer Teil der Teams versammelt hatte. Die Schachtel, die er sich gegriffen hatte, enthielt gebratene Nudeln mit Hähnchenfiletstreifen und einer riesigen Portion Gemüse. In der Küche entstand während des Essens, je nachdem, in welcher Ecke man sich befand, eine Gesprächsrunde entweder rund um Football oder um Politik. Steve saß, ungewollt, in der Runde, in der sich angeregt über Politik ausgetauscht wurde. Seine Kollegen Randall, Wesley und Harry hatten es auf einen Abgeordneten abgesehen, der als Präsident kandidieren wollte, aber bei seinem Lebenslauf offensichtlich viel Schönfärberei betrieben hatte. Inzwischen schien auch die Bevölkerung von ihm abzurücken, da immer mehr seiner Angaben sich als Finten herausstellten.
»Hier, kannst noch was haben.« Nuyen stellte ihm, als er seine Schachtel geleert hatte, eine weitere vor die Nase. »Ich hab für jeden zwei geordert, einmal quer durch die Karte, damit ihr nicht verhungert.«
»Sagt der, der eben schon die dritte Portion hatte.« Bear, ein gebürtiger Russe und ihr Barbecuemeister, wenn es ums Grillen ging, lachte auf. »Es geht nichts über ein saftiges Stück Rind«, fügte er hinzu, um auf seine Lieblingsspeise hinzudeuten.
»Wenn ihr weiter so esst, bekommen wir den Flieger gleich nicht vom Boden.« In der großen Durchgangstür tauchte der dunkelhäutige Pilot Jamain Sawyer auf. Er steuerte ebenfalls auf eine der Schachteln zu und erhoffte sich unübersehbar einen kleinen Snack.
Nach und nach verschwanden nach Jamains Auftauchen immer mehr Kollegen, während er sich in Ruhe seiner Portion Ente widmete, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Es war noch ausreichend Zeit, um aufzuessen und anschließend seine Sachen zusammenzupacken. Eigentlich musste er sie nur aus dem Käfig im Keller holen. Kontrolliert hatte er sie schließlich schon, als er sie kurz nach dem Packen vom letzten Sprung hineingelegt hatte.
»Dennis sieht ja mal richtig begeistert aus.« Jamain sprach nur wenige Meter von ihm entfernt die gebürtige Deutsche Yvonne an. Seit einigen Wochen nahm sie wieder regelmäßig am Training teil, da sie ihre Tochter während der Zeit an die Lebensgefährtin von Bear abgab, die zeitgleich die Lebensgefährtin von Nathan Harrison bei der Betreuung ihrer Zwillinge unterstützte. Manchmal kam in ihm der Gedanke auf, dass ihr Team einen eigenen Kindergarten benötigte, wobei dieser dann höchstwahrscheinlich ebenfalls von Karen geleitet werden würde.
»Ihm liegt das nicht und ich glaube, das wird sich auch nicht mehr ändern. Nachts verliert er schnell die Orientierung da oben. Dazu kommt, dass Sean ihn dann immer blöde anmacht.«
»Ich mache ihn nicht an. Wenn er nicht weiß, wo oben und unten ist, wie will er dann die Landezone finden?« Sean, der nur wenige Meter entfernt saß, hatte seine Ohren ganz offensichtlich wieder überall gehabt und mischte sich ein.
»Du musst ihn ja nicht anmachen. Kein Wunder, wenn er dann nervös ist und sich noch schlechter konzentrieren kann. Schon mal was von Prüfungsangst gehört? Vielleicht sollten wir öfter trainieren.« Yvonne gab dem Captain des Alpha-Teams Contra, während sie ihn über die Kante der Pappschachtel, die sie in der Hand hielt, angriffslustig ansah.
»Vielleicht bleibst du heute einfach an seiner Seite?«, gab Sean unbeeindruckt davon, dass sie ihm widersprochen hatte, zurück.
»Geht nicht, ich bin bei Pippa.« Sie zuckte mit den Schultern und schob sich ein Stück Fleisch in den Mund. »Du kannst ja ein Auge auf ihn haben.«
Seans Augen wurden zu schmalen Schlitzen und Steve befürchtete großen Ärger, auf den er nach den vergangenen Stunden keine Lust mehr hatte.
»Ich übernehm das.« Er erhob sich und bemerkte die verwunderten Blicke von Sean und Yvonne. Beinahe, als hätte er mit seinen Worten gerade einen Streit verhindert, den beide sehr gerne geführt hätten.
»Wenn du meinst, dass du unbedingt Babysitter spielen willst. Pass einfach auf, dass er unten ankommt.« Sean wandte sich ab und meinte seine Worte sicher nicht so ernst, wie er sie ausgesprochen hatte. Dennis war durchaus in der Lage, mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen, unabhängig von der Höhe. Zudem würde er sicher unten ankommen. Die Frage war nur, ob er die Landezone treffen würde. Ihr Sprung heute würde aus achttausend Metern erfolgen und sie würde die Schirme sehr spät öffnen. Es war ein sogenannter HALO Sprung in der Nacht. Und der Feind für Dennis war in dieser Rechnung nur die Dunkelheit.
2.
Der Lärm in der Lockheed unterband ihre Gespräche, als Jamain und Sharleen sie auf die angekündigten achttausend Meter brachten. Ihr Absprunggebiet war eine bergige Region südlich von San Diego in der Nähe des Palomar-Observatoriums. Die Landschaft war bei Touristen sehr beliebt, da es Stellen gab, von denen aus man einen unbeschreiblich schönen Blick auf San Diego haben konnte. Gerade in der Nacht war es ein lohnenswerter Anblick, selbst für Bewohner der Stadt. Zudem war die Region für Sternenbeobachter immer eine Reise wert. Auch Abenteuer-Urlauber und Camper genossen dieses Gebiet.
Da sie nie ausschließen konnten, auch nachts gesehen zu werden, wussten alle Rangerstationen in der Umgebung Bescheid und konnten so aufgeregte Beobachter beruhigen, sollten diese etwas Seltsames am Himmel melden. Das kam nicht selten vor. Bisher hatte man aber alle Sichtungen erklären können und sie waren noch nie als UFOs in die Schlagzeilen geraten.
Sein Blick wanderte zu Dennis, der neben ihm saß und die Augen geschlossen hatte. Da er seinem Kameraden zugesagt hatte, vor ihm zu springen, damit er einen Orientierungspunkt hatte, hatte sich der gebürtige Deutsche etwas entspannt. Zudem würden sie die Lichter der Millionenmetropole sicherlich am Horizont sehen können. Somit sollte Dennis keine Probleme bekommen und nicht Gefahr laufen, die Orientierung zu verlieren. Steve konnte nicht abstreiten, dass es in anderen Regionen der Welt, vor allem bei Neumond, sehr kompliziert werden konnte, im Schwarz der Nacht das Ziel im Auge zu behalten. Dann konnte es passieren, dass es in alle Richtungen gleich aussah. Nachtschwarz in jede Himmelsrichtung und ebenfalls am Boden, wo nicht, wie hier, Millionen von kleinen hellen Punkten die Stadt kennzeichneten.
Ihr Landepunkt war ein kleines Observatorium südlich des großen Palomar-Observatoriums, das ein Touristen-Hotspot war. Von dort würden sie zu Trainingszwecken noch einige Kilometer Fußmarsch durch Feld und Wald vor sich haben, ehe man sie an einem Gehöft in der Nähe des West Fork San Luis Rey River aufnehmen würde. Die Dunkelheit bot gute Möglichkeiten, um die Orientierung im Gelände mit den Nachtsichtgeräten zu üben. Der Gedanke an diesen Marsch erfreute ihn aufgrund seines blutigen Fußes weniger. Jedoch hoffte er, dass die Schmerzen dank des Verbandes erträglich bleiben würden.
Da wildes Camping aufgrund der seit Monaten herrschenden Dürre strengstens untersagt war, würden sie auf diesem Weg sehr wahrscheinlich nicht auf Menschen treffen. Sollte das doch der Fall sein, hatten sie die Anweisung, diese Wildcamper umgehend zu melden. Somit hatte ihre Trainingseinheit auch für die Ranger Vorteile, denn auf ein Feuerinferno in der Nähe von San Diego konnten alle verzichten.
Dann kam das langerwartete Zeichen von Ryan, und die Heckluke des Fliegers senkte sich langsam. Die kalte Nachtluft strömte herein und er zog sich die Schutzbrille vor die Augen. Ein letztes gegenseitiges Kontrollieren der Gurte stand an und die Prüfung, ob bei jedem die kleinen Lampen an der Rückseite des Helmes funktionierten. Ebenso die Kontrolle des roten Lichtes, welches sie vor der Brust trugen. Erst als diese Punkte auf ihrem Plan abgearbeitet waren, konnten die ersten an den Rand der Luke treten. Nach und nach verschwanden ihre Teammitglieder in die Nacht. Er trat an die Luke und genoss einen Augenblick die Sicht auf die beleuchtete Stadt, ehe er sich in die Tiefe stürzte. Er benötigte nur Sekunden, um sein Ziel auszumachen und sich und seinen freien Fall in die richtige Richtung zu bewegen. Jedoch lenkte ihn ein kleiner leuchtender Punkt weiter östlich immer wieder davon ab, weswegen er seinen Fallschirm später als geplant öffnete. Blinkte da etwas oder bildete er sich das ein? Erneut richtete er seinen Blick nach unten und somit in eine andere Richtung, als sein Ziel lag.
Er zog nach rechts, um besser sehen zu können, ob dort wirklich etwas war.
»Sheep, du kommst vom Kurs ab.« Dennis wollte seinen Flug korrigieren und ihn auf seinen möglichen Fehler hinweisen.
»Ich will nur testen, ob du bei mir bist.« Steve versuchte zu sehen, wo genau Dennis war, der die Warnung ausgesprochen hatte, konnte jedoch nur erahnen, welcher der rot blinkenden Punkte zu Dennis gehörte. Wieder richtete er seinen Blick nach unten, musste jedoch eine Schleife fliegen, um den hellen Fleck erneut zu entdecken, den er meinte gesehen zu haben. Dort war tatsächlich etwas. Das kleine Licht konnte er dank seines Nachtsichtgerätes nun immer deutlicher sehen. Es blinkte. Dreimal kurz, dreimal lang, dann wieder dreimal kurz.
»Jhesus, hier funkt einer SOS mit einer Lampe.« Er zog einen weiteren Kreis, um den Punkt nicht aus den Augen zu verlieren und riskierte so, ihren Landepunkt nicht mehr zu erreichen.
»Gib mir die Koordinaten, dann funken wir gleich die Ranger an.«
»Was willst du hören? Mitten im Wald oder was?« Er richtete seinen Blick auf den Höhenmesser und nach Westen, wo er die Lichter seiner Kameraden sehen konnte. Er würde den Landepunkt verfehlen. Er war zu weit unten, um jetzt noch bis zu der Stelle zu kommen, an die er sollte. »Ich schau mir das an und funk euch gleich die Koordinaten, wenn ich unten bin.«
»Sheep, du bewegst deinen Arsch hier her!«, blaffte nun Sean über Funk. »Und mir ist egal, wie du das machst. Wenn der Letzte von uns den Fuß am Boden hat, bist du auch da«, befahl Sean das Unmögliche.
»Das klappt nicht mehr. Außerdem braucht da jemand Hilfe.« Er richtete sich neu aus und versuchte zu erkennen, ob er dort, wo das Licht war, eine Fläche finden würde, auf der er gefahrlos landen konnte. Die wilden Flüche, Befehle und Verwünschungen seines Vorgesetzten ignorierte er. Jetzt zu versuchen, den Landepunkt noch zu erreichen, wäre absolut sinnlos und gefährlich. Wobei eine Landung im Wald oder auf einer zu kleinen Lichtung Selbstmord sein könnte. Wenn es weniger gut lief, würde er in einem Baum hängen bleiben. Der blinkende Punkt wurde größer und kam näher, allerdings war er von vielen Bäumen umgeben. Ihm blieb nur eine Stelle, die nach seiner Schätzung gut zweihundert Meter entfernt lag.
»Bin unten.«
Seine Meldung wurde von weiteren Flüchen und Verwünschungen überlagert. Er würde sich dem Ärger der anderen stellen müssen. Vor allem dem von Dennis, denn er hätte ihn nicht alleine lassen dürfen. Sie mussten immer zu zweit bleiben. Trieb einer ab, musste der andere folgen, da gab es keine Ausnahme. Wahrscheinlich würde Dennis ähnlichen Ärger bekommen wie er. Somit blieb nur zu hoffen, dass es sich hier um einen echten Notfall handelte und er sich nicht irrte.
Er zog seinen Fallschirm zu sich, trennte sich von seinem Gurtzeug und ließ es an seinem Landepunkt liegen, obwohl es zu seiner Aufgabe gehörte, alles so schnell wie möglich wieder zu packen, um keine Spuren zu hinterlassen. In diesem Augenblick waren ihm die Regeln jedoch vollkommen egal. Als er sich umsah, wurde ihm bewusst, dass das Blinken verschwunden war. Er konnte es nicht mehr sehen. Dabei war er sich wenige Meter vor seinem Auftreffen auf den Boden noch sicher gewesen, dass er ganz in der Nähe war. Der Blick auf den Kompass und sein GPS machte klar, dass er mindestens dreißig Minuten Fußmarsch vom eigentlichen Landepunkt entfernt war, wo sich das Team nun einfand. Er machte sich jedoch Richtung Osten auf, wo sich die Bäume befanden. Dort musste das Licht sein. Vielleicht konnte man es nur von oben sehen. Wenige Meter vor einer Baumreihe entdeckte er das helle Blinken wieder, weswegen er seine Schritte beschleunigte. Er hatte es sich nicht eingebildet. Als er die ersten Bäume passiert hatte, wurde das Licht so grell, dass er sein NVG nach oben schieben musste.
»Hallo?« Er ging weiter. Es war ein kleines weißes Licht am Boden. Allerdings konnte er niemanden entdecken. War das ein schlechter Scherz? Hatte jemand seine Lampe vergessen? Er kannte Taschenlampen, die mit einem Knopfdruck ein SOS-Signal schicken konnten. Sollte etwa jemand nur seine Lampe verloren haben? Sean und Ryan würden ihm den Kopf abreißen, und er würde richtig große Probleme bekommen. Sein Fuß würde sich über Wochen nicht erholen können, wenn er zu extra Einheiten verdonnert wurde. Kurz zweifelte er, ob er das Richtige getan hatte.
»Hallo? Zeigen Sie sich, US Navy, ich habe Ihr SOS gesehen.« Langsam ging er weiter. Seine Gedanken rotierten. Er musste an seine Sicherheit denken, auch wenn er ausschloss, dass es in dieser Gegend illegales Treiben gab. Er trug nur seine SIG bei sich. Sie hatten bei ihrem Sprung auf die Gewehre verzichtet, auch wenn sie normalerweise zu ihrer Standardausrüstung gehörten. Er hielt seine rechte Hand dicht über der Pistole, bereit, sie jederzeit einzusetzen.
Dann vernahm er ein Rascheln.
»Hallo? Ich tue Ihnen nichts!«, rief er in die Dunkelheit.
»Hallo?« Es hörte eine leise Frauenstimme, ehe die Lichtquelle sich bewegte.
»Ich komme zu Ihnen. Bleiben Sie bitte, wo Sie sind. Nicht weglaufen.« Er ging weiter. »Ich habe jemanden gefunden«, gab er über Funk an sein Team weiter und hoffte auf die Gnade der Captains.
Neben einem Baum saß eine Frau, die eine blinkende Lampe in der Hand hielt und nun auf ihn richtete.
»Hi, was machen Sie hier?« Er blieb gute zwei Meter von ihr entfernt stehen und versuchte, in der
Dunkelheit mehr von ihr zu erkennen als den bloßen Umriss ihres Körpers, während er die Frage stellte. Sie schaltete das Blinken der Lampe auf ein Dauerleuchten um und Steve konnte im Schein des Lichts eine blonde Frau sehen, deren Haare wirr vom Kopf abstanden. Sie strich sich mit der freien Hand über die Augen und das wenige Licht gab ihm einen ersten Blick auf ihr Gesicht frei. Sie hatte einige Schrammen auf den Wangen und unübersehbar geweint.
»Hey, es ist alles ok. Ich helfe Ihnen. Was ist passiert? Sind Sie verletzt? Und wie sind Sie hierher gekommen?« Er ging einen weiteren Schritt auf sie zu, nachdem er ihr die Möglichkeit gelassen hatte, ihn anzusehen. Das Licht der Lampe wanderte über ihn, als er seinen Rucksack auf den Boden gleiten ließ. Auf keinen Fall wollte er ihr Angst einjagen. Schließlich traf man nachts im Wald eher selten auf uniformierte Männer. Schon gar nicht auf welche, deren Gesichter mit Tarnfarbe bedeckt waren.
»Wir haben uns verlaufen, wir sind am Morgen zum Observatorium gefahren und waren dann wandern und nun bin ich hier«, erklärte sie hörbar erschöpft.
»Wir?« Während er ihr die Frage stellte, zog er eine kleine Flasche Wasser aus seinem Rucksack und sah sich um. »Trinken Sie.« Auffordernd reichte er sie an die Fremde weiter. Er würde ohne Probleme ohne etwas zu trinken auskommen, da er davon ausging, in einigen Stunden zurück in der Base zu sein. Die Flasche gehörte zu seiner Standardausrüstung und war für Notfälle gedacht.
»Mein Freund und ich. Ich bin umgeknickt und er ist losgelaufen und wollte Hilfe holen.«
»Wann war das?« Sollte ihr Nachtsprung nun zu einer Rettungsaktion werden? Vielleicht konnten sie den Rangern bei der Suche helfen? Jetzt in der Dunkelheit eine Person zu finden, würde schwer werden. Womöglich erreichte ihr Freund in diesen Minuten einen Ranger oder jemand anderen, der ihr helfen sollte.
»Vor Sonnenuntergang. So um …« Ratlos sah sie zu ihm auf. »Ich kann ihn nicht erreichen«, erklärte sie dann mit einem seltsam kühlen Unterton, der Steve kurz stutzen ließ. Der Sonnenuntergang war Stunden her.
»Ok. Ich gebe das an meine Kameraden weiter. Dann schaue ich, ob ich Ihnen helfen kann und wir schauen mal, ob wir es bis zum nächsten Weg schaffen, ja?« Steve wandte sich erst von ihr ab, als sie ihm bestätigend zugenickt hatte und einen Schluck Wasser nahm.
»Sean, hier ist eine Frau, am Fuß verletzt. Sie sagt, sie hat sich zusammen mit ihrem Freund verlaufen. Er wollte Hilfe holen, ist aber noch nicht wieder aufgetaucht und über Handy nicht zu erreichen. Er ist vor Sonnenuntergang los.« Auf die Reaktion wartend sah er zum Himmel. Würden Sean und Ryan wenigstens jetzt weniger schlecht gelaunt reagieren als zuvor? Schließlich hatte er tatsächlich eine hilfsbedürftige Person gefunden. Da sollte das Ziel des Trainings doch ins Hintertreffen rücken. Menschenleben gingen zumindest bei ihm vor und er war bereit, den möglichen Ärger in Kauf zu nehmen.
»Ok, kannst du uns den Namen von ihr und ihrem Freund geben? Wir informieren die Ranger. Deine Koordinaten hätte ich auch gerne. Kann sie laufen?« Sean klang bei seinen Fragen nicht mehr aufgebracht, was ihn erleichtert aufatmen ließ, als er sich ihr wieder zuwandte